Wenn angehende Architekten sich im Kaufhaus austoben dürfen
Bisher steht nur eines der drei großen Kaufhäuser Triers leer. Doch für dieses eine Gebäude ist es wohl schwierig, eine neue Nutzung zu finden. Studierende der Hochschule Trier haben sich da etwas ausgedacht.
Vor der Tür interpretiert ein Straßensänger Kompositionen von Bob Dylan. Drinnen gibt es nichts mehr zu kaufen. Das ist abgesehen von einem kurzen Zwischenspiel des Textil-Outlet-Händlers Troys seit rund dreieinhalb Jahren Alltag im früheren Karstadt-Gebäude. Mitte Oktober 2020 schloss der GaleriaKaufhaus-Konzern das Kaufhaus Ecke Simeonstraße/Moselstraße. Was von Karstadt übrigblieb, haben nun Studierende zu zwei Installationen zusammengefügt. In einer langen Reihe haben sie Fundstücke aufgestellt. Angefangen von der Zigarettenkippe bis zur Ausstellungsvitrine. Zudem haben sie Reklameschilder kunstvoll zusammengelegt und damit ein neues, großformatiges Bild geschaffen. Die Studierenden der Hochschule Trier sind jedoch nicht zum Aufräumen in die Karstadt-Immobilie gekommen. Sondern sie zeigen, was man mit dem Gebäude alles anstellen kann.
Rund 100 angehende Architektinnen und Architekten haben im Rahmen von Semesterarbeiten ihre Ideen zu Papier gebracht und Modelle erstellt. Zu sehen ist nur ein kleiner Ausschnitt der Arbeiten, sagen die betreuenden Professoren Robert Thum und Jan-Henrik Hafke. Sie hatten den Studierenden zur Aufgabe gestellt, aus der Immobilie eine Weinakademie zu machen. Es hätte genauso gut
eine Markthalle sein können. Doch damit hatten sich bereits andere Studierende beschäftigt, die eine neue Nutzung für die Feuerwache am Barbaraufer erdacht hatten. Und das Thema Wein passt sehr gut nach Trier. Weil die Stadt inmitten eines großen Anbaugebiets ist. Und weil das Thema Wein jenseits des Weinfests in Olewig und des Weinstands in der Fußgängerzone für den Tourismus durchaus noch aktiver in Wert gesetzt werden könnte.
Wie gesagt: Im Erdgeschoss des Karstadt-Hauses ist nur ein Ausschnitt der Ideen der Studierenden zu sehen. Doch selbst dann, wenn man alle Arbeiten gezeigt hätte, wäre noch reichlich Platz im Gebäude ungenutzt geblieben. Denn es gibt drei oberirdische Geschosse sowie zwei Untergeschosse. In bester Lage in der Fußgängerzone. Das Grundstück gehört einer Erbengemeinschaft, das Gebäude einer Immobiliengesellschaft. Einst wurden dort auf rund 12.000 Quadratmetern Waren angeboten.
Bei der Vorstellung der Arbeiten der angehenden Architekten macht
Dekan Professor Matthias Sieveke auf die Herausforderungen deutlich, vor denen die Verantwortlichen nicht nur in Trier stehen. Das Kaufhaus sei eine Erfindung der Wirtschaftswunderzeit. Nach dem Krieg habe erst Mangel geherrscht. Dann habe man zeigen wollen, was man alles hat. Es entstanden Kaufhäuser. Sie seien somit eine Idee des vergangenen Jahrhunderts. Junge Menschen könnten mit diesem alten Nutzungskonzept nichts anfangen. Die Aufgabe besteht nach Ansicht des Professors nun darin, möglichst ressourcenschonend etwas Neues zu entwickeln.
Mit dieser Marschrichtung laufen die Studierenden und Professoren bei Dezernent Ralf Britten offene Türen ein. In seine Zuständigkeit bei der Stadtverwaltung fällt es, die Innenstadt zu entwickeln. Nicht zuletzt die Corona-Epidemie habe gezeigt, dass die alten Grundsätze der Stadtplanung nicht mehr funktionieren. Bis vor wenigen Jahren sei sich an der Charta von Athen orientiert worden. Das ist ein 1933 bei einem internationalen Städtebaukongress verfasstes Dokument, das eine grundsätzliche Trennung der städtischen Nutzungsflächen nach den Daseinsgrundfunktionen Wohnen, Arbeiten, Erholen und Verkehr für eine geordnete Stadtentwicklung fordert. „Das Ergebnis davon ist, dass die Innenstadt während Corona teilweise ausgestorben war, da die Einzelhandelsgeschäfte geschlossen hatten“, sagt Britten. Man müsse verstehen, dass eine Stadt mehr sei als eine reine Einkaufsmeile.
Inzwischen setzt sich diese Erkenntnis durch. Dieses Umdenken ist 2020 in der neuen Leipzig-Charta zusammengefasst worden. Sie beschreibt drei übergeordnete Dimensionen und dazugehörige Leitziele, die es gilt, integriert und im Zusammenhang
zu denken: Dies sind die gerechte, die grüne und die produktive Stadt. Hinzu kommt die Digitalisierung als Querschnittsaufgabe. Wobei auch Christdemokrat Britten keine Probleme mit dem Wort grün haben wird. Denn es umschreibt nur das Ziel, Städte umwelt- und klimafreundlich zu entwickeln.
Die Studierenden interpretieren die neuen Anforderungen an das alte Gebäude unterschiedlich. Bei einem Entwurf thront eine ganze Reihe von Gewächshäusern auf dem Dach, bei einem anderen sind es Pergolen, an denen Weinreben ranken. Doch vor allem eine Sache findet sich bei vielen Ideen wieder: mehr Licht. Wie bei vielen anderen Kaufhäusern spielte auch bei der Planung des Karstadt-Gebäudes, das 1975 als Neckermann-Kaufhaus seine Pforten öffnete, natürliches Licht keine große Rolle. Neben einem Ausstellungsbereich und dem historischen Keller umfassen die Konzepte zudem Verköstigungsund Verkaufsbereiche, Akademieräume für Forschung und Lehre sowie zur breiteren Vermittlung ein Auditorium, eine Bibliothek und temporäre Wohnungen.
Was sich die Studierenden alles ausgedacht haben, können sich auch Interessierte anschauen. Die Ausstellung studentischer Arbeiten „In großen Lagen – Umnutzung des ehemaligen Karstadt-Kaufhauses“ist von Dienstag, 16. April, bis einschließlich Samstag, 20. April, jeweils von 15 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei.