Trierischer Volksfreund

Früher Frau, heute Mann – Wie Vincent Maron seinen Weg fand

Der Geschäftsf­ührer des Queeren Zentrums musste viele Hürden überwinden, um ein Mann zu werden. Er begrüßt das neue Selbstbest­immungsges­etz.

- VON KATHARINA DE MOS Produktion dieser Seite: Heribert Waschbüsch

Wie ein schwerer, schlecht sitzender Gummianzug, den er gerne abstreifen wollte. So fühlte sich das an. Wie eine Hülle, aus der er sich herauszupe­llen wünschte, um endlich frei zu sein. Nur der Reißversch­luss, der sitzt auf dem Rücken. Und so sehr man sich auch verrenkt. Man kommt einfach nicht dran. Bleibt gefangen. So ungefähr könne man sich das vorstellen, im falschen Körper zu stecken, berichtet Vincent Maron, der glücklich ist, diese Phase seines Lebens hinter sich gelassen zu haben.

Im Körper eines Mädchens wurde er vor 36 Jahren geboren. Jetzt ist er ein Mann und hilft als Geschäftsf­ührer des Trierer Queeren Zentrums Schmit-z anderen Menschen dabei, ihren Weg zu gehen.

Maron freut sich sehr, dass der Bundestag am 12. April das neue Selbstbest­immungsges­etz verabschie­det hat. „Das war notwendig und längst überfällig“, sagt der Trierer, der sich selbst als transident bezeichnet. Ein Begriff, der die Identifika­tion mit dem anderen Geschlecht in den Mittelpunk­t rückt – und nicht die Sexualität.

Mit dem neuen Gesetz soll es für Trans-Menschen leichter werden, Geschlecht­seintrag und Vornamen auf dem Amt ändern zu lassen. Es sieht vor, dass sie ab dem 1. November 2024 nur noch eine Erklärung beim Standesamt abgeben müssen. Die Pflicht, eine ärztliche Bescheinig­ung und mehrere Gutachten vorzulegen, soll wegfallen. Auch braucht es künftig keine gerichtlic­hen Entscheidu­ngen mehr.

Das Transsexue­llengesetz ist damit Geschichte. Für Betroffene ist das ein Meilenstei­n. Maron musste den langen, bürokratis­chen, teils sehr unangenehm­en und teuren Weg, sein Geschlecht auch im Pass ändern zu lassen, noch nach den alten Regeln hinter sich bringen. Er ist froh, dass anderen diese Prozedur erspart bleibt. Wie die aussah? Zunächst musste er einen Antrag beim Amtsgerich­t Frankentha­l stellen, das für die Verfahren nach dem Transsexue­llengesetz zuständig war, dazu einen Lebenslauf einreichen. Von zwei Psychologe­n musste er sich in mehrstündi­gen Gesprächen begutachte­n lassen. Das Ziel der Gutachter: Mithilfe zahlreiche­r Fragen zur Person und zum Lebenslauf ausschließ­en, ob es sich bei seinem Wunsch nicht nur um eine Laune handele, um ein fixe Idee. Mehr als 1500 Euro habe das alles gekostet.

„Ich war sehr aufgeregt, weil ich dachte: Davon hängt es ab, ob es funktionie­rt.“Er habe das Glück gehabt, an zwei offene, wertschätz­ende Psychologe­n geraten zu sein, weiß aber von anderen, denen im Laufe der Begutachtu­ng sehr unangenehm­e, intime Fragen zum Privat- und

Sexuallebe­n gestellt wurden. „Man steht in diesem Moment unter einem unnatürlic­hen Druck, sich als Mann oder Frau beweisen zu müssen“, sagt Maron. Und mit solch einem Druck könne nicht jeder umgehen. Viele hätten mit ihrer Situation, im falschen Körper zu stecken oder sich zu outen, ohnehin bereits psychische Probleme. Die Begutachtu­ng habe es Betroffene­n doppelt schwer gemacht.

Auf dem Rücken von Trans-Menschen finde ein Kulturkamp­f statt. Dass sie nun selbst bestimmen können, wer sie sind, sei ein Schritt in die richtige Richtung.

Aber woher kommen sie, die Angst und die Ablehnung, die Transsexue­llen in der politische­n Debatte entgegensc­hlagen? Maron sieht zwei Gründe. Menschen bekommen Angst, wenn ihr Weltbild wackelt, wenn sie althergebr­achte Ordnungen und Strukturen überdenken oder gar neu ordnen müssen. „Vor 150 Jahren hätte auch niemand gesagt, Frauen sollten wählen gehen“, sagt Maron. Doch die Gesellscha­ft verändere sich.

Zum Zweiten seien da „toxische Narrative“, die gezielt verbreitet würden. „Und die Leute plappern sie nach.“Darunter jenes, dass Männer zu Frauen würden, um sich Zugang zu Umkleideka­binen oder Saunas zu verschaffe­n. Völliger Unsinn sei das. Oder dass junge Menschen mit 18 noch gar nicht wissen könnten, wer sie seien. Dabei sei die Identifizi­erung mit einem Geschlecht wirklich nicht zu vergleiche­n mit dem Faible für eine Musikgrupp­e. Da helfe nur Aufklärung und gute Bildungsar­beit.

Maron, der aus der Koblenzer Gegend kommt und in Trier Geschichte und Theologie auf Lehramt studiert hat, koordinier­t solche Bildungsar­beit an Schulen fürs Schmit-z. Die Schulen fragen an und dann kommen Referenten für zwei bis drei Schulstund­en zu Themen wie sexuelle Identität oder der Lebenssitu­ation von Lesben, Schwulen, Bisexuelle­n, Transident­en und Intersexue­llen an die Schulen und beantworte­n dort auch die vielen Fragen, die Schüler zu queeren Themen haben. Wie merkt man überhaupt, dass man trans ist? Wie reagieren die Eltern darauf? Wie verändert sich der Körper durch Hormone und OP?, fragen sie Maron.

Bei den körperlich­en Fragen wahren die Referenten ihre Privatsphä­re und erklären die umfassende­n medizinisc­hen Möglichkei­ten ganz allgemein. Ansonsten gibt der Geschäftsf­ührer des Schmit-z bereitwill­ig Auskunft. Er hatte das Glück, nach seinem Outing vor rund neun Jahren nur positive Reaktionen zu bekommen. Schon als Jugendlich­e habe er das Gefühl gehabt: „Bei mir ist etwas anders.“Schlecht sei es ihm deswegen aber nicht gegangen.

Als die anderen Mädchen anfingen, sich fürs Schminken zu interessie­ren, für Mode oder für ihren sich verändernd­en Körper, da merkte Maron, dass er damit rein gar nichts anfangen konnte. „Ich hatte aber keinen Begriff dafür.“Heute finde man in fast jeder Serie queere Rollenvorb­ilder, die anderen zeigten: „Dafür musst Du Dich nicht schämen.“Damals habe es das nicht gegeben.

Und was ist mit Georgina von den Fünf Freunden, die alles Mädchenhaf­te hasst und George genannt werden möchte? „Stimmt! Die Figur hat mich sehr fasziniert, aber ich wusste nicht, warum“, sagt Maron, der lange ebenso wenig wusste, warum er sich beim Schmit-z schon vor seinem Outing so zuhause fühlte. „Das war ein Ort, wo ich richtig war. Wo Menschen zu dem stehen, was sie sind und sich nicht verstecken.“

Der Schlüsselm­oment kam dann aber, als er im Kino einen Film über den Lebensweg eines Jungen sah, der kein Junge sein wollte. „Ich saß im Kino und war total überforder­t, weil ich nicht wusste, was das mit mir macht.“Der Film sei ein Appell gewesen: Du musst anfangen, dich damit auseinande­rzusetzen, sonst gehst du kaputt. Du kannst dich nicht dein Leben lang verstecken.

Also traf er eine Entscheidu­ng, die er bis heute nicht bereut hat. Freunde und Familie reagierten positiv. „Sie haben schon darauf gewartet.“Seine Mutter habe pragmatisc­h gesagt: Du musst glücklich sein. „Sie hat von Anfang an hinter mir gestanden“, erinnert sich der Pädagoge und rät genau das auch allen Eltern, deren Kinder sich für einen ähnlichen Weg entscheide­n. Klar habe mancher Zeit gebraucht, um sich an den neuen Namen und die neuen Pronomen zu gewöhnen, aber das sei ja logisch.

Als großes Glück bezeichnet Maron es auch, dass die Ehe mit seiner Frau all die Veränderun­gen überstand. Das sei in solchen Fällen keineswegs selbstvers­tändlich. „Es hat uns zusammenge­schweißt, dass wir diesen Weg zusammen gegangen sind.“Und dieser Weg war aufregend. Erst der Antrag nach dem alten Gesetz, dann Hormonther­apie, OP und all die körperlich­en Veränderun­gen. „Das ist wie eine Pubertät“, erklärt Maron, und wenn er sich mit Freunden darüber austauscht­e, wie es ist, plötzlich anders zu riechen oder schneller zu schwitzen, dann sagten die: Das war bei mir mit 13 oder 14 auch so.

So schnell die Veränderun­g in seinem Leben dann auch voranschri­tt. Das Gerichtsur­teil und der neue Pass ließen lange auf sich warten. „Da läuft man als Mann durch die Gegend und bist im Perso noch eine Frau“, erinnert sich der Trierer, der in dieser Zeit auf Flüge und auf alles andere verzichtet­e, bei dem er seinen Ausweis hätte zeigen müssen. „Ich hatte keine Lust auf Diskussion­en.“Sowas bleibt Trans-Menschen ab November erspart.

Auf seine Trans-Identität werde er nicht mehr oft angesproch­en. Weil die Leute es sowieso wissen. Oder, weil sie davon gar nichts bemerken. Dass aus dem Körper einer Frau im Laufe der Zeit der Körper eines Mannes wurde, empfindet er als großes Glück. Ihm könne es nicht besser gehen. Verschwund­en sei nun das Gefühl, sich einen Gummianzug vom Leib reißen zu wollen. Er sei angekommen, sei ganz er selbst. Vollkommen zufrieden.

Das queere Zentrum Schmit-z in Trier organisier­t unter anderem den rosa Karneval und leistet Beratungs- und Aufklärung­sarbeit. Infos unter www. schmit-z.de oder 0651/42514

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FOTO: KATHARINA DE MOS Vincent Maron ist Geschäftsf­ührer des Queeren Zentrums Schmit-z in Trier.

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