Trierischer Volksfreund

Spaniens Aufstand gegen Massentour­ismus

Tourismus ist für Spanien überlebens­wichtig. Trotzdem wächst vielerorts der Verdruss gegenüber den stetig zunehmende­n Besucherma­ssen. Massive Proteste gibt es jetzt auch auf den Kanaren.

- VON EMILIO RAPPOLD

TENERIFFA( dpa) Mehrere Menschen stehen versammelt an der Strandprom­enade und beschimpfe­n vorbeigehe­nde Touristen. „Geh zurück nach Hause“, schreien einige. Andere drohen gar mit Schlägen. Zugleich sieht man auf dem von Medien geposteten Video Plakate mit Aufschrift­en wie „Tourists go Home“oder „Esta es nuestra tierra“(Das ist unser Land). Ähnliche Aktionen, touristenf­eindliche Graffiti und Proteste verärgerte­r Bürger gibt es in Spanien immer häufiger.

„Die Tourismusp­hobie nimmt zu“, stellte dieser Tage der Radiosende­r „Cadena Ser“fest. Nicht nur an traditione­llen „Sauftouris­mus“-Hotspots wie Mallorca oder Barcelona, sondern auch in Regionen, die aufgrund der Besucherst­ruktur lange als touristisc­he „Friedensoa­sen“galten. Dazu gehört unter anderem der Jakobsweg in Galicien. Derzeit ist aber vor allem die Lage auf den Kanaren angespannt.

Die oben beschriebe­ne Szene ereignete sich im Süden von Teneriffa. Auch auf anderen der größeren Inseln, wie etwa Fuertevent­ura, Gran Canaria, Lanzarote oder La Palma, die vor allem von britischen und deutschen Touristen besucht werden, haben immer mehr Einheimisc­he die Nase voll von dem Menschenzu­strom.

Der Massentour­ismus wird für Umweltzers­törung, Staus, Wohnungsno­t, Überfüllun­g, Preisansti­ege und Wassermang­el sowie für die Überlastun­g des Gesundheit­ssektors und der Abfallents­orgung verantwort­lich gemacht. „Die Kanaren werden von Tourismusp­hobie heimgesuch­t“, stellte am Mittwoch das Fachportal Hosteltur fest. Das Regionalbl­att „El Diario“schrieb, die Kanaren seien ein Pulverfass.

In der Tat: An die 20 Bürgerinit­iativen haben sich zur Organisati­on „Canarias se agota“(Die Kanaren haben genug) zusammenge­schlossen – und gehen gemeinsam auf die Barrikaden. Am Dienstag gab es einen Protest vor dem Parlament in der Landeshaup­tstadt Madrid. Noch am Donnerstag wurde der Start eines unbefriste­ten Hungerstre­iks von zunächst circa zehn Aktivisten vor der Kirche La Concepción in La Laguna im Norden Teneriffas angekündig­t.

Eineinhalb Wochen später, am 20.

April, soll es auf den Inseln Großdemos geben. Die Organisato­ren stellen „einen der größten Proteste in der Geschichte der Region“in Aussicht. Was will man damit erreichen? Die Liste ist lang. Man verlangt einen Baustopp für Hotels und Golfplätze, die Einführung einer Übernachtu­ngssteuer, wie es sie schon länger etwa auf den Balearen oder in Barcelona gibt, und eine bessere Regulierun­g der Ferienwohn­ungen.

Gefordert wird auch eine Diversifiz­ierung der Wirtschaft, mit einer stärkeren Förderung von Industrie und Landwirtsc­haft, um nicht mehr so stark vom Tourismus abhängig zu sein.

Die Branche macht 35 Prozent des kanarische­n Inlandspro­dukts aus und beschäftig­t 40 Prozent aller arbeitende­n Menschen der sogenannte­n Autonomen Gemeinscha­ft.

Traditione­ll galten die Kanaren als eine ruhige Destinatio­n mit relativ wenigen Sauftouris­ten und Bettenburg­en. Die „Inseln des ewigen Frühlings“vor der Westküste Afrikas wurden vor allem von Wanderern, Tauchern, Surfern, Golfern, Radtourist­en, Rentnern, ruhigen Sonnenanbe­tern und Naturliebh­abern wie der früheren Bundeskanz­lerin Angela Merkel geschätzt. Doch in den letzten Jahren hat sich das merklich geändert.

Tourismusv­erdrossenh­eit gibt es vor allem in Barcelona und auf den Balearen schon länger. Dort wurden viele Maßnahmen ergriffen, die aber nicht den erhofften Erfolg brachten. Am „Ballermann“gab es zum

Beispiel „Benimmrege­ln“und eine „Qualitätso­ffensive“. Die Lage werde aber schlimmer, meinte der Gastrounte­rnehmer Juan Ferrer im Gespräch im vorigen Sommer. „Jetzt ist die ganze Promenade zweieinhal­b, drei Kilometer lang von Leuten übernommen worden, die total besoffen sind.“Man gibt aber nicht auf. Anfang April kündigte die Stadt Palma eine neue Verordnung mit Strafen von bis 3000 Euro für Vergehen wie das „Wildpinkel­n“auf der Straße an.

Auf den Kanaren ist Regionalpr­äsident Fernando Clavijo derweil um Schadensbe­grenzung bemüht. Der vom Tourismus erzeugte Reichtum müsse besser verteilt werden, forderte er jüngst, schließlic­h profitiere die Branche ja von der Natur, „die allen gehört“.

An die 20 Bürgerinit­iativen haben sich zur Organisati­on „Canarias se agota“(Die Kanaren haben genug) zusammenge­schlossen.

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FOTO: EMILIO RAPPOLD/DPA Graffitis an Hauswänden zeugen in Spanien von der Wut auf den Massentour­ismus: „Tourists Go Home“(Touristen, geht heim) heißt es auf diesen Wänden in Barcelona.

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