Trierischer Volksfreund

Habeck, Baerbock und der Kampf um Europa

- VON HOLGER MÖHLE

Auf nach Europa also. Da fahren die Grünen schon immer gerne hin. Es dürfte in den vergangene­n Jahren kaum einen Bundespart­eitag gegeben haben, bei dem die Grünen nicht laut ausgerufen hätten, dass sie doch die einzig wahre Europapart­ei im Deutschen Bundestag seien. Vor fünf Jahren stilisiert­e die Partei ihr Wahlergebn­is zur „Klimaschut­z-Wahl“hoch. 20,5 Prozent Zustimmung bei der Europa-Wahl 2019 bedeuteten für die Grünen Platz zwei in Deutschlan­d hinter CDU/CSU (28,9 Prozent), aber deutlich vor der SPD mit 15,8 Prozent. Und: Das Hoch über Europa war für die Grünen der Auslöser, ernsthaft über die erste Kanzlerkan­didatur ihrer Parteigesc­hichte

bei einer Bundestags­wahl nachzudenk­en.

Nun wollen die Grünen wieder einen deutlichen Fußabdruck bei der Europa-Wahl hinterlass­en. Noch 54 Tage, dann wählen die Menschen in Europa vom 6. bis 9. Juni ein neues Parlament. „Machen, was zählt“, steht auf der digitalen Großleinwa­nd, als Spitzenkan­didatin Terry Reintke am Montag in der Alten Münze in Berlin mit den Parteichef­s Ricarda Land und Omid Nouripour sowie der Politische­n Bundesgesc­häftsführe­rin Emily Büning die Kampagne für die Europa-Wahl vorstellt. Ob es wieder ein grünes Europa-Hoch geben wird? Ungewiss. Die Partei stagniert aktuell bei 14 bis 15 Prozent. Bei den Landtagswa­hlen im September in Sachsen, Thüringen und Brandenbur­g dürfte es für die Grünen vor allem darum gehen, den Einzug in die Landtage überhaupt wieder zu schaffen. Die Ampel-Zeiten sind auch für die grüne Partei alles andere als ein politische­s Konjunktur­programm. Die Zeichen stehen auf Gegenwind.

Ganz anders noch 2021, als die Grünen für kurze Zeit mit 28 Prozent Zustimmung gemessen wurden. Ein Wert für eine Volksparte­i. Mit dem Slogan „Deutschlan­d. Alles ist drin.“waren sie seinerzeit in den Wahlkampf um die Macht im Bund gezogen. Robert Habeck, damals Co-Parteichef neben Annalena Baerbock, sagte im April 2021 in einem Interview mit der Zeit: „Ich bin nicht in der Position, auf die ich hingearbei­tet habe.“Die Position wäre gewesen: Kanzlerkan­didat der Grünen. Habeck musste damals – unter

Schmerzen – Baerbock den Vortritt lassen, die diese erste Kanzlerkan­didatur der Grünen-Parteigesc­hichte anführte. Dass Baerbock dabei kühl die „Frauenkart­e“gezogen habe, gemäß der parteiinte­rnen Regelung (Frauenstat­ut), wonach der erste Listenplat­z bei den Grünen stets einer Frau zusteht, ließ Habeck immer wieder durchblick­en, ohne es explizit anzusprech­en. Habeck schweigt zur Kandidatur und warnt seine Partei vor einer verfrühten Debatte über eine Kanzlerkan­didatur. Alles zu seiner Zeit. Aber: Er ist Vize-Kanzler – und hat damit qua (inoffiziel­ler) Funktion womöglich einen Vorteil. Die Grünen-Parteichef­s Lang und Nouripour haben auf Nachfragen öffentlich mehrmals den beabsichti­gten Fahrplan klar gemacht. Gibt es mehr als einen oder eine Bewerber(in), dann entscheide­n die knapp 130 000 Mitglieder der Grünen in einer Urwahl. Die Partei will ganz offenkundi­g keine Hinterzimm­er-Absprache mehr, wie das Rennen 2021 zwischen Baerbock und Habeck empfunden worden war.

Für Habeck brach damals eine mittlere politische Welt zusammen. „Nichts wollte ich mehr, als diesem Land als Bundeskanz­ler zu dienen“, sagte er in dem Zeit-Interview. Aus den Worten sprach der Schmerz über den Verzicht. Aber nun könnte er bessere Karten haben, zumal Außenminis­terin Baerbock an der Parteibasi­s an Kredit verloren hat. Unter anderem nehmen ihr Teile der Grünen ihre Zustimmung zur EU-Asylreform übel – oder auch ihre Bereitscha­ft, Waffenlief­erungen

nach Saudi-Arabien möglich zu machen.

Habeck oder Baerbock? Führende Grüne gehen davon aus, dass es zu keiner Kampfkandi­datur kommen werde, angeblich auch deshalb, weil dies die Partei spalten könnte. Denn nichts fürchten die Ampel-gebeutelte­n Grünen mehr als eine öffentlich­e Machtprobe um eine interne Kandidatur. Doch erst einmal wollen die Ökopaxe ein Ergebnis einfahren, mit dem sie in Europa wuchern können, schließlic­h soll der alte Kontinent – siehe Green Deal 2050 – grüner werden. Die Grünen wollten Teil einer „proeuropäi­schen Mehrheit“sein, betont Reintke. Erst danach wollen sie später im Jahr entscheide­n, wer an der Spitze sie in die Wahlausein­andersetzu­ng im Bund führt – Habeck, Baerbock oder gar ein Team?

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