Die Makel der türkischen Sonnenküste
Die Türkei ist eins der beliebtesten Urlaubsländer der Deutschen. Während der türkische Staat ordentlich am Tourismus verdient, bleibt für die Arbeiter nicht viel übrig.
Die türkische Tourismusbereitet sich auf die Sommersaison vor. Antalya und andere Küstenregionen erwarten einen Rekordansturm von 60 Millionen Besuchern, denn die Türkei ist nicht nur sonnensicher, sondern auch billig. Für die Arbeiter und Angestellten im türkischen Tourismus hat das auch Schattenseiten.
Die Arbeitsbedingungen für das Personal im türkischen Tourismus seien miserabel, sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft Dev Turizm, Mustafa Yayhaoglu. „Gehen Sie in ein Hotel zum Vordereingang hinein, so kommen Sie in einen Palast; gehen Sie durch den Personaleingang, dann stehen Sie in einem Viehstall“, so Yayhaoglu. „Da läuft das Abwasser über den Flur, die Beschäftigten sind in Quartieren von bis zu acht Mann pro Zimmer untergebracht – und das im Fünf-Sterne Hotel.“
Der Tourismus ist eine der wichtigsten Devisen-Quellen für den türkischen Staat. Mehr als 50 Milliarden Dollar nahm die Fremdenverkehrsbranche im Jahr 2023 ein, 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Besucherzahlen haben sich in den vergangenen 20 Jahren fast verdreifacht. Urlauber aus Deutschland haben einen großen Anteil daran:
6,2 Millionen Bundesbürger reisten letztes Jahr in die Türkei. Nur Russland schickte bisher mehr Urlauber an türkische Strände: 6,3 Millionen waren es 2023. In diesem Jahr soll es weiter aufwärtsgehen, sagt Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy; er erwartet 60 Millionen Touristen, darunter sieben Millionen Deutsche, und 55 Milliarden Euro an Devisen.
Rekordeinnahmen ändern jedoch nichts am strukturellen Hauptproblem des türkischen Fremdenverkehrs: Das Land setzt seit Jahrzehnten auf Billigtourismus. Wegen des verbreiteten All-inclusive-Urlaubs, bei dem die Besucher für einen Pauschalpreis wohnen, essen und
trinken, geben Urlauber in der Türkei weniger Geld aus als anderswo. Der Wirtschaftsfachmann und Hotelmanager Emre Deliveli veranschaulichte dies in einem Beitrag für die Friedrich-Naumann-Stiftung mit einem Vergleich: 2019, im letzten Jahr vor der Pandemie, nahm die Türkei bei damals 45 Millionen Urlaubern rund 32 Milliarden Euro ein – im selben Jahr verdiente die Bundesrepublik sechs Milliarden Euro mehr am Tourismus, obwohl sie fünf Millionen weniger Besucher zählte als die Türkei.
Die relativ dünnen Gewinnmargen haben Folgen für die türkische Fremdenverkehrsbranche und
für die Beschäftigten. Viele Hotels scheuen die Kosten für Unterbringung, Ausbildung und Sprachkurse ihres Personals. Die Branche stützt sich größtenteils auf Saisonarbeiter. Hunderttausende Frauen und Männer verlassen zu Beginn der Sommersaison ihre Heimatstädte in armen Provinzen der Türkei, um in Hotels an der Küste zu arbeiten, und kehren am Ende des Sommers dorthin zurück. Während der langen Winterpause schlagen sich viele von ihnen durch, indem sie ihre Kreditkarten ausreizen und die Schulden der einen Karte mit der nächsten bezahlen, wie Gewerkschafter Yahyaoglu berichtet. Um ihre Schulden
abzubezahlen, müssen sie dann in der neuen Saison wieder im Tourismus arbeiten – „ein Teufelskreis“.
Gewerkschaften können kaum etwas für die Beschäftigten tun, denn von Waffengleichheit der Tarifpartner kann im türkischen Tourismus keine Rede sein. Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy ist selbst Tourismusunternehmer. Der Minister besitzt mehrere große Hotels in Antalya, eine Reiseagentur und eine Fluggesellschaft, wie Gewerkschafter Yahyaoglu beklagt: „Was soll ich da noch sagen?“Obwohl Ersoy seit sechs Jahren im Amt sei, habe er bisher alle Treffen mit seiner Gewerkschaft abgelehnt.