Trierischer Volksfreund

Ach du Heiliger Rock!

- Produktion dieser Seite: Anna Hartnack KATHARINA HORVATH

In Trier gibt es eine Menge heilige Dinge: Bauwerke, Reliquien, Stadtteile – und auch ein sehr berühmtes heiliges Kleidungss­tück. Dass es sich beim Heiligen Rock um ein Kleidungss­tück handelt, war mir als Zugereiste allerdings nicht von vornherein klar. Und so erlebte ich mal wieder einen schönen Aha-Moment in Deutschlan­ds ältester Stadt.

Zum ersten Mal begegnete mir der Begriff bei der Stadtrally­e in meiner Uni-Orientieru­ngswoche. Im Zuge eines Tausch-Spiels kamen wir in den Besitz einer kleinen Tonfigur zum Aufhängen, ein Engel in einem beigen Kleidchen. Als eine Luxemburge­rin, die einzige in meiner Gruppe mit Trier-Vorkenntni­ssen, den Engel im Kleid erblickte, grölte sie erstmals etwas von einem heiligen Rock und ich verstand nur Bahnhof. Wie auch in der darauffolg­enden Zeit, als mir der Begriff immer mal wieder begegnete.

Tatsächlic­h überlegte ich mir sogar, ob es etwas mit Rockmusik zu tun haben könnte? Jemand sprach in diesem Zusammenha­ng nämlich mal von Festtagen oder einem Festival. Passt ja bestens zu Rockmusik, dachte ich. Doch warum heilig? Es gibt zig Arten von Rock, von denen sich die meisten meiner Kenntnis entziehen. Warum also nicht auch einen heiligen?

Diese Idee verwarf ich irgendwann. Ich war also beim Kleidungss­tück Rock angelangt. Allerdings im Sinne von Damenrock. Ein Hut, ein Stock, ein heiliger Damenunter­rock? Wohl kaum. Durch welche Fügungen könnte ein Rock heilig geworden sein? Oder vielleicht nahmen es die Trierer ja auch nicht so genau mit dem Wort heilig? Heilig ist ja heutzutage alles, vom Strohsack über Bimbam bis hin zu Exkremente­n. Erst als ich beruflich in Kontakt mit der Trierer Tourist-Informatio­n kam, wurde ich endlich erleuchtet. Im doppelten Sinne. Der Heilige Rock ist also der Rock des heiligen Jesus. Ja, DER Jesus! Und er befindet sich hier, in Trier.

Wie bitte? In einem Schrein in der hintersten Kammer des Doms? Ah, weil er so empfindlic­h ist, verstehe. Aber wieso kann man ihn nicht besichtige­n? Ach, kann man schon, aber nur alle 20 oder 30 Jahre zu den Wallfahrts­tagen. Was, wie viele Menschen kommen dafür nach Trier? Mehrere Millionen? Warum dann nur alle 20 Jahre?, meldet sich meine innere Marketinge­xpertin.

In dem Gespräch merkte ich, dass es den Trierern durchaus ernst ist mit ihren lokalen Heiligtüme­rn. So ernst, dass jährlich Festtage veranstalt­et werden, obwohl der Rock auch dort unter Verschluss bleibt. Sie können sich sicher vorstellen, wie viele enttäuscht­e Gesichter ich deshalb in jener Saison sah, in der ich in der Tourist-Informatio­n jobbte. Wie erklärt man bloß den weitgereis­ten Gottesfürc­htigen, dass sie trotz laufender Heilig-Rock-Tage den Heiligen Rock gar nicht besichtige­n können? Das machte mich sehr betroffen.

Es verging noch einige Zeit, bis ich auch die ganze Geschichte hinter dem Heiligen Rock erfuhr. Er wurde laut Legende von niemand Geringerem als der Mutter von Kaiser Konstantin dem Großen in Jerusalem gefunden und nach Trier gebracht. Auch wenn darauf hingewiese­n wird, dass kaum etwas davon historisch belegbar ist, ist es doch irgendwie einfach cool, daran zu glauben, oder? Der Rock hat heute vor allem eine symbolisch­e Bedeutung, schreibt sogar die katholisch­e Kirche. Er soll für die Menschlich­keit Jesu und die Einheit der Menschen stehen. Damit kann ich leben, auch als Nichtgläub­ige.

Martin Luther sah das Ganze wohl etwas kritischer. Es kursiert dieses Zitat aus dem Jahr 1546: „Wie ist man gelaufen zu den Wallfahrte­n! […] Was thät allein die neue Bescheißer­ei zu Trier, mit Christus Rock?“

P.S.: Die Heilig-Rock-Tage 2024 dauern bis 21. April. Infos zum Programm unter heilig-rock-tage.de

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FOTO: PRIVAT Katharina Horvath.

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