Der Visionär von Gusterath-Tal
Norbert Brakonier hat vor einem Jahr das Herzstück des ehemaligen RomikaGeländes in Gusterath-Tal gekauft. Doch wer ist dieser Mann, der aus einer Ruine ein Juwel machen will?
Als kleiner Junge schwärmte Norbert Brakonier davon, Musiker zu werden. In Gerolstein erlernte er klassisches Schlagzeug in einem Orchester. Aufgewachsen ist er in Birresborn, einem malerischen Dorf in der Eifel mit knapp 1100 Einwohnern, gelegen zwischen Trier und Köln. Nach dem Abitur war sein Ziel klar: ein Studium des Schlagzeugs. Doch die Chancen auf einen Studienplatz waren sehr gering. Unbeirrt von diesem Rückschlag entschied er sich, Musikwissenschaften in Köln zu studieren.
Schreiner aus Gusterath-Tal: Wie Brakonier zu seiner Leidenschaft fand
Zweifel begannen zu nagen. Brakonier sah in seinem Studium der Musikwissenschaften zunehmend eine brotlose Kunst und zog Konsequenzen: Mit 21 Jahren verließ er die Musikhochschule und machte eine Ausbildung zum Musikalienhändler in einem renommierten Musikhaus in Köln. Die Liebe zog ihn dann nach Trier, wo er in einem in der Region bekannten Musikhaus arbeitete.
Doch nach einigen Jahren wuchs in ihm der Wunsch, noch etwas anderes zu tun. Brakonier entdeckte beruflich seine wahre Leidenschaft. Er machte ein Praktikum in einer Schreinerei und ließ sich dann dort ausbilden. Er wurde Jahrgangsbester. „Mit zunehmendem Alter wächst der Ehrgeiz“, spielt Norbert Brakonier den Erfolg herunter. Eine Eigenschaft, die sich wie ein roter Faden durch das Gespräch zieht.
Offenbar schlummerte dieser Berufswunsch schon länger in ihm. „Fünf Schreiner zählen wir in unserer Familie mütterlicherseits“, sagt Brakonier. Das sei ihm erst später bewusst geworden.
In Schöndorf ( Verbandsgemeinde Ruwer) begann dann die Geschichte von Brakonier und seinem Kollegen. Sie übernahmen eine alteingesessene Schreinerei. Der Name ihrer Firma, „Unikat“, weckte Erwartungen.
In ihrer Werkstatt entstanden Möbelstücke, jedes ein Einzelstück, einzigartig und unverwechselbar. Doch in Schöndorf wurde es ihnen bald zu eng.
Brakonier erinnert sich noch gut an diese Zeit. Sie suchten nach mehr Raum und fanden ihn in GusterathDort kauften sie eine Halle, bauten sie um und erweiterten ihre Schreinerei. Doch nach mehr als einem Jahrzehnt trennten sich die Wege der beiden „Unikat“-Chefs.
Wo andere Ruinen sehen, hat Norbert Brakonier eine Vision
Was dann folgte, könnte man als glücklichen Zufall bezeichnen. Rudi Müller, ein Schreiner und Präsident der Handwerkskammer Trier, war nicht nur ein Nachbar, sondern auch jemand, der über seine Nachfolge nachdachte. Brakonier und Müller fanden eine Lösung. Schritt für Schritt übernahm der jüngere Brakonier das, was der bald pensionierte Müller aufgebaut hatte. Brakonier baute das Unternehmen erneut um und weiter aus.
Heute arbeiten 40 Mitarbeiter in der Schreinerei am Waldrand von Gusterath-Tal, auf dem Gelände der ehemaligen Schuhfabrik Romika, sowie am zweiten Standort in Luxemburg. Sie stellen Küchen, Einbaumöbel, Türen und Treppen, Einzelmöbel und Küchenmodule her. Der Name des Unternehmens? Schlicht und einfach: Brakonier.
In der Stadt Luxemburg lebt Brakonier
zusammen mit seiner Frau Claudine, einer Architektin, und den Jüngsten seiner vier Kinder (13, 16, 19, 26) im Viertel Bonnevoie. Nur einen Steinwurf von ihrem Zuhause entfernt stieß Brakonier auf ein verfallenes Gebäude. Er sah Potenzial, wo andere nur Ruinen sahen. Verfallene Gebäude scheinen ihn magisch anzuziehen.
Aus der einstigen luxemburgischen Ruine sind Büroräume und ein lichtdurchfluteter Showroom entstanden. Gut erinnert er sich an die überraschten Gesichter der Skeptiker, die geglaubt hatten, aus dem Gebäude sei nichts mehr zu machen. Hier fertigen nun Planer ganz nach Kundenwünschen Entwürfe an. In Gusterath-Tal wird dann umgesetzt, was dort entstanden ist.
Auch dort hat Brakonier ein Büro. Der Holzboden sticht sofort ins Auge sowie ein modernes, weißes Küchenmodul. Um einen runden Tisch stehen exzentrische weiße Stühle. Ihr Aussehen lässt einen hohen Preis vermuten. Brakonier lacht über die Bewunderung für seine Stühle. Sie stammen aus der DDR-Zeit, wurden mehrfach abgeschliffen und mit Speziallacken behandelt. Offenbar lässt er Altes gern neu strahlen.
Brakonier ist ein Mann, der vor Ideen nur so sprüht. Wenn er etwas sieht, weiß er sofort, was daraus entstehen könnte. Inspirationen bekommt er viele: beispielsweise auf Reisen nach Japan („Ein faszinierendes
Land“), von renommierten Architekten, mit denen er gut vernetzt ist und von seiner Frau.
Bei alldem wundert es nicht, dass er den brennenden Wunsch hatte, das Konfektionsgebäude zu erwerben. „Ich musste es einfach haben“, sagt er. Vier Jahre habe er verhandelt und einen weitaus höheren Preis als der Vorbesitzer bezahlt. Der soll weit unter 100.000 Euro gezahlt haben. Davor soll das Konfektionsgebäude für einen Euro vom längst aufgelösten Zweckverband Wirtschaftsförderung Gusterath-Tal an einen Käufer gegangen sein. Der Verband war gegründet worden, um das Gelände zu erschließen und zu vermarkten.
Brakonier rechnet mit etwa 750.000 Euro, die er investieren muss. Seine Begeisterung für das denkmalgeschützte Gebäude, Baujahr 1929, im Stil des „neuen Bauens“ist ungebrochen. „Es ist so schön, einzigartig“, schwärmt er, während er durch die vier Stockwerke führt.
Pläne für Gusterath-Tal: Ein kreatives Zentrum soll entstehen
Seit dem Herbst vergangenen Jahres hat sich schon viel verändert. Damals setzten sich Bachelor-Studierende der Trierer Hochschule mit dem Konfektionsgebäude auseinander und machten einen Rundgang vor Ort (wie der Volksfreund mehrfach berichtete). Alles, was in den vergangenen Jahren dort abgestellt wurde, ist abgeholt oder weggeräumt worden.
Wasser und Strom fließen wieder.
Im Erdgeschoss stapeln sich Hölzer, die in der Schreinerei Brakonier verarbeitet werden. Das soll auch so bleiben, sagt der Hausherr. Die zweite und dritte Etage seines Gebäudes plant er zu vermieten. Er zeigt von einer tragenden Säule zur nächsten, skizziert imaginäre Wände. Hier, in diesen Räumen, sieht er Ateliers und Büros entstehen.
Sein Traum? Ein kreatives Zentrum im ehemaligen Konfektionsgebäude. Er hofft, dass sich hier kleine Handwerksbetriebe wie Töpfer und Schneider ansiedeln, ergänzt durch Kreativbüros. Ein Ort, der lebt, und inspiriert und zum Verweilen einlädt. Die vierte Etage, auch erreichbar über eine Außenbrücke, ist nun von oben geschützt: Das Dach ist mittlerweile dicht.
Die wahre Geschichte der Romika Schuhfabrik
In diesem einzigartigen, 800 Quadratmeter großen Raum mit teils abgerundeten Wänden sieht Brakonier Ausstellungen von höchster Qualität vor sich. Die Geschichte der Romika wird hier ebenfalls ihren Platz finden. Seit 1994 werden in Gusterath-Tal keine Schuhe und Stiefel mehr hergestellt. Stattdessen haben sich rund 40 Unternehmen niedergelassen, darunter Brakonier.
Die Geschichte wurde erst vor wenigen Jahren korrigiert. Ein Leserbrief im Trierischen Volksfreund brachte einen Trierer dazu, die wahre Geschichte der Romika zu
erforschen. 1921 gründeten die jüdischen Fabrikbesitzer und Schuhpioniere Hans Rollmann und Karl Kaufmann zusammen mit ihrem nichtjüdischen Partner Carl Michael die Schuhfabrik in Gusterath-Tal. Bis 2013 galt Hellmuth Lemm als Firmengründer. Doch die Wahrheit ist, er übernahm Romika 1936, nachdem die Nazis die jüdischen Firmengründer vertrieben hatten.
Brakonier sagt, er sei mit Carl Liedermann, einem Urenkel von Hans Rollmann, in Kontakt. Sie hätten schon oft gesprochen. „Die Nachfahren bestimmen, in welcher Form sie eine Würdigung möchten. Nicht wir“, wiederholt Brakonier, was er bereits öffentlich gesagt hat.
Was steht als Nächstes an? „Wir haben eine 18 Meter hohe Hebebühne bestellt“, sagt Brakonier. Mit ihrer Hilfe sollen die Stahlfenster, die seit fast einem Jahrhundert mit ihrer Sprossen-Unterteilung das Bild in Gusterath-Tal prägen, restauriert werden.
Brakonier denkt darüber nach, im Sommer ein Fest im Rohbau des ehemaligen Konfektionsgebäudes zu veranstalten. Und mit 58 Jahren hat er noch mal den Drang, etwas zu verändern. Sein Unternehmen hat nun einen weiteren Geschäftsführer, was ihm mehr Freiraum gibt, seine Träume zu verwirklichen. Brakonier wird wieder mehr Zeit in seiner Werkstatt verbringen, und das machen, was er am meisten liebt: mit Holz arbeiten.