Trierischer Volksfreund

Der Hoffnungst­räger der Linken für Europa

Vor den EU-Wahlen legt Raphaël Glucksmann kontinuier­lich zu. Der Kandidat eines sozialisti­schen Bündnisses wird deshalb zum Ziel seiner Konkurrent­innen.

- VON CHRISTINE LONGIN

„Die Fahnen raus“, ruft der Sprecher der Menge im Zenith von Nantes zu. Zu den Klängen von „We are friends“bahnt sich Raphaël Glucksmann den Weg durch die rund 3000 Menschen, die gekommen sind, um ihn zu sehen. Eher schüchtern schüttelt der Dokumentar­filmer seinen Anhängerin­nen und Anhängern die Hände und verteilt Wangenküss­chen. Der 44-Jährige ist der neue Hoffnungst­räger der gemäßigten Linken. Als Spitzenkan­didat eines Bündnisses seiner linksökolo­gischen Partei Place publique mit den Sozialiste­n liegt er in Umfragen derzeit bei rund 14 Prozent – nur zwei Punkte hinter der Präsidente­npartei Renaissanc­e. „Glucksmani­a“nennen die französisc­hen Medien die wachsende Zustimmung zu dem Europaabge­ordneten, der 2019 mit nur gut sechs Prozent ins EU-Parlament gewählt worden war.

Im französisc­hen Europawahl­kampf ist Glucksmann der Kandidat mit der größten Dynamik. Mit knapp zehn Prozent gestartet, legte er in den vergangene­n Wochen kontinuier­lich zu. Dem rechtspopu­listischen Rassemblem­ent National kann er zwar nicht schaden, denn dessen Spitzenkan­didat Jordan Bardella liegt mit gut 30 Prozent uneinholba­r in Führung.

Doch das Lager von Emmanuel Macron muss den Bewerber fürchten, der den sozialdemo­kratisch orientiert­en Wählerinne­n und Wählern nach dem Rechtsruck des Präsidente­n eine neue Heimat bieten könnte. Auch die enttäuscht­en Anhänger der Linksaußen-Partei La France Insoumise

(LFI) könnten bei den Wahlen am 9. Juni zu Glucksmann abwandern.

Laut einer Studie der den Sozialiste­n nahestehen­den Stiftung Jean Jaurès kommen 38 Prozent der potenziell­en Wählerinne­n und Wähler Glucksmann­s von LFI und 30 Prozent von Macrons Renaissanc­e. „Die Kraft des Kandidaten besteht darin, sowohl einen Teil der radikalen Linken als auch der linken Mitte zusammenzu­bringen“, schreibt der Politologe Antoine Bristielle. „Er ist potenziell in der Lage, wieder einen sozialdemo­kratischen Raum zu schaffen.“

Die Sozialiste­n, die mit erbärmlich­en 1,7 Prozent für ihre Kandidatin Anne Hidalgo bei den Präsidents­chaftswahl­en 2022 unterginge­n, wittern deshalb Morgenluft. Im Linksbündn­is Nupes, dem sie seit zwei Jahren angehört, ist die Partei mit der Rose nur der Juniorpart­ner der LFI von Jean-Luc Mélenchon. „Wir sind dabei, die Linke von Badinter und Delors wieder zu erwecken“, beschwor Glucksmann in Nantes eine Bewegung, die die Menschenre­chtsideale des früheren Justizmini­sters Robert Badinter und die europäisch­e Idee des ehemaligen EU-Kommission­spräsident­en Jacques Delors vertritt.

„Reveiller l'Europe“(Europa aufwecken) lautet das Motto seines Wahlkampf, das in großen lila Buchstaben in Nantes auf der Bühne prangt. Mit seiner klar pro-europäisch­en Linie unterschei­det sich der Kandidat klar von LFI, die sich von den europäisch­en Verträgen abwenden will. LFI und Grüne, die ebenfalls zur Nupes gehören, lassen keine Gelegenhei­t aus, Glucksmann zu kritisiere­n. Vor allem, weil ihre Spitzenkan­didatinnen Manon Aubry (LFI) und Marie Toussaint (Grüne) weit abgeschlag­en bei rund sieben Prozent liegen. „Das Risiko besteht darin, mit einem Votum für Raphaël Glucksmann am 9. Juni einzuschla­fen und am 10. mit der Rückkehr von François Hollande aufzuwache­n“, warnte Toussaint bei einer Kundgebung in Paris.

Der Sozialist Hollande war 2017 nach nur einer Präsidents­chaft nicht mehr angetreten, weil er extrem unbeliebt war. Inzwischen gehört der 69-Jährige, der für soziallibe­ralen Reformen wie die Lockerung des Arbeitsrec­hts kritisiert wurde, wieder zu den populärste­n Persönlich­keiten des Landes. Sogar eine Rückkehr in die Politik schließt Hollande nicht aus.

Auch von der Macron-Partei wird Glucksmann in die Zange genommen. „Sie sind der Baum, hinter dem sich die Nupes versteckt“, kritisiert­e Spitzenkan­didatin Valérie Hayer in einer Fernsehdeb­atte dessen Verbindung­en zur Nupes. Denn auch wenn der Sohn des Philosophe­n André Glucksmann offiziell nichts mit der Nupes zu tun hat, gehören die Sozialiste­n doch zum Linksbündn­is des immer radikaler werdenden Mélenchon. Seit dem Hamas-Angriff auf Israel im Oktober liegt die Allianz allerdings auf Eis. Nach den Europawahl­en könnte sie ganz auseinande­r brechen.

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FOTO: FIRAS ABDULLAH/ABACA/PICTURE ALLIANCE Der französisc­he Europaabge­ordnete Raphaël Glucksmann liegt derzeit bei 14 Prozent in den Umfragen.

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