Betriebe zwischen EU-Bürokratie und Profit
„Ein anders Europa haben wir nicht“: Die Bürokratie schröpft die Betriebe, obwohl der europäische Binnenmarkt Betriebe stützen statt blockieren sollte. Das sagen regionale und luxemburgische Betriebe angesichts der Aussichten von mehr „ rechter“Politik na
Als Josef Ludwig vor genau 30 seine Luxemburger Dependence in Wasserbillig gründete, war einiges in der Steuergesetzgebung weder geregelt noch schriftlich fixiert. „Wir mussten vieles mündlich klären“, sagt der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Spezialität: Internationales Steuerrecht.
Tägliche Grenzkontrollen in Wasserbillig, vom Euro noch nichts im Geldbeutel zu sehen, abhängig von der Hilfsbereitschaft der Luxemburger
Behörden: Da musste Europa erst noch zusammenwachsen. Heute, mit 45 Beschäftigten in Wasserbillig und gut 30 in Trier, weiß Ludwig schon lange, was er am vereinten Europa und den Errungenschaften der Europäischen Union hat: „War die Region Trier in Deutschland immer Randgebiet, sind wir jetzt in Europa mittendrin. Die EU ist für uns hier ein Glücksfall.“
Das wissen zwar viele Unternehmer in der Wirtschaft der Region. „Aber die Unternehmer empfinden Europa zunehmend als Belastung“, sagt Peter Adrian, Chef des Trierer Unternehmens Triwo und Präsident der Deutschen Industrieund Handelskammer (DIHK). Beim Deutsch-Luxemburgischen Wirtschaftsabend mit den Trierer Wirtschaftskammern IHK und Handwerkskammer, der DeutschLuxemburgischen Wirtschaftsinitiative (DLWI), der Vereinigung Trierer Unternehmer ( VTU) und der Außenhandelskammer DeBeLux in der IHK Trier wird denn auch schnell klar, was den Betrieben auf den Nägeln brennt: Bürokratie, Papierkram und eine gefühlte Beschneidung
ihrer Freiheiten.
A1-Bescheinigung zur Arbeitsaufnahme im Ausland, Datenschutzgrundschutzverordnung, Lieferkettenverordnung, Mitarbeiterentsenderichtlinie: Bei all diesen Wortungetümen und Vorgaben aus Brüssel – Experten sprechen von bis zu drei Viertel der Gesetze, die ihren Ursprung im Konsens der 27 EUStaaten haben – fühlen sich die Betriebe gegängelt. „Wie soll da Konkurrenzfähigkeit erhalten bleiben“, fragt IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Glockauer: „Der Mehrwert der EU“
– und diesen bestreitet er nicht – „ist nicht mehr erkennbar“.
Mehr Vereinfachung, mehr Selbstkritik, das wünscht man sich: „Europa gehört neben den USA und China zu den drei größten Wirtschaftsblöcken. Aber wir machen zu wenig daraus“, ist Frank Natus, Chef des gleichnamigen international tätigen Unternehmens in Trier mit 500 Beschäftigten, überzeugt.
Dabei gibt es zum EU-Binnenmarkt weder für Deutschland und die Region Trier noch für Luxemburg eine Alternative: Sieben von zehn Top-Ten-Handelspartner sind EU-Länder, im Großherzogtum „kommt man an einem größeren Markt gar nicht dran vorbei“, sagt Réné Winkin, Chef des Luxemburger Industrieverbands Fedil. „Unser Land funktioniert nicht, wenn die Grenzen zu sind.“Und deshalb plädiert er für einen einheitlichen Energiemarkt in der EU und sogar eher weniger nationale Freiheiten.
Mit der Europawahl am 9. Juni drohen nun rechte, rechtsextreme und nationalistische Parteien im Parlament zur drittgrößten Gruppe zu werden. Eine Alternative für Unternehmen? „Unsere Betriebe in der Region profitieren mehr als andere in anderen Gegenden vom EU-Binnenmarkt“, sagt IHK-Chef Glockauer. Und Rolf Gänz, Chef des Bernkastel-Kueser Unternehmens Atlantic C, ist überzeugt: „Wenn Rechte Einfluss auf die EUGesetzgebung bekommen, zerfällt Europa.“
Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments bestätigt aus ihrer Erfahrung, dass sich etwa in Ungarn viele deutsche Firmen unter der Regierung Viktor Orbán „Mafia-Methoden ausgesetzt sehen oder aus dem ungarischen Markt gedrängt werden“, berichtet sie. Und auch ein EU-Austritt wie der Brexit für Großbritannien könne im Desaster enden: „Die Inflation ist aktuell die höchste seit 40 Jahren, die Haushaltseinkommen liegen 10.000 Pfund niedriger als bei uns, viele Strände sind nicht mehr nutzbar, weil Umweltstandards nicht mehr eingehalten werden“, berichtet die Schweicher SPD-Politikerin, die auch einen britischen Pass hat.
Für Barley muss es eine Bürokratie geben, die die Regeln für 27 Staaten formuliert: „Es braucht Kontrolle, wofür das Geld eingesetzt wird. Da wird auch vieles auf Europa abgewälzt, was nationalstaatlicher Egoismus ist.“
Dass es sich lohnt, sich für Europa einzusetzen, das macht Freya Lemcke, Leiterin der DIHK-Vertretung bei der EU klar. Aber auch Rolf Gänz ergänzt noch mal: „Der Austausch untereinander ist unbezahlbar. Wir können in Europa etwas bewegen. Da sind die regionalen Betriebe hier strategisch im Vorteil.“