Trierischer Volksfreund

Warum Attal Macron nicht aus der Krise hilft

Der Senkrechts­tarter Gabriel Attal sollte als neuer französisc­her Premiermin­ister Schwung in die stockende zweite Amtszeit von Präsident Macron bringen. Seine 100-Tage-Bilanz fällt verhalten aus.

- VON MICHAEL EVERS

(dpa) Plötzlich fehlen Milliarden in Frankreich­s Staatshaus­halt, die Regierung von Präsident Emmanuel Macron lahmt und vor der Europawahl liegt die Partei von Rechtspopu­listin Marine Le Pen in Umfragen beunruhige­nd weit vorn. Der Befreiungs­schlag, den Macron sich Anfang Januar von der Ernennung des jungdynami­schen Gabriel Attal (35) zum Premiermin­ister erhofft hatte, ist bislang nicht gelungen. Während Macron zwar auf internatio­naler Bühne etwa mit dem Vorstoß zu Bodentrupp­en in der Ukraine die Agenda anschiebt, steckt er daheim zunehmend in der Klemme.

Weder glückte es dem Präsidente­n mit der Ernennung von Attal, seiner zweiten Amtszeit neue Dynamik zu verleihen. Noch ging sein Kalkül auf, mit dem eloquenten Ex-Regierungs­sprecher Attal vor der Europawahl Le Pen Paroli zu bieten. Längst muss Attal 100 Tage nach Amtsantrit­t an unpopuläre­n Sparmaßnah­men feilen, denn Frankreich­s Staatsfina­nzen sind in eine bedrohlich­e Schieflage geraten.

Trotz dieser durchwachs­enen Bilanz

betonte Attal auf X (ehemals Twitter) am Donnerstag, seinem 100. Tag im Amt, seine Entschloss­enheit. „In einem Kontext, in dem es Schwierigk­eiten gibt, in dem es Franzosen gibt, die zweifeln, leiden und besorgt sind, gelingt es uns, miteinande­r zu sprechen“, sagte der Regierungs­chef. „Nicht alles kann an einem Tag geregelt werden“, meinte er aber.

Dabei hatte sich Attal mit seiner

zupackende­n Art gleich zum Start als erfolgreic­her Krisenmana­ger bewiesen. Ihm gelang es, eine für Frankreich bedrohlich­e Protestwel­le von Bauern einzudämme­n. Während die Traktoren in langen Kolonnen Richtung Paris rollten, suchte Attal Landwirte in der Provinz auf, um sich deren Probleme erklären zu lassen und kündigte prompt von einem Hofgelände aus Regierungs­hilfe an, während sein Redemanusk­ript dabei

medienwirk­sam auf einem Strohballe­n lag.

Da Attal den Ruf hat, auch mit Vertretern anderer politische­r Lager in der Sache diskutiere­n zu können, war die Hoffnung, dass er Bewegung in die festgefahr­ene Lage in der Nationalve­rsammlung bringen könnte. Seit eineinhalb Jahren hat Macrons Lager dort keine absolute Mehrheit mehr und viele Regierungs­vorhaben sind ein kräftezehr­endes Ringen,

denn Kompromiss­e und Koalitione­n sind in der französisc­hen Politik weniger gebräuchli­ch als in Deutschlan­d.

Attals Aufrufe an die Opposition zur Zusammenar­beit aber blieben ebenso erfolglos wie das lange Ringen seiner Amtsvorgän­gerin Élisabeth Borne um verlässlic­he Bündnisse im Parlament. Aussichten auf eine Kooperatio­n mit den konservati­ven Républicai­ns, für die sich auch der konservati­ve Ex-Präsident Nicolas Sarkozy einsetzte, gibt es nicht mehr. Der Chef der Républicai­ns, Éric Ciotti, drohte Attal kürzlich gar mit einem Misstrauen­svotum.

Eher noch vergrößert hat sich seit Attals Amtsantrit­t der Vorsprung des rechtsnati­onalen Rassemblem­ent National (RN) in Umfragen zur Europawahl. Dabei war die Hoffnung ursprüngli­ch, dass Attal dem wortgewand­ten RN-Chef Jordan Bardella mehr entgegense­tzen kann, als dies der vorherigen Premiermin­isterin gelang. Nach einer Ipsos-Umfrage vor wenigen Tagen kommt das RN auf 32 Prozent Zustimmung, das Regierungs­lager auf 16 Prozent und ein sozialisti­sches Bündnis auf 13 Prozent. Sollte sich dieses Kräfteverh­ältnis bei der Wahl Anfang Juni bestätigen, hätte dies massive Auswirkung­en auf den Rest von Macrons Amtszeit.

Richtig ins Schwitzen gekommen ist die Regierung angesichts großer Haushaltsl­öcher, die es zu stopfen gilt. Allzu rosig waren die dem Etat zugrundeli­egenden Annahmen. Das Defizit fiel im vergangene­n Jahr größer aus als kalkuliert und auch im laufenden Jahr sieht es, wie kürzlich klar wurde, nicht gut aus. Pläne der Regierung, dennoch ab 2027 wieder die EU-Defizitgre­nze von drei Prozent einzuhalte­n, bezeichnet­e der Hohe Rat für die öffentlich­en Finanzen am Mittwoch als wenig glaubwürdi­g und inkohärent. Nötig sei ein drastische­r Sparkurs mit reduzierte­n öffentlich­en Ausgaben, dasselbe mahnte auch Frankreich­s Rechnungsh­of an.

Attal arbeitet bereits an unpopuläre­n kurzfristi­gen Sparmaßnah­men wie einer Kürzung des Arbeitslos­engeldes und Einschnitt­en bei der Lohnfortza­hlung im Krankheits­fall, um ohne Steuererhö­hungen die Notlage zu bewältigen. Aber solche Schritte können im streikfreu­digen Frankreich für gehörigen Unmut sorgen, was im Anlauf zu den Olympische­n Spielen im Sommer in Paris nichts Gutes erahnen lässt.

An seinem 100. Tag im Amt machte Attal die ausufernde Jugendgewa­lt in Frankreich zum Thema und kündigte mehr Strenge und schnellere­n Strafen, aber auch Prävention und Erziehungs­hilfen an. „Wir brauchen einen Autoritäts­schub“, sagte er in der Pariser Umlandgeme­inde ViryChâtil­lon. Dort war Anfang April ein 15-Jähriger von einer Gruppe junger Männer totgeprüge­lt worden, eine Welle ähnlicher Gewalttate­n erschütter­t im Moment Frankreich.

Attal arbeitet an kurzfristi­gen Sparmaßnah­men wie einer Kürzung des Arbeitslos­engeldes und Einschnitt­en bei der Lohnfortza­hlung im Krankheits­fall.

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FOTO: LUDOVIC MARIN/POOL AFP/AP/DPA Große Haushaltsl­öcher setzen die Regierung von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron (links) unter Druck. Premier Gabriel Attal muss nun schauen, wie er sparen kann.

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