„Meine Krankheit ist kein Laster“
Polytoxikomanie: So nennt man die Abhängigkeit, die ein Mitglied des Kreuzbundes hat. Der Mitte 40-Jährige redet mit dem Volksfreund über seine Drogensucht und wie schwer der Weg zur Besserung sein kann.
BITBURG Seit ungefähr eineinhalb Jahren ist der Mann, der anonym bleiben will, sauber. Er weiß, dass es für ihn keinen Weg zurück geben darf. Ansonsten würde er die wichtigsten Menschen in seinem Leben verlieren: seine Familie.
Wie kamen Sie zum ersten Mal mit Drogen in Kontakt?
Anonym: Es begann bei mir wie bei vielen Menschen mit Alkohol. Irgendwann, als ich älter wurde, kam ich in eine Wohngemeinschaft, die Gras geraucht hat. Später bin ich viel auf Partys gegangen und fing an, chemische Drogen zu nehmen. Ecstasy, Amphetamin, LSD, da war alles dabei. Lediglich von Opiaten und Heroin habe ich mich ferngehalten.
Wie hat die Droge Ihren Alltag beeinflusst? Anonym:
Am Anfang war alles super, ich fühlte mich gut. Ich hätte auch nie eingesehen, ein Problem zu haben. Aber meinen Konsum habe ich immer mehr verheimlicht. Und irgendwann begannen die Psychosen: Ich wurde paranoid und habe nicht mehr geschlafen. Später bildete ich mir ein, mein Radio würde mit mir sprechen. Trotzdem suchte ich mir keine wirkliche Hilfe. Mehrere Entzüge habe ich wieder abgebrochen. Rückblickend hatte ich damals noch nicht eingesehen, dass ich wirklich krank bin.
Was hat Sie letztendlich dazu gebracht aufzuhören?
Anonym: Meine Frau hat mir die metaphorische Pistole auf die Brust gesetzt. Ich kann es ihr nicht verübeln, ich war in der Zeit kein guter Ehemann oder Vater. Aber ich bin so dankbar, dass ich meine Frau habe. Sie hat immer noch das Gute in mir gesehen und gehofft, dass ich mein Problem irgendwann einsehe. Glücklicherweise habe das dann auch und bin beim Kreuzbund aufgeschlagen.
Wie hat sich die Beziehung zu Ihrer Frau mittlerweile verändert? Anonym:
Das Gute hier beim Kreuzbund ist, dass man als suchtkranke Person auch seinen Partner mitbringen kann. Meine Frau war also zu Beginn dabei und hat viel gelernt, was diese Krankheit mit einem Menschen machen kann. Sie weiß, dass das ein steiniger Weg ist, den wir aber zusammen gehen. Und ich freue mich zu sagen, dass wir in unseren fast zwanzig Jahren Ehe jetzt wirklich die schönste Zeit haben.
Und wie sieht es mit Freunden aus? Anonym:
Man verliert als Suchtkranker oft Freunde, die nicht verstehen, wenn man beispielsweise nichts mehr trinkt. Ich sage immer, ich habe schon genug für zwei Leben getrunken. Als ich zum Kreuzbund gekommen bin, habe ich Menschen gefunden, die meine Situation kennen und verstehen. Wir bauen uns dann gegenseitig auf und motivieren uns. Auch im Alltag treffe ich mich mit Leuten aus dem Kreuzbund und wir unternehmen etwas zusammen. Es tut gut, sich nicht rechtfertigen zu müssen.
Man sagt in vielen Situationen, es wird mit der Zeit einfacher. Gilt das auch bei Sucht?
Anonym: Ich würde nicht unbedingt sagen einfacher. Man bekommt aber Hilfsmittel an die Hand, die einem den Alltag erleichtern. Bei einem Seminar wurde uns zum Beispiel geraten, uns eine schlimme Lebenssituation vorzustellen, in der wir vielleicht rückfällig werden. Dafür machten wir dann eine Art „Notfallkasten“, in dem unter anderem Kontaktdaten, Flyer oder Ähnliches drin sind. Ich hoffe, ich muss diesen Kasten nie nutzen, aber es beruhigt zu wissen, dass er da ist.
Sie gehen mit Ihrer Geschichte auch an Schulen. Wie regieren die Jugendlichen?
Anonym: Wir versuchen, sehr ehrlich mit den Jugendlichen zu sein. Viele haben heutzutage schon die ein oder andere Erfahrung mit Drogen gemacht, da bringt es nicht, einfach zu sagen: ‚Drogen sind schlecht`. Stattdessen versuchen wir zu erklären, was der Konsum mit uns gemacht hat und wie schwer es auch ist, wieder davon wegzukommen.
Wie blicken Sie jetzt auf die Zeit vor eineinhalb Jahren zurück?
Anonym: Mittlerweile sehe ich meine Krankheit nicht mehr als Laster, sondern als Mehrwert. Ich kenne jetzt beide Seiten des Lebens: Die eine, zuerst schöne, dann schreckliche und mittlerweile lerne ich, wie schön das Leben wirklich sein kann.