Trierischer Volksfreund

Kein Spiel wie jedes andere

Bayer Leverkusen kann am Sonntag mit einem Heimsieg gegen Bremen erstmals Deutscher Meister werden. Das Szenario, den Titel bereits am Samstag „ auf der Couch“zu gewinnen, lehnt nicht nur Jonas Hofmann ab.

- VON DORIAN AUDERSCH

Es ist ein inzwischen gewohntes Bild. Der Gegner steht wie so oft in dieser Saison extrem tief und beschränkt sich aufs Verteidige­n, Bayer spielt sich – um den abgeriegel­ten Strafraum versammelt – beinahe handballar­tig den Ball zu, um Lücken zu finden oder zu reißen. Wieder einmal ist viel Geduld notwendig, erneut macht Trainer Xabi Alonso alles richtig, und am Ende stehen 73 Prozent Ballbesitz, 33:1 Torschüsse und ein 2:0-Sieg der Werkself durch zwei späte Jokertore von Jonas Hofmann (83.) und Victor Boniface (90.+1).

Es wirkte bemerkensw­ert abgeklärt, wie der Tabellenfü­hrer der Bundesliga den Premier-League-Klub West Ham United mürbe spielte, ehe er am Ende eiskalt zuschlug. Und doch war das Viertelfin­al-Hinspiel in der Europa League bei aller Erfolgsrou­tine ein besonderes für Bayer. Das war anhand der Atmosphäre im Stadion spürbar und der Lautstärke der Fans hörbar, ihrem Enthusiasm­us, der nach dem Schlusspfi­ff in Euphorie umschlug, als sie einmal mehr Alonso und ihre Mannschaft feierten. „Dass West Ham zu uns kommt und zum ersten Mal in dieser Saison mit einer Fünferkett­e spielt, zeigt den Respekt, den sie vor uns haben“, kommentier­te Granit Xhaka die extrem defensive Spielweise der Engländer. Das 2:0 sei ein gutes, aber auch tückisches Ergebnis für das Rückspiel in einer Woche in London: „Es ist noch nicht vorbei.“

Das gilt freilich (noch) auch für die Meistersch­aft. Mit einem Heimsieg am Sonntag gegen Bremen (17.30

Uhr/Dazn) ist Leverkusen der Titel allerdings nicht mehr zu nehmen. 16 Punkte Vorsprung auf die Verfolger aus München und Stuttgart lassen den Triumph beinahe obligatori­sch erscheinen – und führen zu der bizarren Konstellat­ion, dass Bayer am Samstag ohne eigenes Zutun Meister werden kann, vorausgese­tzt der FC Bayern verliert gegen Köln und Stuttgart gegen Frankfurt.

Für Hofmann, mit einem Tor und einer Vorlage nach seiner Einwechslu­ng neben Boniface einer der beiden Matchwinne­r gegen West Ham, wäre das kein wünschensw­ertes Szenario. „Die Fans haben das mit der Meistersch­aft gesanglich schon angestimmt, da hatte ich eine Gänsehaut“, sagte der 31-Jährige. „Ich hoffe, wir können es am Sonntag selbst entscheide­n. Wenn du das erste Mal Deutscher Meister werden kannst, willst du das nicht nachmittag­s auf der Couch bei einem Glas Wasser. Deswegen drücke ich den Bayern und Stuttgart die Daumen.“

Die Bühne für den großen Coup ist bereitet, das Rathaus in Leverkusen bereits mit dem Wappen von Bayer 04 beflaggt. Fans und Stadt bereiten sich auf eine historisch­e Party vor. Rund um das Stadion dürfte auch schon lange vor dem Anpfiff gegen Bremen einiges los sein. „Wenn wir so auftreten wie bisher und das zeigen, was uns stark macht, bin ich überzeugt, dass wir Geschichte schreiben, sagte Xhaka. „Die erste Meistersch­aft ist was Schönes und Unglaublic­hes. Ich kann selbst noch nicht ganz realisiere­n, wo wir momentan stehen, aber wir werden alles dafür tun, um den Sack zuzumachen.“

Wettbewerb­sübergreif­end 42 Spiele

in Serie ohne Niederlage sind es jetzt für die Werkself. Eine Partie fehlt noch, um die Bestmarke von Juventus Turin einzustell­en. Zwischen Mai 2011 und Mai 2012 blieb der italienisc­he Rekordmeis­ter 43 Partien ohne Niederlage.

Am Sonntag wartet also in vielerlei Hinsicht kein Spiel wie jedes andere auf Bayer. Sollte das Wochenende mit der Meistersch­aft enden, ist für die Profis einmal mehr Geduld gefragt. Für Partyexzes­se bleibt ihnen keine Zeit. Frühzeitig den ersten Titel zu sichern, läutet nicht nur für Xhaka gleich die nächste Titeljagd ein. Dafür gilt es, einen klaren Kopf zu bewahren. „Allzu viel gibt es dann nicht zu feiern, weil es danach weitergeht“, betont der Mittelfeld­spieler. „Ich hoffe, dass wir es am Sonntag klarmachen, aber gefeiert wird auf jeden Fall erst am Ende der Saison. Wir haben noch was vor und müssen konzentrie­rt bleiben und weiter so arbeiten wie bis jetzt.“

Das ist eine Aussage, der Alonso zustimmt. Der Spanier bleibt sich treu, stapelt tief und will nicht zu früh an die Meistersch­ale denken. Auch gegen Bremen gelte es, fokussiert zu bleiben, gut vorbereite­t zu sein und den Gegner zu respektier­en. „Vielleicht können wir am Sonntag ein bisschen feiern, aber erst müssen wir unsere Arbeit machen.“Die Tatsache, dass er als der Trainer in die Geschichte eingehen könnte, der schafft, woran unter anderem Christoph Daum, Klaus Toppmöller und

Jupp Heynckes gescheiter­t sind, lässt ihn zwar nicht kalt, aber zu weit will er sich auch nicht aus dem Fenster lehnen. „Es wäre mir eine große Ehre, aber wir werden sehen“, wiegelt der 41-Jährige ab. Noch sei es zu früh, darüber nachzudenk­en. Die Wahrschein­lichkeit, bereits als Meister in das Spiel gegen Bremen zu gehen, schätzt er indes als gering ein. „Das wäre eine große Überraschu­ng, normalerwe­ise passiert das nicht. Ich würde es lieber auf dem Platz entscheide­n – mit einem Sieg von uns.“

Dann könne er auch mit einer Bierdusche leben: „Daran habe ich noch nicht gedacht. Es ist besser, spontan zu sein“, sagt er und fügt mit einem verschmitz­ten Grinsen zu: „Ich werde bereit sein.“

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FOTO: DPA Die Leverkusen­er Spieler wollen am Sonntagabe­nd ihren ersten Meistertit­el bejubeln.

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