Trierischer Volksfreund

Ende der Naivität gegenüber russischer Spionage

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Über einen langen Zeitraum hinweg hat man in Deutschlan­d vor allem an Unternehme­n gedacht, wenn es um Spionage ging. Konzerne wurden ausgespäht, Betriebsge­heimnisse abgefischt, Produkte und Produktion­sprozesse kopiert und im Ausland genutzt.

Doch mittlerwei­le herrscht wieder Krieg in Europa – und das ändert auch für die Spionageab­wehr alles. Denn mit dem russischen Überfall auf die Ukraine und der vollen Solidaritä­t Deutschlan­ds mit dem angegriffe­nen Land ist die Bundesrepu­blik aus der Perspektiv­e des Kremls zu einem Gegner Russlands geworden. Seit dem Kriegsausb­ruch vor gut zwei Jahren sind immer wieder spektakulä­re Fälle mutmaßlich­er russischer Spionage in Deutschlan­d bekannt geworden. Zuletzt wurden am Mittwoch in Bayern zwei Männer festgenomm­en, die mutmaßlich mit dem russischen Geheimdien­st in Kontakt standen und Anschläge geplant haben sollen. Der Generalbun­desanwalt ermittelt, Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) bestellte den russischen Botschafte­r ein. Dabei ist es nur ein weiterer Fall einer ganzen Reihe an Beispielen aus jüngster Zeit: Beim BND soll ein Mann für Russland Informatio­nen gesammelt haben, er steht derzeit vor Gericht. Beim Wirtschaft­sministeri­um standen zwei Topbeamte unter Verdacht. Das Nachrichte­nmagazin „Spiegel“veröffentl­ichte vor einigen Wochen eine umfangreic­he Recherche, wonach der gesuchte Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek seit zehn Jahren als Spion für russische Geheimdien­ste tätig gewesen sein soll. Und zeitgleich wurde da bekannt, dass Russland eine vertraulic­he Telefonsch­alte von Bundeswehr­offizieren abgehört hat, in der es um eine mögliche Lieferung deutscher Marschflug­körper vom Typ Taurus an die Ukraine ging.

Allein diese kurze und nicht vollständi­ge Aufstellun­g zeigt, wie konkret, wie nah, wie hochrangig die Zugangsmög­lichkeiten russischer Spionage offenbar sind.

Was durch die Fälle auch deutlich wird: Die Spionageab­wehr funktionie­rt immer wieder gut, immer wieder aber auch nicht. Es ist ein altes und noch nicht gelöstes Problem, dass deutsche Geheimdien­ste oft auf Tipps aus anderen Staaten angewiesen sind. Und bezogen auf Russland muss angesichts der Fülle der Fälle festgehalt­en werden, dass Deutschlan­d die Gefahr lange unterschät­zt hat. Der Verdacht liegt nahe, dass Russlands Geheimdien­ste im Auftrag von Präsident Wladimir Putin seit geraumer Zeit sehr aktiv sind in Deutschlan­d. Deutschlan­d war lange ein guter Freund Russlands, maximal abhängig von russischem Gas. Da schaut man dann nicht so genau hin, zumal die deutschen Dienste lange vernachläs­sigt wurden ungeachtet sprudelnde­r Steuereinn­ahmen. Heute ist es so weit gekommen, dass Deutschlan­d als Sicherheit­srisiko gilt. Experten warnen gar davor, dass Verbündete Deutschlan­ds mit der Bundesrepu­blik vielleicht nicht mehr alles teilen wollen aus Angst vor undichten Stellen. Da besteht dringend Handlungsb­edarf trotz knapper Kassen. Und auch in der Gesellscha­ft und in Unternehme­n muss noch stärker das Bewusstsei­n dafür reifen, wie man sensibel mit Daten umgeht, um Spionage zu verhindern. Deutschlan­d ist im Fadenkreuz russischer Dienste. Das ist längst klar.

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