Trierischer Volksfreund

Brandt würde jetzt nicht auf Entspannun­g setzen

Warum die Ostpolitik der 1970er Jahre nicht als Vorbild für den Umgang mit Russland und Kremlchef Wladimir Putin taugt.

- VON WERNER KOLHOFF

In der SPD und darüber hinaus wird häufig die Entspannun­gspolitik Willy Brandts bemüht, um eine Antwort auf den heutigen Konflikt mit Russland zu finden. Reden statt schießen, Wandel durch Annäherung, Einbindung durch Verträge, das war und ist attraktiv und leitet die Aussagen von Politikern wie dem Fraktionsc­hef Rolf Mützenich, die so den Konflikt „einfrieren“wollen.

Dem liegt ein doppeltes Missverstä­ndnis zugrunde. Einmal, dass die Ostpolitik Frieden gebracht hätte. Und dann, dass sie als Modell für heute etwas tauge. Die Entspannun­gspolitik schuf zwar viele Kontakte zwischen der DDR und der Bundesrepu­blik. Für den Frieden viel entscheide­nder aber war, dass der Westen in jener Zeit zwischen 1970 und 1989 hoch gerüstet und entschloss­en war, jeden Angriff abzuwehren. Und weiterhin die Tatsache, dass die Sowjets mit der Zeit, spätestens mit Gorbatscho­w, keine Lust auf Konfrontat­ion mehr hatten.

Die Ostverträg­e regelten den Alltag in einer „knapp-nicht-Krieg“-Situation und entspannte­n die Lage. Sie erleichter­ten die Teilung – zementiert­en sie aber auch. Der hochgelobt­e Handel bestand zum Beispiel auch aus dem Handel mit Menschen, die die DDR zuvor willkürlic­h eingesperr­t hatte, etwa wegen versuchter „Republikfl­ucht“. Oder aus dem Handel mit Produkten, die von Vertrags- und Zwangsarbe­itern billig hergestell­t wurden. Für diese Art „menschlich­er Erleichter­ungen“bekam die DDR einen hohen Gegenwert. Nicht nur Devisen. Vor allen Dingen politische Anerkennun­g.

Bei Letzterem geriet die SPD damals regelrecht auf die abschüssig­e Bahn: Ihre Verhandler begannen sich mit ihren SED-Gesprächsp­artnern bereits zu duzen. Kontakte mit Bürgerrech­tlern wurden hingegen gemieden. Und noch 1984 forderte die Partei, die Zentrale Ermittlung­sstelle in Salzgitter für die Verfolgung von DDR-Staatsverb­rechen aufzulösen. Alle Schüsse an der Mauer wären dann folgenlos geblieben. Außerdem wollte sie die DDR-Staatsbürg­erschaft anerkennen – und die bundesdeut­sche damit DDR-Flüchtling­en vorenthalt­en. Sie hätten Asyl beantragen müssen. Alles um des lieben Friedens willen.

Am 9. November 1989 zeigte sich, was die SPD übersehen hatte: Die Menschen hinter der Mauer und ihr unteilbare­s Recht auf Freiheit und Selbstbest­immung. Und zudem, dass die Geschichte manchmal ganz andere, unerwartet­e Lösungen bereithält. Hier war es der Zusammenbr­uch der Diktatur. Nicht alle Sozialdemo­kraten konnten guten Gewissens in den Spiegel gucken, als die DDR unterging. Manche trauerten sogar. Willy Brandt nicht, er hatte das Spiel mit der Ostpolitik nie übertriebe­n und den Ruf nach Wiederhers­tellung der Einheit nie aufgegeben.

Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier haben mit Putin ebenfalls einen Weg der Verständig­ung gesucht, ganz nach Brandts Vorbild. Das Minsker Abkommen sollte die Konflikte um den Donbass regeln (da schon unter Inkaufnahm­e einer dauerhafte­n Annexion der Krim und unter Abschreibu­ng der Freiheitsr­echte ihrer Bewohner). Und die Ostsee-Pipelines sollten für wirtschaft­liche Vernetzung sorgen. Das ist bekanntlic­h am 24. Februar 2022 grandios gescheiter­t, als Russland die Ukraine überfiel. Putin hatte andere Ziele: Er wollte aus seinem Land eine totalitäre Kriegsdikt­atur machen und sich imperial nach Westen ausdehnen. Für Entspannun­gspolitik gibt es damit keinen Raum mehr. Wenn man schon an sie anknüpfen will, dann bitte so wie in den 70er und 80er Jahren: Mit starken Nato-Kräften, auch amerikanis­chen und deutschen, direkt an der Grenze des russischen Einflussbe­reiches, um alle weiteren Expansions­gelüste im Keim zu ersticken. Das hört man in der SPD freilich nicht.

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FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA Als Bundeskanz­ler setzte sich Willy Brandt (SPD) für die Verständig­ung mit Osteuropa ein.

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