Von fliegenden Autos und klaren Ansagen: Auf Streife mit dem Ordnungsamt
Die Fußgängerzone in Trier ist nun größer. Das bedeutet noch mehr Arbeit für die Männer und Frauen vom Ordnungsamt.
Ventile. Gut, die Dinger waren Marcel Nohl jetzt nie völlig fremd. Er hatte immer schon damit zu tun. Im weitesten Sinne. 28 Jahre Vertriebserfahrung in einem Trierer Autohaus liegen hinter ihm. Er war Verkaufsleiter, später stellvertretender Geschäftsleiter. Er kennt sich aus mit Autos, mit Ventilen. Er macht jetzt noch immer was mit Autos. Bisschen anders als früher. Früher, da flogen die Leute auf seine Autos. Heute, da lassen er und seine Leute die Autos fliegen. Also manchmal, nicht immer. Nur wenn es nicht anders geht…
Der Job im Autohaus? Geschichte. Corona. Die Pandemie veränderte alles. Auch für Marcel Nohl. Der Familienvater wollte mehr Sicherheit. Er kündigte, schob den Bürostuhl ein für alle mal unter den Schreibtisch und ging – und zwar zur Stadt, Ordnungsamt, Abteilung Verkehrsüberwachung. Das sind die, die sich um den – wie es immer so schön heißt – ruhenden Verkehr kümmern, parkende Autos zum Beispiel. Radfahrer in der Fußgängerzone, anderer Bereich, kümmert sich die Abteilung kommunaler Vollzugsdienst drum. Aber das nur am Rande.
Seit acht Monaten ist Marcel Nohl nun auf Triers Straßen unterwegs. Dunkelblaue Jacke, dunkelblaue Hose, schwarze Schuhe. An seiner Seite an diesem Mittwochnachmittag Anfang April: Kollege Lucas Lellig. Auch er hat bis vor Kurzem noch was ganz anderes gemacht, war Fachangestellter für Bäderbetriebe.
Die beiden, sie biegen gerade zu Fuß von der Neustraße in die Germanstraße ein, als von hinten diese Stimme ertönt: „Ihr kennt euch doch aus“, ruft der Mitarbeiter einer Trierer Heizungs- und Sanitärfirma den beiden zu. „Ist das“, ruft der Mann, „ist das jetzt eine Einbahnstraße, oder ist hier nur die Einfahrt verboten?“
Marcel Nohl dreht sich um. Er lacht. „Jetzt kommt es: Das ist eine unechte Einbahnstraße.“Alle lachen. Kurz. Dann hat der Herr vom Handwerk eine Nachfrage: „Ist da also nur die Einfahrt verboten?“Nohl entgegnet: „Nee, nicht ganz. Aus Richtung Neustraße ist die Einfahrt verboten, aber wenn Sie jetzt hier ein Grundstück haben in der Straße, dann dürfen Sie nach links und rechts rausfahren.“Und nochmal zum Mitschreiben: „Auf NeuDeutsch: unechte Einbahnstraße.“Sachen gibt's. Egal. Jetzt lachen wieder alle.
Einer fuchtelt Baseballschläger
mit dem
Weil die Stimmung gerade so gut ist, möchte auch der Sanitär
Experte noch einen zum Besten geben. Gut, hat jetzt direkt nichts mit Einbahnstraßen zu tun, auch nicht mit unechten, dafür mit Ventilen. Kann man auch mal drüber reden. Warum nicht? Also: „Wir haben ein Ventil für die Heizung, da steht in der Beschreibung was von einer Re-Open-Function, eine Wiederöffnungsmöglichkeit – in anderen Worten ,handbetrieben`. Kein Wort Englisch, kein Wort Französisch, alles auf Deutsch: Aber da steht: ,mit Re-Open-Function`. Da war ich zum Großhandel und habe erstmal ein Ventil gesucht mit Re-Open-Function.“Der Handwerker lacht. Marcel Nohl und Lucas Lellig lachen...
Ventile, so wichtig, einfach mal Dampf ablassen. Kann helfen. In so vielen Situationen. Der Dampf, den Marcel Nohl, Lucas Lellig und ihre Kolleginnen und Kollegen abbekommen, jeden Tag, wenn sich Ventile öffnen, dieser Dampf, der ist ziemlich dicht, ziemlich verrußt. Sie werden angeschrien, angepöbelt. Neulich, so erzählt es Marcel Nohl, hat auch schon mal einer mit dem Baseballschläger gefuchtelt. Die Stimmung, sie ist hitzig, aggressiv, teilweise hasserfüllt. Wie schön, dass es auch anders geht, wenn sich Ventile öffnen – und die, die öffnen sich seit vier Wochen noch häufiger als ohnehin schon.
Denn seit Anfang März ist alles anders in der Trierer Innenstadt: Die
Fußgängerzone, sie ist jetzt größer, länger, weiter. Neue Straßen gehören dazu. Heißt: weniger öffentliche Parkplätze, weniger Durchfahrtsmöglichkeiten, mehr Diskussionen... Wie sich das anhört? So: „Wir kennen uns doch jetzt schon ganz gut“, sagt Marcel Nohl in das geöffnete Seitenfenster eines weißen Lieferwagens hinein. Der 45-Jährige steht in der Straße am Viehmarktplatz, in seinem Rücken der üppige Glaskasten, der die Viehmarktthermen bedeckt. „Wie oft“, fragt Nohl mit ruhiger Stimme, „wie oft habe ich Ihnen das denn in den vergangenen Tagen schon erklärt? Das ist nun Fußgängerzone, Sie brauchen eine Ausnahmegenehmigung, wenn Sie hier durch wollen“. Der Fahrer zieht an seiner Zigarette, nickt, ja, er wisse das, habe auch schon mit seinem Chef gesprochen, aber bekomme keine Ausnahmegenehmigung. „Dann können Sie hier nicht mehr durchfahren, so ist das. Wenn wir uns hier noch mal sehen heute, dann wird's teuer“, betont Nohl. Der Fahrer nickt noch einmal, wendet seinen Wagen und schleicht davon. Immerhin. Ist schließlich Fußgängerzone.
Klar hätte er dem Mann jetzt auch schon ein Ticket aus seinem kleinen mobilen Bluetooth-Drucker drucken können, den er am Hosenbund trägt. Befahren der Fußgängerzone ohne Ausnahmegenehmigung
macht mindestens 55 Euro. Wie gesagt: Hätte er machen können. Hat er aber nicht. Opportunitätsprinzip lautet das Stichwort. Danach handelt Nohls Behörde. Heißt: Das Ordnungsamt kann, muss aber keine Strafen aussprechen. Sieht bei der Polizei anders aus. Für die gilt das Legalitätsprinzip: Liegt der Verdacht einer Straftat vor, müssen sie einschreiten.
Er und seine Kollegen, das betont Marcel Nohl immer wieder, sie seien keine Maschinen, die einfach blind mit Strafzetteln um sich werfen. Im Gegenteil. Kommunikation sei alles. Wie es in den Wald hineinrufe, und so weiter … Vieles liege eben in menschlichem Ermessen. Und auch, wenn nicht jedes Gespräch sanft und einfühlsam geführt werden könne, mache ihm der Job, speziell der Kontakt mit den Passanten, großen Spaß. Er verdiene zwar weniger als in seinem alten Job, dafür gehe er jeden Abend heim und habe etwas Gutes getan. Denn: „Wir haben viel mit Gefahrenabwehr zu tun, Schwerbehindertenparkplätze oder Feuerwehrzufahrten freihalten zum Beispiel.“
„Völliger Pupes“Seine Kollegen und er, sie setzten sich ein für die Schwächsten der Gesellschaft, sagt Nohl und schiebt hinterher: „Wenn meine Kinder morgens zur Schule gehen, dann haben wir unseren Teil dazu beigetragen, dass keiner vor dem Fußgängerüberweg parkt.“
Aber ja, er wisse genau, dass viele Menschen denken, sie machten das, um die Stadtkassen zu füllen. Das sei – im Übrigen genau wie das Gerücht, es gebe Provision für geschriebene Strafzettel – „völliger Pupes“.
Marcel Nohl lebt seinen Beruf. Er mag es, wenn Gerechtigkeit herrscht. So war das schon damals, noch bevor er in die Automobilbranche wechselte, als er als Soldat im Einsatz war, im Kosovo unter anderem.
Lange vorbei. Jetzt erblickt der 45-Jährige einen blauen Kombi. Hamburger Kennzeichen, abgestellt in der Pfützenstraße in einem Bereich, der bis vor Kurzem noch als Parkplatz markiert gewesen ist. Heute nicht mehr. Parkfläche weg, Auto trotzdem da. Heißt: Strafzettel. Wären 55 Euro, hätte das Auto nicht schon ein Ticket am Scheibenwischer hängen.
„Hier“, sagt Marcel Nohl, „hier haben wir jetzt eine Erhöhung“. Bedeutet: Der Wagen wurde am Vormittag bereits von einem Kollegen
aufgenommen. Steht der Wagen auch drei Stunden nach Erhalt des ersten Tickets noch immer haargenau an derselben Stelle, werden aus den 55 mit einem Mal 70 Euro. Und obendrauf gibt's einen Punkt.
Dafür allerdings muss das mit den Ventilen stimmen. Und die kontrolliert Marcel Nohl nun. Genauer gesagt: Den Stand der Ventile an den Reifen des Wagens. Der wird beim Schreiben eines Strafzettels stets dokumentiert. Nohl schaut in sein Smartphone: „Bei der ersten Erfassung stand das Ventil vorne auf zwei,
hinten auf fünf Uhr. Das ist immer noch der Fall, wurde also nicht bewegt seitdem.“Der Hamburger Renault, er kommt dem Abschleppwagen immer näher.
Doch bevor es so weit ist, gibt die Stadt dem Halter noch eine Chance. Der Innendienst versucht nun über ein digitales Informationssystem, an den Besitzer zu kommen, ihn zu kontaktieren, ihm die Chance zu geben, das Auto umzuparken. „Das“, sagt Marcel Nohl, „das ist guter Wille von Trier, andere Städte machen das nicht, die schleppen direkt ab.“Trier eben, Stadt mit Herz. Wohnt der Halter um die Ecke, gehen Nohl und Lellig auch schon mal vorbei und klingeln.
Der Abschlepper kommt um Ecke
die Ist hier aber nicht der Fall. Der Innendienst kann keine Halterermitteln. „Leider nein, leider gar nicht“, ruft Lucas Lellig seinem Kollegen zu. „Okay, dann ruf mal an“, antwortet Nohl. Macht er, zehn Minuten später biegt der gelbe Abschlepper der Firma Fusenig um die Ecke.
Käme der Fahrer jetzt noch angerannt, gäb's ein Happy End. Ein
kleines jedenfalls. Doch sobald der erste Stützpoller des LKW den Boden erreicht, „isch over“, wie Wolfgang Schäuble einst zu sagen pflegte. Denn dann gilt der Einsatz als „voller Einsatz“. Heißt: Es wird teuer. Rund 400 Euro erwarten den Herrn, die Dame des Fahrzeugs nun, zusätzlich zu den 70 Euro und dem Punkt in Flensburg.
Zu finden sein wird der Wagen übrigens später in der Diedenhofener Straße, schickstes Eurener Gewerbegebiet. Da wird er staunen, der Hamburger ... „Die rufen dann
meistens bei der Polizei an“, weiß Marcel Nohl. „Dort bekommen sie die Info, wo der Wagen steht.“
Die Karosse aus der Hansestadt, die segelt gerade am Haken durch die Trierer Lüfte, da eilt Nohl schnell auf die andere Straßenseite. Dort haben Kollege Lellig und er kurz zuvor weitere Tickets verteilt. Unter anderem an einen schwarzen VW. Der Fahrer schlendert gerade heran.
Freundlich, aber bestimmt gibt's von Marcel Nohl ein paar Hintergrundinformationen. Alles entspannt, ganz locker. Jörg Kessler, so heißt er, der Inhaber des 55-Euro-Tickets, er gibt sich reumütig. „Dämlich“sei das von ihm, keine Frage. Er sei nur kurz zum Friseur gewesen, teuerster Haarschnitt seines Lebens. „Das wird mir nicht mehr passieren.“Kopfschütteln. Das Ticket, das werde er seiner Frau unterjubeln, verrät er lachend, als er schon im Auto sitzt. „Die weiß in drei Wochen eh nicht mehr, wo sie überall geparkt hat.“
Ventile – jeder hat eben so sein ganz eigenes.