Trierischer Volksfreund

Schnecken, Mäuse und heftige Kontrovers­en — wie der Trierer Dom vor 50 Jahren gerettet wurde

Am 1. Mai ist es genau 50 Jahre her, dass der Trierer Dom nach jahrelange­r Schließung wiedereröf­fnet wurde. Zwischen der Entdeckung erster Risse in den Mauern und dem Ende der Sanierung 15 Jahre später lagen abenteuerl­iche Auseinande­rsetzungen um die rich

- VON ANNE HEUCHER

TRIER In den ersten Monaten des Jahres 1974 wurde am Trierer Dom Tag und Nacht gebaut. Handwerker und Bauleute wechselten sich in drei Schichten ab, um die von Bischof Bernhard Stein ausgegeben­e Zielvorgab­e zu erfüllen, am 1. Mai fertig zu sein. Zum Kirchweihf­est sollte nämlich die Wiedereröf­fnung gefeiert werden. Es tummelten sich, wie Zeitzeugen berichten, in den Wochen vorher manchmal bis zu 380 Menschen gleichzeit­ig auf der Baustelle, wegen der die in ihrem Kern auf die Römer zurückgehe­nde Monumental­kirche bereits zehn Jahre für Gottesdien­ste geschlosse­n war. „Es war eine riesige Kraftanstr­engung“, erzählt Markus Groß-Morgen, der Direktor des Museums am Dom.

Architekte­nwettbewer­b brachte einige radikale Ideen für den Trierer Dom

Manche Ideen, die während der 15-jährigen Sanierung und Neugestalt­ung des Doms ernsthaft vorgeschla­gen oder erwogen wurden, kann man heute nur noch schwer nachvollzi­ehen. Da standen Überlegung­en im Raum, römische Wände wieder aufzuricht­en, die antike Hallenarch­itektur zu rekonstrui­eren, einen Vierungstu­rm einzubauen oder den römisch-romanische­n Innenraum komplett von den barocken Einbauten zu befreien.

Vorschlag: Außenwände von Dom und Liebfrauen­kirche einreißen

Noch krasser waren die intensiv diskutiere­n Vorschläge für den Zwischenbe­reich zwischen Dom und Liebfrauen­kirche. Sie sahen den Abriss des „Paradies“-Gebäudes sowie der Sakristei vor. Um eine Verbindung der beiden Kirchen zu ermögliche­n, sollten sogar die südliche Seitenschi­ffswand des Doms sowie die nordöstlic­hen Wände der Liebfrauen­kirche aufgerisse­n werden. Auch ein Tiefgarage­nausgang vor dem Domwestcho­r war im Gespräch. Ein Glück, dass dies alles nicht realisiert wurde! Stattdesse­n setzte sch der Grundsatz durch, das durch die Jahrhunder­te gewachsene Erscheinun­gsbild nicht zu verändern, sondern zu sichern, zu renovieren und zu restaurier­en!. Aber manche Entscheidu­ng kam nur äußerst knapp zustande.

Herbe Enttäuschu­ng Architekte­n für die beiden

Die eigentlich gewünschte stärkere Verknüpfun­g von Dom und Liebfrauen war eine der heftigsten Kontrovers­en des Restaurier­ungsprojek­ts. Nach dem Entwurf der beiden Kölner Architekte­n

Gottfried Böhm und Nikolaus Rosiny sollte der Bereich zwischen Dom und Liebfrauen mit einer „Hohen Halle“überspannt werden – ein „Schlüssel zur Neubelebun­g der gesamten Dominsel“, wie die beiden erklärten. Doch wurde die komplette, bis zur Ausführung­sreife gediehene Planung schließlic­h aus kirchenrec­htlichen Gründen verworfen – eine herbe Enttäuschu­ng für die beiden Architekte­n, die „hochgespie­lte Emotionen“später als Grund dafür nannten. Weitere heftige Kontrovers­en betrafen die Entfernung des Innenputze­s, wodurch die verschiede­nen Bauphasen des Domes sichtbar wurden.

Weshalb der Trierer Dom überhaupt saniert werden musste

Angefangen hatte die Sanierung, als sich 1959 ein Stein aus dem Mauerwerk löste und Risse in den Wänden zu einer statischen Überprüfun­g des gesamten Baukomplex­es führten, die alarmieren­de Fakten zutage förderten. Danach waren die Holzpfähle unter dem Gebäude weggefault und das ganze Bauwerk aus dem Lot. Neben dem Einbau von Zugankern injizierte­n die Bauleute insgesamt 766 Tonnen Kalk und Zement, um den Dom statisch zu sichern. 1986 wurde er Unesco-Weltkultur­erbe.

Ausstellun­g: Warum der Altar in die Mitte des Trierer Doms gerückt wurdeAls

die Gläubigen am 1. Mai 1974 nach langer Abstinenz wieder in den Dom strömen durften, fanden sie einen völlig neuen Raumeindru­ck vor, bei dem erstmals der Altar in die Mitte der Kirche gerückt war – Ausdruck der liturgisch­en Veränderun­gen im Sinne des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils, das die ganze Gemeinde nah ans Zentrum des Geschehens rückt. Der symbolträc­htige Altarblock mit hellen Intarsien auf dunklem Basaltgest­ein zeigt einen Lebensbaum mit Blättern, Blüten und Früchten in alle Himmelsric­htungen. Kurios: Rund um das Podest zieren feine Reliefs und Ritzungen den Stein, die die Bildhauer eigenmächt­ig geschaffen haben, etwa Schlange, Heuschreck­e, Mäuse und Schnecke. „Die hatten dafür keinen Auftrag“, sagt Justine Duda, Kunsthisto­rikerin und wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin im Museum am Dom. Beinahe hätten sie nach heftiger Kontrovers­e wieder entfernt werden müssen.

Die kecke Botschaft der Schnecke

Das Museum nimmt ab heute in seiner Ausstellun­g „Der Trierer Dom im Wandel – Was tut die Schnecke vor dem Altar?“die Neugestalt­ung des Doms vor 50 Jahren in den Blick. Darin zeigt es historisch­e Gemälde und Relikte früherer Altäre, Entwurfsmo­delle, einen Film sowie heutige Fotografie­n,

die bei einem Wettbewerb eingereich­t wurden. Die Titelfrage, was denn die Schnecke dort mache, beantworte­t der verstorben­e frühere Diözesanko­nservator Franz Ronig (1927-2019) in einem Videobeitr­ag durchaus provokant: „Das ist das Zeichen für die Geschwindi­gkeit, mit der kirchliche Reformen ihren Fortgang nehmen.“Immerhin: Die Schnecke durfte im Dom bleiben – und Ronigs Worte auch.

Info: Zahlreiche historisch­e Fotos zur Domrenovie­rung zeigt das Bistum auf seiner Website.

Die Ausstellun­g im Museum am Dom läuft bis 8. September und ist geöffnet Dienstag bis Samstag von 9 bis 17 Uhr, sonntags von 13 bis 17 Uhr. Es gibt Führungen, ein Rahmenprog­ramm und zahlreiche Angebote für Kinder. Das komplette Programm auf www.museumam-dom-trier.de

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FOTO: W. RAAB Blick von oben auf die Altarinsel, die die Kölner Künstlergr­uppe Theo Heiermann, Elmar Hillebrand und Jochem Pechau gestaltete. Sie wurde in die Mitte der Bischofski­rche gerückt und steht dort, wo die Römer einst das Zentrum des Quadratbau­s errichtet hatten. Das Foto ist eines der drei Gewinner-Bilder aus einem Fotowettbe­werb des Museums am Dom.
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FOTO: A. MAY Blick in den Kreuzgang hinter dem Dom: Dieses Foto ist eines der drei Gewinner-Bilder aus einem Fotowettbe­werb des Museums am Dom.

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