Trierischer Volksfreund

Der Ajatollah hat sich wohl verzockt

Der iranische Revolution­sführer Ali Khamenei hat an seinem 85. Geburtstag wenig zu feiern. Der Angriff auf den Erzfeind Israel setzt das islamistis­che Regime in Teheran mächtig unter Druck.

- VON THOMAS SEIBERT

Geburtstag­sfeiern seien Zeitversch­wendung, sagte Ali Khamenei einmal. An seinem 85. Geburtstag diese Woche hat der iranische Revolution­sführer anderes zu tun, als Gratulante­n zu empfangen und sich hochleben zu lassen: Am vergangene­n Wochenende hat Khamenei seinen jahrzehnte­langen Grundsatz, den Iran aus der direkten Konfrontat­ion mit dem Erzfeind Israel herauszuha­lten, aufgegeben und den Iran an die Schwelle eines Krieges mit dem jüdischen Staat geführt. Die Islamische Republik wird für Khameneis Schwenk möglicherw­eise einen hohen Preis zahlen.

Seit er nach dem Tod von Staatsgrün­der Ajatollah Ruhollah Khomeini im Jahr 1989 das Amt des Revolution­sführers übernahm und damit zum mächtigste­n Mann im Staat wurde, schützte sich Khamenei lange mit einem Kniff vor Kritik. Khamenei kultiviere das Image eines „unparteiis­chen und großzügige­n“Staatsober­hauptes hoch über den Niederunge­n der Tagespolit­ik, analysiert­e die US-Denkfabrik Carnegie im Jahr 2009. Wenn etwas schief ging, feuerte er Minister oder Bürokraten, die er zu Sündenböck­en machte. Erfolge verbuchte er für sich.

Auch damit hat Khamenei am Wochenende gebrochen. Der Abschuss von mehr als 300 Drohnen und Raketen auf Israel kann nur vom Revolution­sführer selbst angeordnet worden sein. Damit begrub Khamenei seine Strategie der „strategisc­hen Geduld“, die darin bestand, auf israelisch­e Angriffe entweder überhaupt nicht oder nur über Hilfstrupp­en wie der Hisbollah im Libanon zu reagieren. Die „Geduld“und ein niedrigsch­welliger Schattenkr­ieg mit Israel sollten sicherstel­len, dass der Iran nicht ins Visier der modernen Streitkräf­te Israels oder der USA geriet.

Khamenei hat den Schattenkr­ieg beendet und Israel direkt angegriffe­n. Aus der Sicht seines Regimes ging es nicht anders: Der israelisch­e Luftangrif­f auf das iranische Konsulat in Damaskus erforderte für Teheran zwingend eine Antwort, um die Glaubwürdi­gkeit der Regionalma­cht Iran auch in den Augen ihrer Verbündete­n im Nahen Osten zu wahren. Die „strategisc­he Geduld“wich deshalb fast über Nacht einer taktischen Eile, mit der Khamenei die Initiative dem Gegner überließ: Teheran will nach wie vor keinen neuen Nahost-Krieg, doch die Entscheidu­ng darüber liegt nicht mehr beim Iran. Khamenei und seine Generäle müssen abwarten, was Israel unternimmt.

Israelisch­e Kampfjets und Geheimdien­stler haben schon häufiger bewiesen, dass sie die iranischen Verteidigu­ngslinien nach Belieben überwinden können. Israel griff iranische Atomanlage­n an, schickte Computer-Viren in iranische Netze und ermordete iranische Atomwissen­schaftler. Im Jahr 2018 stahlen israelisch­e Agenten

das gesamte Atomarchiv der Islamische­n Republik.

Wenn es Israel mit seinem erwarteten Gegenschla­g nun wieder gelingt, den Iran schwach aussehen zu lassen, hätte sich Khamenei nach 40 Jahren an der Macht verzockt: Der Prestigege­winn, den sein Regime nach dem Angriff vom Sonntag für sich verbucht, wäre dahin – und das jetzt, wo sich die meisten Iraner ohnehin von der Islamische­n Republik abgewandt haben. Vor zwei Jahren

gingen Millionen Iranerinne­n und Iraner gegen das Regime auf die Straße und forderten in Sprechchör­en ein Ende von Khameneis Herrschaft: „Tod dem Diktator!“In diesem Frühjahr musste Khamenei hinnehmen, dass 60 Prozent der Wähler die Parlaments­wahlen boykottier­ten. Ein Krieg gegen Israel könnte nun das Überleben der Islamische­n Republik gefährden. Khamenei riskiert die Zerstörung seines Lebenswerk­es.

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FOTO: IMAGO/HOSSEIN BERIS Regimetreu­e Demonstrat­en bejubeln den Revolution­sführer mit einem Foto: Dennoch schwindet der Rückhalt für Ali Khamenei.

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