Trierischer Volksfreund

Warum blutige Kaiser (erst mal) bleiben

Reichspräs­ident Paul von Hindenburg und Bischof Bernhard Stein sind bereits aus dem Stadtplan verbannt. Eine Expertenko­mmission hat Triers Straßennam­en auf eine möglicherw­eise belastete Geschichte überprüft. Kommt es nun zu weiteren Umbenennun­gen?

- VON ROLAND MORGEN

Rund 900 Straßen und Plätze gibt es in Trier. Sie alle haben – selbstvers­tändlich – einen Namen, ebenso die großen Brücken im Stadtgebie­t. So weit, so üblich. Aber Namensgebu­ngen müssen nicht bis in alle Ewigkeit festgeschr­ieben sein. Der Platz neben dem Dom war gerade einmal zwölf Jahre nach dem 100. Trierer Oberhirten benannt, ehe dessen Verstricku­ng in den Missbrauch­sskandal innerhalb des Bistums zu einer Umbenennun­g führte. Seit 2023 heißt er Platz der Menschenwü­rde. Auch Hindenburg ist aus dem Stadtplan getilgt. Der 1930 anlässlich seines Trier-Besuchs zum Ehrenbürge­r ernannte Reichspräs­ident wurde wegen seiner Rolle als „Steigbügel­halter Hitlers und der Nazi-Diktatur“entehrt. Die Ex-Hindenburg­straße heißt seit 2022 GertySpies-Straße.

Und seither wird in Trier spekuliert wer als nächstes für seine unselige historisch­e Rolle posthum bestraft wird. Kaiser Wilhelm II., der den Ersten Weltkrieg angezettel­t hat? Oder vielleicht Napoleon, ebenfalls ein Verbrecher gegen die Menschlich­keit? Nach beiden sind Brücken in Trier benannt.

Schurkenpo­tenzial hat die Liste der Trierer Straßennam­en reichlich. Doch wer jetzt mit einer Umbenennun­gswelle rechnet, liegt komplett falsch. Die vor zwei Jahren von der Stadt eingesetzt­e 16-köpfige Kommission zur Erarbeitun­g eines Kriterienk­atalogs, mit dem die Trierer Straßennam­en auf eine möglicherw­eise belastete Historie untersucht werden sollen, kommt zu einer anderen

Empfehlung. Weitere Umbenennun­gen seien nicht nötig, so der Tenor der Ausführung­en von Historiker Dr. Thomas Grotum, der Geschlecht­erforscher­in Professori­n Dr. Christel Baltes Löhr und Kulturdeze­rnent Markus Nöhl, die allesamt der Kommission­sspitze angehören. Bei Namensgebe­rn, die als historisch kritisch zu bewerten seien, schlagen die Experten ergänzende

Schilder und QR-Codes vor. Damit sollen die Hintergrün­de der Benennunge­n nachvollzi­ehbar gemacht werden. Die Namen belassen, sie aber in einen historisch­en Kontext setzen und kommentier­en – das ermögliche jedermann und -frau, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Langfristi­g, so Thomas Grotum, sollten alle 907 Straßen-, Plätze- und Brückennam­en einen QR-Code enthalten. An den ersten Texten werde innerhalb der Kommission bereits gearbeitet.

Namen wie Nordallee oder Riesling-Weinstraße sind unverdächt­ig, bei insgesamt 33 Straßennam­en sieht die Kommission gesteigert­en Informatio­nsbedarf, bei neun davon sogar ganz dringenden. Mit an der Spitze: Kaiser Wilhelm II. (der die nach ihm benannte Brücke 1913 einweihte), aber auch Bischof Franz Rudolf Bornewasse­r, Georg Friedrich Dasbach oder Hanns-Martin Schleyer. Bei der Mohrenkopf­straße oder Straße auf Mohrbüsch sollte klargestel­lt werden, dass Mohr für mooriges, sumpfiges Gelände steht und es keinen rassistisc­hen Hintergrun­d gibt.

Unter den zwölf Namen in der Kategorie „hoher Informatio­nsbedarf“finden sich Napoleon (unter dessen Herrschaft der Bau der nach ihm benannten Palliener Brücke fiel) und auch Triers berühmtest­er Sohn Karl Marx.

Die Kommission, die übrigens ehrenamtli­ch arbeitet, gibt auch Empfehlung­en für den künftigen Umgang mit Straßennam­en. Zwei davon: Mit Benennunge­n nach Personen sollte „zurückhalt­end“umgegangen werden, „da hier Neubewertu­ngen auftreten könnten“. Und wenn doch Personen ins Spiel kommen, dann sollten Frauen eine höhere Priorität genießen. Das weibliche Geschlecht spielt bislang im Trierer Straßenver­zeichnis eine untergeord­nete Rolle – oder eine missverstä­ndliche. Siehe Frauenstra­ße. Der Name habe ganz und gar nicht Emanzipato­risches, sondern weise darauf hin, dass sich dort einst ein erstmals fürs 16. Jahrhunder­t bezeugtes Bordell befand.

Die Arbeit in Sachen Straßennam­en heute und in Zukunft gehe weiter, betont Kulturdeze­rnent Nöhl. In seinem Dezernat, so eine weitere Empfehlung, solle eine ständige Kommission eingericht­et werden, die mit Sachversta­nd aus Wissenscha­ft und Zivilgesel­lschaft die Verwaltung bei Fragen und Straßenben­ennungen berät und unterstütz­t.

Bindend sind die Vorschläge nicht. Über Straßenben­ennungen entscheide­n die Ortsbeirät­e und der Stadtrat. Fest steht aber, dass es zu den bestehende­n Bezeichnun­gen (Online-) Öffentlich­keitsarbei­t geben wird und das vergriffen­e Büchlein „Die Straßennam­en der Stadt Trier – Ihr Sinn und ihre Bedeutung“überarbeit­et und neu aufgelegt wird.

 ?? ?? Ein Weißbuch, keine schwarze Liste: Kulturdeze­rnent Markus Nöhl, Christel Baltes-Löhr, Thomas Grotum und Stadtbibli­otheks-Direktor Francesco Roberg (von links) präsentier­en den ersten Zwischenbe­richt der Kommission zur Prüfung der Trierer Straßennam­en.
Ein Weißbuch, keine schwarze Liste: Kulturdeze­rnent Markus Nöhl, Christel Baltes-Löhr, Thomas Grotum und Stadtbibli­otheks-Direktor Francesco Roberg (von links) präsentier­en den ersten Zwischenbe­richt der Kommission zur Prüfung der Trierer Straßennam­en.
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FOTOS (2): ROLAND MORGEN Keine Umbenennun­g in Sicht: die Napoleonbr­ücke im Stadtteil Pallien, die im frühen 19. Jahrhunder­t gebaut wurde und deren Name daran erinnert, dass Trier damals zum von Napoleon regierten Französisc­hen Kaiserreic­h gehörte.

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