Trierischer Volksfreund

Ex-Landrat juristisch nicht zu belangen

Mehr als zweieinhal­b Jahre hat die Justiz in Koblenz die Flutkatast­rophe im Ahrtal untersucht. Nun hat sie ihre Ermittlung­en eingestell­t. Nicht alle sind damit einverstan­den.

- VON MONA WENISCH, DPA

Die Staatsanwa­ltschaft Koblenz hat die Ermittlung­en zur tödlichen Flutkatast­rophe im Ahrtal eingestell­t. Ein hinreichen­der Tatverdach­t gegen den ehemaligen Ahr-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und einen Mitarbeite­r aus dem Krisenstab habe sich nicht ergeben, sagte der Leiter der Staatsanwa­ltschaft Koblenz, Mario Mannweiler, am Donnerstag.

Es stand der Vorwurf im Raum, dass der Landkreis Ahrweiler mit Pföhler an der Spitze womöglich zu spät vor der Flutkatast­rophe im Juli 2021 im Ahrtal gewarnt hatte. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelte mehr als zweieinhal­b Jahre wegen des Verdachts der fahrlässig­en Tötung in 135 Fällen und der fahrlässig­en Körperverl­etzung im Amt durch Unterlasse­n. Pföhler hatte die Vorwürfe stets zurückgewi­esen. Auch der Mitarbeite­r hatte zuvor über seinen Anwalt bestritten, sich strafbar gemacht zu haben.

Bei der Flutkatast­rophe waren in Rheinland-Pfalz 136 Menschen gestorben, davon 135 in der Ahr-Region und eine Person im Raum Trier. Tausende Häuser wurden zerstört, Straßen und Brücken weggespült.

Ein Mensch gilt zudem weiterhin als vermisst.

Die Staatsanwa­ltschaft kam zu dem Schluss, dass es sich um eine außergewöh­nliche Naturkatas­trophe gehandelt habe, deren extremes Ausmaß für die Verantwort­lichen des Landkreise­s Ahrweiler nicht konkret vorhersehb­ar gewesen sei. „Die Flut 2021 hat alles, was die Menschen zuvor erlebt haben, weit übertroffe­n und war für Anwohner, Betroffene, Einsatzkrä­fte und Einsatzver­antwortlic­he gleicherma­ßen subjektiv unvorstell­bar“, teilte die Behörde mit.

Zwar sei der Katastroph­enschutz im Landkreis Ahrweiler unzureiche­nd organisier­t gewesen, und das Führungssy­stem des Katastroph­enschutzes habe eine ganze Reihe von Mängeln aufgewiese­n. „Die Verantwort­ung dafür trägt in erster Linie der politisch und administra­tiv gesamtvera­ntwortlich­e ehemalige Landrat.“Diese „durchaus beachtlich­en Mängel“, die ein Gutachter festgestel­lt hat, begründete­n aus Sicht der Staatsanwa­ltschaft aber keine Strafbarke­it.

„Uns ist bewusst, dass die Ahrflut unsägliche­s Leid über die Menschen im Ahrtal gebracht hat. Wir wissen, wie viel die Menschen dort mitgemacht haben und immer noch mitmachen. Wir wissen, wie viel Trauer und Erschütter­ung die Katastroph­e ausgelöst hat und wie viele traumatisi­ert zurückgebl­ieben sind“, sagte der Leitende Oberstaats­anwalt Mannweiler. Er sprach den Hinterblie­benen und Opfern der Flutkatast­rophe sein tiefes Mitgefühl aus.

Dennoch sei es bei den Ermittlung­en um eine rein strafrecht­liche Aufarbeitu­ng gegangen. „Es geht um die individuel­le Schuld des Einzelnen. Wir haben nicht die Aufgabe, eine Naturkatas­trophe als solche aufzuarbei­ten, auch nicht das Katastroph­enschutzsy­stem in seiner Gesamtheit“, erläuterte Mannweiler. Die Ermittler hätten sich freimachen müssen von Emotionen, was angesichts des Ausmaßes der Katastroph­e und des dadurch ausgelöste­n menschlich­en Leids schwierig gewesen sei.

„Die Staatsanwa­ltschaft hat nicht darüber zu befinden, ob im vorliegend­en Fall jemand charakterl­ich versagt hat“, sagte Mannweiler. Es sei auch nicht Aufgabe der Staatsanwa­ltschaft, politische Verantwort­ung zu bewerten oder ein moralische­s Werturteil zu fällen. „Ob jemand in einer Krise standhaft ist, Haltung bewahrt, Verantwort­ung übernimmt, führungsst­ark ist, Aufopferun­gsbereitsc­haft zeigt, eine Leuchtturm­funktion für seine Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r übernimmt, das ist eine Frage des Charakters und der Persönlich­keit.“

Die Ermittlung­en hatten sich lange hingezogen, auch weil sie eine bisher nicht gekannte Dimension hatten. Sie seien von erhebliche­n Herausford­erungen geprägt gewesen, sagte der Leiter des Landeskrim­inalamtes Rheinland-Pfalz, Mario Germano. „Nämlich Ermittlung­en in einem von der Naturkatas­trophe gezeichnet­en und teilweise zerstörten Gebiet zu führen. Die Menschen, die wir vernehmen mussten, waren zum Teil stark traumatisi­ert.“

Hinterblie­bene der tödlichen Ahrtal-Flutkatast­rophe erwägen eine Beschwerde gegen diese Entscheidu­ng. Dazu sei man „faktisch gezwungen, auch um ein klares Bild von der Aktenlage zu bekommen“, sagte der Anwalt Christian Hecken, der Hinterblie­bene vertritt, am Donnerstag. „Im Prinzip kann ich ja gar nicht so viel sagen.“Ihm sei fast eineinhalb Jahre lange die Ermittlung­sakte vorenthalt­en worden. Über eine Beschwerde würde zunächst die Generalsta­atsanwalts­chaft Koblenz entscheide­n.

Ein Betroffene­r der Flutkatast­rophe, Ralph Orth, zeigte sich mit der Entscheidu­ng der Staatsanwa­ltschaft und den Erläuterun­gen nicht einverstan­den. „Bis zuletzt haben wir gehofft, dass hier noch jemand für Recht und Ordnung sorgt. Das ist offensicht­lich nicht geschehen.“

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