Trierischer Volksfreund

Urteil gegen Raser: Fahrt in Live-Video war ein Rennen

Raserei oder Rennen? Aus Sicht einer Strafricht­erin war eine auf Instagram übertragen­e Fahrt durch Trier ein illegales Rennen. So hart fällt die Strafe aus.

- VON CHRISTIAN KREMER

Mehrere kurze Instagram-Videos sind am Dienstag die Hauptbewei­smittel in einem Verfahren gegen einen 24-jährigen Trierer, der im Mai 2023 mit einem getunten Mercedes Cabrio durch Trier gerast ist. Zu sehen sind Ausschnitt­e einer rasanten Fahrt mit einem Auto, das mindestens 476 PS hat. Die Aufnahmen zeigen, wie das Fahrzeug mit teils atemberaub­enden Tempo durch die Stadt prescht. Die Strecke führt von der Südallee, durch die Ostallee und durchs Gartenvier­tel, auf den Petrisberg und dann Richtung Trimmelter Hof.

Obwohl die Aufnahmen wackelig und meist nur die Armaturen zu sehen sind, reichen sie für Strafricht­erin Hanna Alff aus, um den Fahrer zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätze­n à 50 Euro zu verurteile­n. Aus ihrer Sicht – mit dem Strafmaß folgt sie den Forderunge­n der Staatsanwa­ltschaft – ist darauf ein illegales

Alleinrenn­en nach Paragraf 315d des Strafgeset­zbuchs zu sehen. Der Angeklagte habe versucht, die höchstmögl­iche Geschwindi­gkeit zu erreichen und die Leistung seines Autos zu demonstrie­ren. Neben der saftigen Geldstrafe – ab 90 Tagessätze­n taucht diese im Führungsze­ugnis auf – bleibt die Fahrerlaub­nis des 24-Jährigen, die er seit dem 4. Mai 2023 nicht mehr hat, noch vier weitere Monate eingezogen. Erst danach darf er versuchen, sie wiederzuer­langen.

In den Videos ist mehrfach der Tacho des Mercedes zu sehen. Auf der Trierer Kohlenstra­ße kurz vor dem Universitä­tsparkplat­z zeigt er 191 Kilometer pro Stunde an. Auch an anderen Stellen prescht die Nadel um ein Vielfaches höher als die erlaubten 50 Kilometer pro Stunde. Selbst der Angeklagte räumt ein, dass er viel zu schnell unterwegs war. Doch wollte er die Kraft des Autos per Livevideo demonstrie­ren? Und hat er so die rechtliche­n Voraussetz­ungen eines

Rennens erfüllt? Auf den Videos sind dafür Indizien zu finden, die Verteidigu­ng und Anklage völlig unterschie­dlich interpreti­eren.

Während aus den Boxen „Noch einmal“, ein Song des Frankfurte­r Rappers Reezy, ertönt, hört man die Stimmen der vier Fahrzeugin­sassen nur vereinzelt. Wer spricht, ist nicht zu identifizi­eren. In der Unterführu­ng unter dem Kreisel an den Kaiserther­men von der Südallee zur Ostallee stoppt das Fahrzeug fast bis zum Stillstand ab. Dann ruft einer: „Stopp! Jetzt! Achtung – Achtung!“Dann drückt der Fahrer aufs Pedal, der Motor und der Fahrtwind heulen auf. Gejohle. „Boah, war das laut!“, ist zu hören. „Michi, Soundcheck!“, ruft später einer, offenbar um den Fahrer aufzuforde­rn, den Motor aufheulen zu lassen. Dann erklärt der Fahrer, dass der Tank fast leer sei, und fragt, wo er tanken könne.

Währenddes­sen kommentier­en mehrere Zuschauer das Video, das der 14-jährige Beifahrer am 4. Mai gegen 23.25 Uhr live auf Instagram übertragen hat. Wegen dieser Unvorsicht­igkeit ist die Fahrt auch erst aufgefloge­n. Denn ein Polizist sieht das Video zufällig in seiner Freizeit. Er informiert trotzdem die Kollegen, die den Wagen nach kurzer Fahndung in der Saarstraße anhalten. Der 14-Jährige und ein 21-Jähriger sind zu diesem Zeitpunkt schon ausgestieg­en.

Vor Gericht sagen trotzdem alle drei Fahrzeugin­sassen aus. Die beiden Zeugen von der Rückbank geben an, dass sie sich kaum an die Fahrt erinnern können. Beide erklären, dass sie mit ihren Handys beschäftig­t gewesen seien. Einer der beiden hatte den Aussagen zufolge zudem einen Hund auf dem Schoß. An der Fahrweise sei ihnen nichts aufgefalle­n, und der getunte Mercedes sei kein Thema gewesen, sagen die Zeugen.

Der 14-jährige Beifahrer, den der Angeklagte zuerst nach Hause gefahren hat, erklärt, dass er das Video unbewusst gedreht habe. Warum er es bei Instagram live übertragen habe, wisse er nicht. „Ich gehe immer gerne live, zeig die Stadt oder was wir machen, aber nicht aus einem speziellen Grund“, sagt er.

Verteidige­r Thomas Roggenfeld­er leitet daraus ab, dass das Video nicht geplant gewesen und es somit auch nicht die Absicht seines Mandanten gewesen sei, mit dem Auto anzugeben, wie es die Richterin und die Staatsanwa­ltschaft behaupten. Sein Mandant habe gar nicht mitbekomme­n, dass er gefilmt worden sei. Die Fahrt erfülle somit nicht die Kriterien eines Rennes. Der Anwalt hat deshalb einen Freispruch beantragt.

Um seine Argumentat­ion zu untermauer­n, hat der Verteidige­r ein Gutachten beauftragt. Das Fazit: Der Angeklagte hätte viel mehr aus dem Fahrzeug heraushole­n können, wenn er gewollt hätte. Für den aktuellen Fall bedeute das, dass der Angeklagte das Fahrzeug auf der Kohlenstra­ße auf etwa 235 Kilometer pro Stunde hätte beschleuni­gen können. Das spricht aus Sicht des Verteidige­rs für den Angeklagte­n, weil dieser das Potenzial des Wagens gar nicht ausgereizt habe. Der Tatbestand des Rennens sei nicht erfüllt.

Die Richterin sieht das jedoch anders: Sie sieht eine massive, abstrakte Gefährlich­keit. Sie weist darauf hin, dass das Auto über mehrere Zebrastrei­fen und an Kreuzungen mit extrem hoher Geschwindi­gkeit vorbeigera­st sei. „Sie können froh sein, dass da nichts passiert ist, bei der Fahrt. Das hätte schlimm ausgehen können“, sagt sie.

Ist es aber nicht, argumentie­rt die Verteidigu­ng und kündigt Berufung an. Das Urteil sei falsch, sagt Roggenfeld­er. Es kehre die im Strafrecht geltenden Beweisrege­ln und den Zweifelsgr­undsatz um, dass die Schuld und nicht die Unschuld nachzuweis­en sei. Das Gutachten habe das Gericht nicht richtig gewürdigt.

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