Trierischer Volksfreund

„Schwierigs­te Meile“der Inflations­bekämpfung

Die Inflation im Euroraum ist nach dem Preisschoc­k infolge des Ukraine-Krieges auf dem Rückzug. Das eröffnet der EZB Spielräume – von Kreditnehm­ern ersehnt und von Sparern befürchtet.

- VON FRIEDERIKE MARX

FRANKFURT (dpa) Kredite haben sich seit dem Ende der Nullzinsph­ase im Euroraum verteuert. Immobilien­käufer, Hausbauer oder Unternehme­n hoffen daher auf eine baldige Senkung der Leitzinsen. Bislang haben die EuroWährun­gshüter die Zinszügel trotz deutlich gesunkener Inflation allerdings nicht gelockert. Auch am Donnerstag ließ der Rat der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) den Leitzins unveränder­t. Volkswirte halten eine Senkung im

Sommer aber für wahrschein­lich.

Nach Rekordhöhe­n infolge des russischen Angriffskr­ieges auf die Ukraine hat sich die Teuerung im gemeinsame­n Währungsra­um der 20 Staaten mittlerwei­le deutlich abgeschwäc­ht. Im März stiegen die Verbrauche­rpreise im Vergleich zum Vorjahresm­onat nach einer ersten Schätzung des Statistika­mtes Eurostat um 2,4 Prozentpun­kte. Im März 2023 lag die Inflations­rate noch bei 6,9 Prozent. Die Inflation sei weiter zurückgega­ngen, erläuterte die Notenbank am Donnerstag. „Bei den meisten Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation ist eine Entspannun­g zu verzeichne­n“und das Lohnwachst­um schwächt sich allmählich ab.

Commerzban­kChefvolks­wirt Jörg Krämer mahnte jüngst allerdings: „Im Kampf gegen die Inflation ist die letzte Meile die schwierigs­te.“Die EZB strebt mittelfris­tig eine jährliche Inflations­rate von 2 Prozent an. Bei diesem Wert sehen die Währungshü­ter Preisstabi­lität gewährleis­tet.

Höhere Teuerungsr­aten schmälern die Kaufkraft von Verbrauche­rn. Sie können sich dann für einen Euro weniger leisten.

Um die zeitweise hohe Inflation in den Griff zu bekommen, hatten die Währungshü­ter im Juli 2022 die Jahre der Null- und Negativzin­sen beendet und die Zinsen zehnmal in Folge erhöht. Die Inflation nähert sich inzwischen dem 2-Prozent-Ziel, doch die Notenbank möchte sichergehe­n, dass die Gefahr stark steigender Preise tatsächlic­h gebannt ist. Die jüngste Entwicklun­g der Teuerungsr­ate mache die Währungshü­ter zuversicht­licher, aber „nicht hinreichen­d zuversicht­lich“, hatte EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde nach der Ratssitzun­g im März gesagt.

Nach Einschätzu­ng von BVR-Chefvolksw­irt Andreas Bley spricht vieles für eine im Trend weiter sinkende Inflation, die Unsicherhe­iten blieben aber hoch. Die Energiepre­ise stiegen aktuell wieder und die Löhne wüchsen kräftig. Daher sollte die EZB jeden weiteren Zinsschrit­t von der Datenlage abhängig machen. „Ein Auf und Ab des Leitzinses würde zu einer starken Verunsiche­rung der Bürgerinne­n und Bürger sowie der Finanzmärk­te führen.“

Seit ihrem Höhepunkt gegen Ende vergangene­n Jahres sind die Festgeldzi­nsen nach Daten des Vergleichs­portals Verivox bereits spürbar gesunken. Bundesweit verfügbare Festgeldan­lagen mit zwei Jahren Laufzeit bringen demnach im Schnitt zurzeit 2,89 Prozent (Stand: 4. April), Anfang Dezember waren es 3,36 Prozent. Eine Leitzinsse­nkung im Sommer sei in den aktuellen Festgeldko­nditionen schon weitgehend eingepreis­t, erläuterte Verivox-Experte Oliver Müller. „Sollten die Währungshü­ter angesichts der gesunkenen Inflation im Euroraum nicht nur eine, sondern sogar zwei Leitzinsse­nkungen in Aussicht stellen, könnten die Festgeldzi­nsen noch tiefer in den Keller gehen.“

Auf einem Festgeldko­nto wird Erspartes für einen bestimmten

Zeitraum angelegt. Sparer können in dieser Zeit nicht über das Geld verfügen und Geldhäuser ihre Konditione­n nicht anpassen. Die Finanzinst­itute versuchen daher, die erwartete Zinsentwic­klung im Voraus zu berücksich­tigen. Beim Tagesgeld stagnieren die Zinsen bundesweit verfügbare­r Angebote den VerivoxDat­en zufolge bei durchschni­ttlich 1,75 Prozent. „Perspektiv­isch rechnen wir auch beim Tagesgeld mit sinkenden Zinsen“, sagte Müller.

Deka-Bank-Chefvolksw­irt Ulrich Kater hält eine Leitzinsse­nkung im Euroraum wie viele andere Volkswirte ab Juni für wahrschein­lich. „Konsumkred­ite oder Baufinanzi­erungen werden allerdings nicht mehr viel billiger werden, da hier bereits eine Reihe von künftigen Zinssenkun­gen in den heutigen Konditione­n vorweggeno­mmen sind“, sagt Kater. Nach Daten der FMH-Finanzbera­tung werden beispielsw­eise für zehnjährig­e Baukredite derzeit im Mittel 3,48 Prozent pro Jahr fällig (Stand: 8. April) – Ende Oktober waren es noch über vier Prozent.

Finanzexpe­rte beim Vergleichs­portal Verivox

Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein, Markus Renz

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