Ramsauer: Umgangsformen waren früher im Bundestag anders
Gekeilt und geschimpft wurde im Bundestag eigentlich immer. Der dienstälteste Abgeordnete Peter Ramsauer sieht aber eine prägende Veränderung.
Wenn Ordnungsrufe im Bundestag den Zustand der Gesellschaft widerspiegeln, war es in der Regierungszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am friedlichsten. In den zwölf Jahren nach ihrem Regierungsantritt 2005 gab es nur fünf dieser Maßnahmen des Bundestags, mit denen Abgeordnete zurechtgewiesen werden. Nach der Bundestagswahl 2017 schoss die Zahl der Ordnungsrufe hoch auf fast 50 – die AfD war erstmals in das Hohe Haus eingezogen. In der laufenden Legislaturperiode sind es mehr als 90.
Doch es gab auch schon früher Zeiten, als der Bundestag noch in Bonn saß, in denen besonders viel ausgeteilt wurde. Insofern spiegelt, was sich da abspielt, nur bedingt den gesellschaftlichen Zustand wider. Wer älter ist, erinnert sich etwa an die Rededuelle zwischen Herbert Wehner (SPD) und Franz Josef Strauß (CSU). Wehner, 14 Jahre SPD-Fraktionschef, ist mit 77 Ordnungsrufen bis heute Rekordhalter. Die höchste Zahl an Ordnungsrufen pro Legislaturperiode gab es mit 132 in der
Wahlperiode von 1983 bis 1987, als die Grünen erstmals unter den Abgeordneten waren. Unvergessen sind die Worte, mit denen Grünen-Politiker Joschka Fischer Vizepräsident Richard Stücklen nach einem Ordnungsruf beleidigte: „Herr Präsident,
Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub!“
Festgehalten sind viele dieser Ausfälle von Autor Günter Pursch im Werk „Das Parlamentarische Schimpfbuch“. Demnach hat Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) 1986 die Grünen mit den Worten adressiert: „Ihre Präsenz in diesem Haus besteht eigentlich im Wesentlichen darin, beleidigende Urlaute auszustoßen.“
CSU-Politiker Peter Ramsauer ist seit 1990 im Bundestag und heute der dienstälteste Abgeordnete. Auch er wurde früher wiederholt vom Bundestagspräsidium zur Ordnung gerufen. „Ich war ausgerechnet derjenige, der in Bonn vor dem Umzug nach Berlin den allerletzten Ordnungsruf bekommen hat und dann in Berlin den allerersten“, sagte er unserer Redaktion. Er erinnert sich noch an den allerersten in Berlin, wo der Bundestag ab April 1999 im umgebauten Reichstagsgebäude tagte: „Ich war parlamentarischer Geschäftsführer und die nette Kollegin von den Grünen, Kristin Heyne, hielt eine Rede und sagte etwas Unfreundliches über die CDU/CSU. Ich habe dazwischen gerufen: ‚Sie freches Luder`. Dafür gab es dann berechtigterweise einen Ordnungsruf, weil das ja nicht lustig ist.“Er habe sich dennoch zunächst beschwert und der Fall sei im Ältestenrat verhandelt worden. „Mit einem gewissen Augenzwinkern habe ich argumentiert: Wenn man in Bayern ‚freches Luder' sagt, dann ist das eine hohe Respektbekundung für eine tapfere, mutige, furchtlose Frau.“Er konnte damit nicht überzeugen, „verständlicherweise“, sagte er rückblickend.
Früher hätten andere Maßstäbe gegolten, es habe andere Umgangsformen gegeben. „Heute wird als beleidigend empfunden, woran man früher gar nicht gedacht hätte, im Hinblick auf Rassismus oder Sexismus zum Beispiel. Heute nimmt man, zu Recht, ganz anders Rücksicht“, sagte Ramsauer. Für ihn sei wichtig: „Man darf den anderen nie menschlich verletzen.“Mit dem Einzug der AfD habe sich der Umgangston jedoch geändert. „Große Teile der AfD-Fraktion, ich sage nicht alle, legen es vorsätzlich darauf an, zu provozieren.“
Wenn Abgeordnete besonders über die Stränge schlagen, wird im Sinne des parlamentarischen Ordnungsrechts manchmal ein Ordnungsgeld von 1000 Euro verhängt – wie in bislang drei Fällen: zweimal waren AfD-Abgeordnete betroffen, einmal ein Parlamentarier der SPD.