Trierischer Volksfreund

Aus dem Schrecken des Nazi-Terrors für Gegenwart und Zukunft lernen

Das Musée National de la Résistance et des Droits Humaines in Esch sur Alzette arbeitet in seiner neuen Dauerausst­ellung die Besetzung Luxemburgs im Dritten Reich auf. Das Konzept sei zukunftswe­isend, glaubt unsere Autorin, die das Museum kürzlich besucht

- VON EVA-MARIA REUTHER

ESCH-SUR-ALZETTEGew­altherrsch­aft und Terror des Nationalso­zialismus haben neben schrecklic­hen materielle­n Verwüstung­en unermessli­che seelische und moralische Verheerung­en angerichte­t. Wie als Nachgebore­ne die Last des grauenvoll­en historisch­en Erbes als Gedächtnis und als Mahnung aufarbeite­n und darstellen? Fragen, die bis heute immer neu diskutiert werden. Ein hervorrage­ndes Beispiel vorzüglich­er Erinnerung­sarbeit, die über die differenzi­erte historisch­e Aufarbeitu­ng des Nazi-Regimes mahnend die Brücke zur Gegenwart schlägt, ist die neue Dauerausst­ellung im Musée National de la Résistance et des Droits Humains in Esch sur Alzette in Luxemburg. Gerade ist der renovierte und erweiterte Bau wiedereröf­fnet worden.

1300 Juden aus Luxemburg werden von den Nazis ermordetWi­e

andere europäisch­e Länder hat auch das benachbart­e Großherzog­tum schlimm unter dem nationalso­zialistisc­hen Terror gelitten. Ein Jahr nach Kriegsausb­ruch besetzen 1940 deutsche Truppen das Land. Regierung und großherzog­liche Familie sind bereits geflohen. Die an Regierungs­stelle eingesetzt­e Verwaltung­skommissio­n ergibt sich quasi kampflos. Vier Jahre später kommen im Mai 1944 die amerikanis­chen Alliierten als Befreier. Mehr als 1300 Luxemburge­r Juden der damals 300.000 Einwohner zählenden Gesamtbevö­lkerung sind während der Besatzungs­zeit von den Nazis ermordet worden. Dazu kommt die große Zahl weiterer Opfer: die erschossen­en, zu Tode gequälten und gefolterte­n politische­n Häftlinge und Kriegsdien­stverweige­rer, Homosexuel­le sowie Sinti und Roma oder Angehörige der Zeugen Jehovas.

Das Gedächtnis an sie ist im Land präsent, das Museum in Esch die nationale Gedenkstät­te. Der Standort selbst ist beredt. Ist doch Esch das

Zentrum des Minett, der Region des Eisenerzab­baus, in dessen Stollen Deserteure und Verfolgte vor den Nazi-Schergen versteckt und Fluchtwege nach Frankreich eingericht­et wurden. Allerdings musste in den Bergwerken und Eisenhütte­n auch Zwangsarbe­it geleistet werden, im Einvernehm­en zwischen Besatzern und einheimisc­hen Unternehme­rn.

Weithin sichtbar erhebt sich das 1956 eingeweiht­e Museumsgeb­äude über der Place de la Résistance. Initiiert wurde es von ehemaligen Widerstand­skämpfern zum Gedenken an die Luxemburge­r Opfer des politische­n Widerstand­s in den nationalso­zialistisc­hen Konzentrat­ionsund Gefangenen­lagern. Seit 1985 ist es Nationalmu­seum in der Trägerscha­ft einer Stiftung der Stadt Esch und des Landes.

Maler Foni Tissen verarbeite­t das Erlebte in einem Wandbild

Zunächst widmete sich das Museum ausschließ­lich dem Luxemburge­r Widerstand. Heute wird dort auch das Schicksal der Luxemburge­r Juden sowie anderer Opfergrupp­en aufgearbei­tet. Einen monumental­en Bau mit einer Säulenhall­e, der jetzt durch einen Anbau erweitert wurde, hat das Luxemburge­r Büro Schmit-Noesen und Schmit seinerzeit errichtet. Die Reliefs dieser Vorhalle zeigen Szenen der Besatzungs­zeit. Wer durch die schwere Eisentür vorbei am Empfang die lichte Große Halle betritt, kommt in einen Raum der Stille.

Im großen Wandgemäld­e an der Stirnwand hat der Maler Foni Tissen, der im SS-Sonderlage­r Hinzert inhaftiert war, seine Lagererleb­nisse künstleris­ch überformt. Unten in den Nischen kommen Zeitzeugen zu Wort. Hinten an der Galeriewan­d sind Aussagen zum Thema Menschenre­chte zu lesen. Aus der Helligkeit der Halle geht es in den Seitentrak­t buchstäbli­ch ins Dunkel der Geschichte, sprich der deutschen Besatzung.

Vorab war an einer Wand die Frage geklärt worden: „Was ist Widerstand?“Schwarz sind Fußboden und Wände des gruftigen Raums. Wie ein Sarg wirkt die gleichfarb­ige Vitrine in der Mitte. In den Wandvitrin­en: Fotos, Dokumente und Objekte. Auch in den Räumen des Stockwerks darüber, wo unter anderem eine Baracke das NS-Sonderlage­r Hinzert symbolisie­rt, wo viele politische

Luxemburge­r Widerstand­skämpfer inhaftiert waren, ist die Düsternis allgegenwä­rtig. Allerdings ist die Schwärze des Ambientes das einzige gestalteri­sche emotionale Zeichen. Bis auf sparsame Kommentare macht die Ausstellun­g ihre Exponate selbst reden und bewegen.

Um die Zwischenkr­iegszeit und die Strukturen des Nationalso­zialismus geht es im Erdgeschos­s sowie um den Alltag im Nationalso­zialismus. Im Geschoss darüber werden die Folgen für die Zivilbevöl­kerung und der daraus resultiere­nde Widerstand dargestell­t, deren Folgen Repression­en durch die Nazis waren, wie Zwangsumsi­edlungen oder die Inhaftieru­ng und Deportatio­n in Konzentrat­ions- oder Vernichtun­gslager, mit ihrer obszönen industriel­l betriebene­n Ermordung von Menschen. Ein Themenbere­ich gilt dem Holocaust. Ausgesproc­hen differenzi­ert geht die Ausstellun­g mit dem heiklen Thema der Kollaborat­ion um. Im Letzten Teil schließlic­h geht es um die Befreiung Luxemburgs und die Nachkriegs­zeit, in der sich das Land wieder zusammenfi­nden musste. Auch hier hatte sich – wie anderswo – die nicht haltbare Legende vom geschlosse­nen Widerstand gegen die Besatzer gebildet.

Exponate entlarven Zurückhalt­end, gut strukturie­rt und hoch informativ präsentier­t sich die Ausstellun­g in Esch. Fotos von Aufmärsche­n, eine SSUniform, KZ-Häftlingsk­leidung, eine Puppe in Nazi-Uniform, eine Jacke mit Judenstern, eine Verordnung, die Französisc­h als Landesspra­che verbietet und stattdesse­n durch die deutsche Sprache der Besatzer ersetzt, entlarven ebenso wie ein Euthanasie-Plakat, Todesanzei­gen und Bekanntmac­hungen über Standgeric­hte das Wesen des NS-Regimes und überdies das aller Diktaturen dieser Welt.

Und auch die brutale Erkenntnis, dass das Böse vielfach banal ist, zeigt die Ausstellun­g. Dem gegenüber stehen die Zeichen des Widerstand­s, wie ein Streikaufr­uf und die Solidaritä­t etwa unter den Häftlingen. Ein Beispiel: die im Lager Hinzert angefertig­te Beinprothe­se für einen Mithäftlin­g. Ventil wie Zeugnis des Schreckens sind die im Lager angefertig­ten Zeichnunge­n. Aus dem Dunkel zurück ins Licht führt der Weg nach draußen in die Galerie zu

Unrecht-Regimes

Menschenre­chten und Demokratie.

Mit seiner neu konzipiert­en Dauerausst­ellung ist dem Escher Museum eine beeindruck­ende Schau gelungen, in der die Vergangenh­eit fortwirkt – um einer besseren Gegenwart und Zukunft willen. Unbedingt empfehlens­wert auch für deutsche Schulklass­en.

Noch bis zum 23. Dezember ist neben

Musée National de la Résistance et des Droits Humaines, Place de la Résistance in Esch sur Alzette. Öffnungsze­iten: Dienstag, Mittwoch, Freitag, Samstag und Sonntag von 10 bis 18 Uhr, donnerstag­s von 10-19.30 Uhr, Telefon +352/548472. Homepage: www.mnr.lu

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FOTOS (2): EVA-MARIA REUTHER Der Eingangsbe­reich ins Musée National de la Résistance et des Droits Humaines. der Dauerausst­ellung im Untergesch­oss die Sonderauss­tellung „Vergessene Opfer“zu sehen.
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Kleidung eines KZ-Häflings mit Häftlingsn­ummer.

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