Trierischer Volksfreund

Irans Gegenschla­g mit Showeffekt

Der Iran erklärt die Konfrontat­ion mit Israel nach dem Gegenansch­lag in der Nacht zum Sonntag für beendet. Israel allerdings wappnet sich derweil seinerseit­s zum Gegenschla­g; noch gibt es aber Hoffnung auf Deeskalati­on.

- VON THOMAS SEIBERT

Die letzte iranische Rakete war gerade über Israel verglüht, da erklärte Teheran die Konfrontat­ion mit dem jüdischen Staat für beendet. „Die Angelegenh­eit kann als erledigt betrachtet werden“, teilte die iranische UN-Botschaft rund zwei Stunden nach Beginn des iranischen Großangrif­fs in der Nacht zum Sonntag mit. Kurz darauf meldete sich Mohammad Bagheri, der Generalsta­bschef der iranischen Armee,

mit einer ähnlichen Botschaft: Weitere Angriffe auf Israel seien nicht geplant. Der Führung in Teheran ist klar, dass es nach dem ersten iranischen Angriff auf Israels Staatsgebi­et eine militärisc­he Antwort der Israelis geben wird. Doch das Regime signalisie­rt, dass es keinen Krieg will.

Mit dem Abschuss von mehr als 300 Drohnen, Raketen und Marschflug­körpern auf Israel wollte der Iran nach innen wie nach außen militärisc­he Stärke demonstrie­ren. Auch Verbündete wie die Hisbollah-Miliz im Libanon und die Huthi-Rebellen im Jemen machten mit. Staatsmedi­en veröffentl­ichten am Sonntag Fotos und Videos von feiernden Regime-Anhängern im Iran und fahnenschw­enkenden Israel-Gegnern im Irak, im Libanon und im Westjordan­land. General Hossein Salami, Kommandant der iranischen Revolution­sgarde, lobte den Angriff als „Erfolg, der die Erwartunge­n übertroffe­n hat“. Dass es in Israel kaum Schäden und Verletzte gab, erwähnte er nicht.

Teheran reagierte mit dem Beschuss

auf einen israelisch­en Luftangrif­f auf das iranische Konsulat in Syriens Hauptstadt Damaskus, bei dem Anfang April zwei iranische Generäle getötet wurden. Bei ihrer Antwort verzichtet­e die iranische Führung auf jeden Überraschu­ngseffekt: Sie kündigte die Vergeltung seit zwei Wochen fast täglich an und entschied sich für die offensicht­lichste Option – den Angriff aus der Luft auf israelisch­es Gebiet. General Bagheri sagte, zu den Zielen des Irans habe die israelisch­e Luftwaffen­basis gehört, von der aus der Angriff in Damaskus gestartet worden sei. Die israelisch­e Flugabwehr und die Verbündete­n USA, Großbritan­nien, Frankreich und Jordanien waren vorbereite­t und wehrten den Beschuss fast vollständi­g ab.

Dennoch sei der Angriff aus der Perspektiv­e des iranischen Regimes eine „gesichtswa­hrende Machtdemon­stration“gewesen, sagt Ali Fathollah-Nejad, Gründungsd­irektor der Berliner Denkfabrik CMEG. Teheran habe damit auf die wachsende Kritik aus den Reihen seiner regionalen Verbündete­n reagiert, sagte Fathollah-Nejad unserer Zeitung: Bisher hatte der Iran eine Konfrontat­ion mit Israel vermieden und dies mit dem Schlagwort „strategisc­he Geduld“begründet – doch pro-iranische Kämpfer im Irak und in anderen Ländern beklagten, sie müssten den Kopf dafür hinhalten.

Die Art des Angriffs legt nahe, dass Teheran nicht damit rechnete, Israel empfindlic­h treffen zu können. Der Iran schickte 185 Drohnen, 110 Raketen und 36Marschfl­ugkörper in Richtung Israel, wie die „New York Times“unter Berufung auf israelisch­e Quellen meldete. Das bedeutet, dass mehr als die Hälfte der eingesetzt­en Waffen relativ billige und langsame Drohnen waren – leichte Beute für die Abfangjäge­r des Gegners: Die meisten Drohnen seien von israelisch­en und amerikanis­chen Kampfjets abgeschoss­en worden, bevor sie ihre Ziele in Israel erreichten, berichtete die Nachrichte­nagentur Reuters unter Berufung auf westliche Geheimdien­stquellen. Auch reichte

die Gesamtmeng­e an Drohnen und Raketen bei Weitem nicht aus, um die israelisch­e Luftabwehr durch einen Massenangr­iff zu überforder­n.

Für Teheran sei aber vor allem der Show-Effekt wichtig, sagt Arash Azizi, Iran-Experte an der ClemonsUni­versität in den USA. „Das Regime kann sich jetzt zum Sieger ausrufen und sogar Bilder von Raketen über der Al-AksaMosche­e vorweisen“, sagte Azizi unserer Zeitung; die Moschee im Herzen Jerusalems ist eines der wichtigste­n Heiligtüme­r des Islam. Doch konkret habe die Aktion für den Iran wenig gebracht, meint Azizi. „Es sah inszeniert aus, und womöglich hatten die Iraner den Amerikaner­n vorher

sogar Bescheid gesagt.“

Irans Außenminis­ter Hossein Amirabdoll­ahian bestätigte Azizis Annahme laut Reuters indirekt: Teheran habe den USA vor dem Angriff darüber informiert, dass der Beschuss auf Israel „begrenzt“ausfallen werde und nur der Selbstvert­eidigung diene. „Es ist klar, dass der Iran Stärke zeigen und auf den Angriff von Damaskus reagieren wollte, ohne den Konflikt weiter eskalieren zu lassen“, sagte Azizi.

Ob das gelingt, war am Sonntag offen. Israel erklärte, anders als vom Iran erhofft sei die Auseinande­rsetzung noch nicht zu Ende. Irans Generalsta­bschef Bagheri antwortete, seine Armee werde einem israelisch­en

Gegenschla­g „eine viel größere Reaktion als die von heute Nacht“entgegense­tzen. Teheran warnte die US-Regierung nach den Worten von Bagheri davor, sich an einem israelisch­en Militärsch­lag gegen den Iran zu beteiligen. In diesem Fall würden US-Stützpunkt­e in Nahost unter Beschuss genommen.

Nach dem iranischen Angriff könnten beide Kontrahent­en einen Erfolg für sich reklamiere­n, meint Iran-Experte Fathollah-Nejad. Der Iran könne darauf verweisen, dass er Israel eine Botschaft der Abschrecku­ng geschickt habe, während Israel vermelden könne, dass die meisten iranischen Geschosse abgefangen wurden. „Solch eine Win-Win-Situation könnte eine Deeskalati­on ermögliche­n“, sagte Fathollah-Nejad. Viele Menschen in der Region hoffen das auch.

„Die Angelegenh­eit kann als erledigt betrachtet werden.“Die iranische UN-Botschaft nach Beginn des iranischen Großangrif­fs

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FOTO: TOMER NEUBERG/JINI/XINHUA/DPA Flammen von Explosione­n waren in der Nacht zum Sonntag am Himmel über Tel Aviv zu sehen, während Israels Raketenabw­ehrsystem Raketen und Drohnen aus dem Iran abfing.

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