Spaniens Aufstand gegen Massentourismus
Tourismus ist für Spanien überlebenswichtig. Trotzdem wächst vielerorts der Verdruss gegenüber den stetig zunehmenden Besuchermassen. Massive Proteste gibt es jetzt auch auf den Kanaren.
TENERIFFA( dpa) Mehrere Menschen stehen versammelt an der Strandpromenade und beschimpfen vorbeigehende Touristen. „Geh zurück nach Hause“, schreien einige. Andere drohen gar mit Schlägen. Zugleich sieht man auf dem von Medien geposteten Video Plakate mit Aufschriften wie „Tourists go Home“oder „Esta es nuestra tierra“(Das ist unser Land). Ähnliche Aktionen, touristenfeindliche Graffiti und Proteste verärgerter Bürger gibt es in Spanien immer häufiger.
„Die Tourismusphobie nimmt zu“, stellte dieser Tage der Radiosender „Cadena Ser“fest. Nicht nur an traditionellen „Sauftourismus“-Hotspots wie Mallorca oder Barcelona, sondern auch in Regionen, die aufgrund der Besucherstruktur lange als touristische „Friedensoasen“galten. Dazu gehört unter anderem der Jakobsweg in Galicien. Derzeit ist aber vor allem die Lage auf den Kanaren angespannt.
Die oben beschriebene Szene ereignete sich im Süden von Teneriffa. Auch auf anderen der größeren Inseln, wie etwa Fuerteventura, Gran Canaria, Lanzarote oder La Palma, die vor allem von britischen und deutschen Touristen besucht werden, haben immer mehr Einheimische die Nase voll von dem Menschenzustrom.
Der Massentourismus wird für Umweltzerstörung, Staus, Wohnungsnot, Überfüllung, Preisanstiege und Wassermangel sowie für die Überlastung des Gesundheitssektors und der Abfallentsorgung verantwortlich gemacht. „Die Kanaren werden von Tourismusphobie heimgesucht“, stellte am Mittwoch das Fachportal Hosteltur fest. Das Regionalblatt „El Diario“schrieb, die Kanaren seien ein Pulverfass.
In der Tat: An die 20 Bürgerinitiativen haben sich zur Organisation „Canarias se agota“(Die Kanaren haben genug) zusammengeschlossen – und gehen gemeinsam auf die Barrikaden. Am Dienstag gab es einen Protest vor dem Parlament in der Landeshauptstadt Madrid. Noch am Donnerstag wurde der Start eines unbefristeten Hungerstreiks von zunächst circa zehn Aktivisten vor der Kirche La Concepción in La Laguna im Norden Teneriffas angekündigt.
Eineinhalb Wochen später, am 20.
April, soll es auf den Inseln Großdemos geben. Die Organisatoren stellen „einen der größten Proteste in der Geschichte der Region“in Aussicht. Was will man damit erreichen? Die Liste ist lang. Man verlangt einen Baustopp für Hotels und Golfplätze, die Einführung einer Übernachtungssteuer, wie es sie schon länger etwa auf den Balearen oder in Barcelona gibt, und eine bessere Regulierung der Ferienwohnungen.
Gefordert wird auch eine Diversifizierung der Wirtschaft, mit einer stärkeren Förderung von Industrie und Landwirtschaft, um nicht mehr so stark vom Tourismus abhängig zu sein.
Die Branche macht 35 Prozent des kanarischen Inlandsprodukts aus und beschäftigt 40 Prozent aller arbeitenden Menschen der sogenannten Autonomen Gemeinschaft.
Traditionell galten die Kanaren als eine ruhige Destination mit relativ wenigen Sauftouristen und Bettenburgen. Die „Inseln des ewigen Frühlings“vor der Westküste Afrikas wurden vor allem von Wanderern, Tauchern, Surfern, Golfern, Radtouristen, Rentnern, ruhigen Sonnenanbetern und Naturliebhabern wie der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel geschätzt. Doch in den letzten Jahren hat sich das merklich geändert.
Tourismusverdrossenheit gibt es vor allem in Barcelona und auf den Balearen schon länger. Dort wurden viele Maßnahmen ergriffen, die aber nicht den erhofften Erfolg brachten. Am „Ballermann“gab es zum
Beispiel „Benimmregeln“und eine „Qualitätsoffensive“. Die Lage werde aber schlimmer, meinte der Gastrounternehmer Juan Ferrer im Gespräch im vorigen Sommer. „Jetzt ist die ganze Promenade zweieinhalb, drei Kilometer lang von Leuten übernommen worden, die total besoffen sind.“Man gibt aber nicht auf. Anfang April kündigte die Stadt Palma eine neue Verordnung mit Strafen von bis 3000 Euro für Vergehen wie das „Wildpinkeln“auf der Straße an.
Auf den Kanaren ist Regionalpräsident Fernando Clavijo derweil um Schadensbegrenzung bemüht. Der vom Tourismus erzeugte Reichtum müsse besser verteilt werden, forderte er jüngst, schließlich profitiere die Branche ja von der Natur, „die allen gehört“.
An die 20 Bürgerinitiativen haben sich zur Organisation „Canarias se agota“(Die Kanaren haben genug) zusammengeschlossen.