„Nicht alles, was gut gemeint ist, ist gut gemacht“
ANALYSE Was ist Meinungg und was eine strafbare Aussageg und Hasskriminalität? Über diese Frage wird über Schottlands Grenzen hinaus aktuell heftig gestritten.
LONDON Es kommt nicht oft vor, dass eine politische Entscheidung in Schottland weltweit Beachtung findet. Doch in diesen Tagen blicken viele Menschen verunsichert oder gar wütend in den Norden Großbritanniens. Grund ist ein Gesetz gegen Hasskriminalität, das 2021 verabschiedet wurde und Anfang April in Kraft getreten ist. Der „Hate Crime and Public Order Act“erweitert den bestehenden Schutz vor rassistischer Hetze um die Merkmale Alter, Religion, Behinderung, Sexualität oder Transsexualität. Das Schüren von Hass aufgrund der Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen stellt nun eine Straftat dar, die mit bis zu sieben Jahren Haft geahndet werden kann.
Humza Yousaf, der Premierminister der Region, sagte, das Gesetz solle nach jahrelangen Diskussionen eine „Null-Toleranz“-Haltung fördern. Doch wo Yousaf Klarheit schaffen wollte, herrscht seit Tagen Verwirrung. „Nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut gemacht“, fasste die britische „Times“das Chaos der letzten Woche zusammen. Denn der Gesetzestext ist äußerst vage. Strafbar mache sich, wer sich in einer Weise verhält, „die eine vernünftige Person als Bedrohung oder Beleidigung auffassen würde“und die Absicht habe, „Hass zu schüren“.
Rechtsexperten warnten davor, dass der „Hate Crime Act“auch vor dem privaten Raum nicht Halt macht. Die Angst vor einem alles kontrollierenden Staat macht die Runde; und es stellt sich die Frage, ob ein paar Stunden Schulung Polizisten auf dieses komplexe Thema vorbereiten können. Gleichzeitig wurden Polizeiämter geschlossen, aber hunderte Stellen in schottischen Einkaufsstraßen, in Rathäusern und Cafés eröffnet, wo anonym mutmaßliche Hassdelikte gemeldet werden können. Die Polizei wurde seit dem 1. April mit Tausenden von Anzeigen wegen mutmaßlicher Hassverbrechen überschwemmt, die zum Teil aus dem linken Spektrum kamen, aber Berichten zufolge auch von rechtsextremen Gruppen angestoßen wurden, um das System zu überlasten. Es kam zu Demonstrationen, sowohl von Frauenrechtlerinnen als auch von Transgender-Aktivisten. Während letztere den „Hate Crime Act“als dringend notwendig erachten, betonen Gegner wie die Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling, dass der Schutz zu weit gefasst sei und die freie Meinungsäußerung kriminalisiert werden könne. Wie um das System zu testen, bekräftigte Rowling, ihre Überzeugung, dass die Regierung „den Gefühlen von Männern,
die ihre Vorstellung von Weiblichkeit ausleben, wie frauenfeindlich oder opportunistisch auch immer“, mehr Bedeutung beigemessen habe als den Rechten und Freiheiten „wirklicher Frauen und Mädchen“und bezeichnete eine ganze Reihe von Transfrauen als Männer. Wenn das, was sie geschrieben habe, strafbar sei, dann freue sie sich darauf, verhaftet zu werden, erklärte sie auf X. Tatsächlich lösten ihre Tweets eine Flut von Beschwerden aus, verhaftet wurde sie jedoch nicht. Vor einigen Tagen bestätigte die Polizei, dass ihre Äußerungen weder „bedrohlich“noch „beleidigend“gewesen seien und nicht darauf abzielten, „Hass zu schüren“.
„Misgendering“, also die Bezeichnung einer Person mit ihrem biologischen Geschlecht, das möglicherweise nicht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmt, sei nicht automatisch kriminell, ebenso wenig wie ein anstößiger Witz, betonte Nick McKerrell von der Glasgow Caledonian University. Er ist wie die schottische Regierung davon überzeugt, dass die Schwelle, die eine Äußerung zu einer Straftat macht, hoch genug ist: „Der Test besteht darin, dass sie für jemanden eine Bedrohung oder Beleidigung darstellen oder ihm Angst einjagen muss.“In Irland, wo derzeit über ein ähnliches Gesetz diskutiert wird, sollte der „Hate Crime Act“als „Leitfaden betrachtet werden, wie man es nicht machen sollte“, kommentierte die Irish Times.