Ein Jahr Sudan-Konflikt – Hunger, Flucht und düstere Aussichten
Der Machtkampf zweier Generäle hat ein ganzes Land in die Katastrophe gestürzt. Ein Jahr nach Beginn des Konflikts im Sudan ist kein Ende in Sicht.
(dpa) Es sind über Tausend Menschen, manchmal auch mehrere Tausend, die täglich zu Fuß oder mit Eselskarren die staubige Landstraße entlangziehen. Am Grenzposten Joda an der Grenze zwischen dem Sudan und dem Südsudan können sie wieder durchatmen – zum ersten Mal seit Wochen oder Monaten. Sie wollen nach Renk im Südsudan. Die kleine Stadt ist seit Beginn des Konflikts im Nachbarland erstes Ziel der Flüchtlinge aus dem Sudan.
Der Machtkampf zwischen dem sudanesischen De-facto-Machthaber Abdel Fattah al-Burhan und seinem damaligen Stellvertreter Mohamed Hamdan Daglo hat in den vergangenen zwölf Monaten die mittlerweile größte Flüchtlingskrise weltweit ausgelöst. Nach jüngsten Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks sind 8,6 Millionen Menschen innerhalb des Sudans und in den Nachbarländern auf der Flucht vor den Kämpfen zwischen der Regierungsarmee SAF und Daglos Miliz RSF.
Als am 15. April 2023 in der sudanesischen Hauptstadt Khartum die ersten Schüsse fielen, dachten viele noch, es werde in ein paar Tagen vorbei sein, als sie mit dem Nötigsten flohen. Zehntausende saßen wegen der Kämpfe und Luftangriffe in ihren Wohnungen fest und konnten sich nicht außerhalb Khartums in Sicherheit bringen.
Inzwischen liegt Khartum nach Berichten von Augenzeugen in weiten Teilen in Trümmern. Die Kämpfe zwischen SAF und RSF haben sich in den vergangenen zwölf Monaten auf weite Teile des Landes erstreckt und in den vergangenen Wochen noch einmal deutlich intensiviert.
Christos Christou, der internationale Direktor von Ärzte ohne Grenzen, war vor wenigen Wochen in der westlichen Region Darfur. „Ganze Dörfer sind völlig niedergebrannt worden“, sagt er. „Die Menschen dort haben alles verloren, und sie erhalten keinerlei Hilfe.“El Geneina in West Darfur sei nach zwei Massakern arabischer Milizen an der zur Volksgruppe der Massalit gehörenden Bevölkerung eine Geisterstadt.
„Die Bedingungen in Darfur sind ähnlich schlimm wie vor 20 Jahren während des Völkermords. Aber im Gegensatz zu damals bekommt Darfur kaum Aufmerksamkeit“, sagt Dominic MacSorley von der Hilfsorganisation Concern. „Die Krise hat noch nicht ihren Höhepunkt erreicht, aber schon jetzt sterben Kinder.“
Denn im Sudan droht nach Angaben von UN-Experten eine Hungerkatastrophe – umso mehr, seit die RSF im vergangenen Dezember in den Bundesstaat Jezira vorrückte, der wegen seines Getreideanbaus als Brotkorb des Sudans gilt.
Mindestens vier Millionen Kinder unter fünf Jahren sind akut unterernährt. Nach Angaben des Welternährungsprogramms WFP gelten 18 von 49 Millionen Menschen im Sudan als von akutem Hunger bedroht. Der weltgrößten Flüchtlingskrise könnte die größte Hungerkrise der Welt folgen, warnt das WFP.
Auf der internationalen Geberkonferenz, die am Montag in Paris beginnt, wird es um Hilfsmaßnahmen und dringend benötigte Gelder gehen. Doch neben der Finanzierung der Hilfe, so ist von Helfern im Sudan immer wieder zu hören, ist das große Problem der Zugang zu Menschen, die Lebensmittel oder Medikamente brauchen. Die Regierungsbehörden verweigern seit Monaten Genehmigungen für Transporte in Gebiete, die unter der Kontrolle der RSF stehen. RSF-Kämpfer haben wiederholt Lebensmittellager und Krankenhäuser geplündert. Teilweise ist es für die Helfer zu gefährlich, in Kampfgebieten zu arbeiten.
„Das ist vor allem ein Krieg gegen Frauen und Mädchen“, sagt Sofia Sprechmann Sineiro von der Hilfsorganisation Care angesichts der geschlechtsspezifischen und sexuellen Gewalt, die den Kämpfern beider Seiten, vor allem aber der RSF und den mit ihr verbündeten Milizen vorgeworfen wird. So ist in einem Bericht von Experten an den UNMenschenrechtsrat
von Sklavenmärkten die Rede, auf denen unter anderem in Nord Darfur Frauen und Mädchen als Sexsklavinnen verkauft werden.
In den Flüchtlingslagern im Südsudan oder im Tschad, in die Hunderttausende aus dem Sudan geflohen sind, berichten Betroffene von Vergewaltigungen in ihren Häusern, an Checkpoints, während der Flucht. So etwa die junge Frau, die noch zur Schule ging und mit ihren jüngeren Geschwistern zu Beginn der Kämpfe alleine zu Hause war, als dort zehn Kämpfer eindrangen und sie vergewaltigten. Doch viele Überlebende sexueller Gewalt berichten nur andeutungsweise, was ihnen zugestoßen ist oder schweigen aus Scham – zu groß ist das kulturelle Stigma, zu groß die Angst, als „unrein“von der Familie verstoßen zu werden.