Früher Frau, heute Mann – Wie Vincent Maron seinen Weg fand
Der Geschäftsführer des Queeren Zentrums musste viele Hürden überwinden, um ein Mann zu werden. Er begrüßt das neue Selbstbestimmungsgesetz.
Wie ein schwerer, schlecht sitzender Gummianzug, den er gerne abstreifen wollte. So fühlte sich das an. Wie eine Hülle, aus der er sich herauszupellen wünschte, um endlich frei zu sein. Nur der Reißverschluss, der sitzt auf dem Rücken. Und so sehr man sich auch verrenkt. Man kommt einfach nicht dran. Bleibt gefangen. So ungefähr könne man sich das vorstellen, im falschen Körper zu stecken, berichtet Vincent Maron, der glücklich ist, diese Phase seines Lebens hinter sich gelassen zu haben.
Im Körper eines Mädchens wurde er vor 36 Jahren geboren. Jetzt ist er ein Mann und hilft als Geschäftsführer des Trierer Queeren Zentrums Schmit-z anderen Menschen dabei, ihren Weg zu gehen.
Maron freut sich sehr, dass der Bundestag am 12. April das neue Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet hat. „Das war notwendig und längst überfällig“, sagt der Trierer, der sich selbst als transident bezeichnet. Ein Begriff, der die Identifikation mit dem anderen Geschlecht in den Mittelpunkt rückt – und nicht die Sexualität.
Mit dem neuen Gesetz soll es für Trans-Menschen leichter werden, Geschlechtseintrag und Vornamen auf dem Amt ändern zu lassen. Es sieht vor, dass sie ab dem 1. November 2024 nur noch eine Erklärung beim Standesamt abgeben müssen. Die Pflicht, eine ärztliche Bescheinigung und mehrere Gutachten vorzulegen, soll wegfallen. Auch braucht es künftig keine gerichtlichen Entscheidungen mehr.
Das Transsexuellengesetz ist damit Geschichte. Für Betroffene ist das ein Meilenstein. Maron musste den langen, bürokratischen, teils sehr unangenehmen und teuren Weg, sein Geschlecht auch im Pass ändern zu lassen, noch nach den alten Regeln hinter sich bringen. Er ist froh, dass anderen diese Prozedur erspart bleibt. Wie die aussah? Zunächst musste er einen Antrag beim Amtsgericht Frankenthal stellen, das für die Verfahren nach dem Transsexuellengesetz zuständig war, dazu einen Lebenslauf einreichen. Von zwei Psychologen musste er sich in mehrstündigen Gesprächen begutachten lassen. Das Ziel der Gutachter: Mithilfe zahlreicher Fragen zur Person und zum Lebenslauf ausschließen, ob es sich bei seinem Wunsch nicht nur um eine Laune handele, um ein fixe Idee. Mehr als 1500 Euro habe das alles gekostet.
„Ich war sehr aufgeregt, weil ich dachte: Davon hängt es ab, ob es funktioniert.“Er habe das Glück gehabt, an zwei offene, wertschätzende Psychologen geraten zu sein, weiß aber von anderen, denen im Laufe der Begutachtung sehr unangenehme, intime Fragen zum Privat- und
Sexualleben gestellt wurden. „Man steht in diesem Moment unter einem unnatürlichen Druck, sich als Mann oder Frau beweisen zu müssen“, sagt Maron. Und mit solch einem Druck könne nicht jeder umgehen. Viele hätten mit ihrer Situation, im falschen Körper zu stecken oder sich zu outen, ohnehin bereits psychische Probleme. Die Begutachtung habe es Betroffenen doppelt schwer gemacht.
Auf dem Rücken von Trans-Menschen finde ein Kulturkampf statt. Dass sie nun selbst bestimmen können, wer sie sind, sei ein Schritt in die richtige Richtung.
Aber woher kommen sie, die Angst und die Ablehnung, die Transsexuellen in der politischen Debatte entgegenschlagen? Maron sieht zwei Gründe. Menschen bekommen Angst, wenn ihr Weltbild wackelt, wenn sie althergebrachte Ordnungen und Strukturen überdenken oder gar neu ordnen müssen. „Vor 150 Jahren hätte auch niemand gesagt, Frauen sollten wählen gehen“, sagt Maron. Doch die Gesellschaft verändere sich.
Zum Zweiten seien da „toxische Narrative“, die gezielt verbreitet würden. „Und die Leute plappern sie nach.“Darunter jenes, dass Männer zu Frauen würden, um sich Zugang zu Umkleidekabinen oder Saunas zu verschaffen. Völliger Unsinn sei das. Oder dass junge Menschen mit 18 noch gar nicht wissen könnten, wer sie seien. Dabei sei die Identifizierung mit einem Geschlecht wirklich nicht zu vergleichen mit dem Faible für eine Musikgruppe. Da helfe nur Aufklärung und gute Bildungsarbeit.
Maron, der aus der Koblenzer Gegend kommt und in Trier Geschichte und Theologie auf Lehramt studiert hat, koordiniert solche Bildungsarbeit an Schulen fürs Schmit-z. Die Schulen fragen an und dann kommen Referenten für zwei bis drei Schulstunden zu Themen wie sexuelle Identität oder der Lebenssituation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transidenten und Intersexuellen an die Schulen und beantworten dort auch die vielen Fragen, die Schüler zu queeren Themen haben. Wie merkt man überhaupt, dass man trans ist? Wie reagieren die Eltern darauf? Wie verändert sich der Körper durch Hormone und OP?, fragen sie Maron.
Bei den körperlichen Fragen wahren die Referenten ihre Privatsphäre und erklären die umfassenden medizinischen Möglichkeiten ganz allgemein. Ansonsten gibt der Geschäftsführer des Schmit-z bereitwillig Auskunft. Er hatte das Glück, nach seinem Outing vor rund neun Jahren nur positive Reaktionen zu bekommen. Schon als Jugendliche habe er das Gefühl gehabt: „Bei mir ist etwas anders.“Schlecht sei es ihm deswegen aber nicht gegangen.
Als die anderen Mädchen anfingen, sich fürs Schminken zu interessieren, für Mode oder für ihren sich verändernden Körper, da merkte Maron, dass er damit rein gar nichts anfangen konnte. „Ich hatte aber keinen Begriff dafür.“Heute finde man in fast jeder Serie queere Rollenvorbilder, die anderen zeigten: „Dafür musst Du Dich nicht schämen.“Damals habe es das nicht gegeben.
Und was ist mit Georgina von den Fünf Freunden, die alles Mädchenhafte hasst und George genannt werden möchte? „Stimmt! Die Figur hat mich sehr fasziniert, aber ich wusste nicht, warum“, sagt Maron, der lange ebenso wenig wusste, warum er sich beim Schmit-z schon vor seinem Outing so zuhause fühlte. „Das war ein Ort, wo ich richtig war. Wo Menschen zu dem stehen, was sie sind und sich nicht verstecken.“
Der Schlüsselmoment kam dann aber, als er im Kino einen Film über den Lebensweg eines Jungen sah, der kein Junge sein wollte. „Ich saß im Kino und war total überfordert, weil ich nicht wusste, was das mit mir macht.“Der Film sei ein Appell gewesen: Du musst anfangen, dich damit auseinanderzusetzen, sonst gehst du kaputt. Du kannst dich nicht dein Leben lang verstecken.
Also traf er eine Entscheidung, die er bis heute nicht bereut hat. Freunde und Familie reagierten positiv. „Sie haben schon darauf gewartet.“Seine Mutter habe pragmatisch gesagt: Du musst glücklich sein. „Sie hat von Anfang an hinter mir gestanden“, erinnert sich der Pädagoge und rät genau das auch allen Eltern, deren Kinder sich für einen ähnlichen Weg entscheiden. Klar habe mancher Zeit gebraucht, um sich an den neuen Namen und die neuen Pronomen zu gewöhnen, aber das sei ja logisch.
Als großes Glück bezeichnet Maron es auch, dass die Ehe mit seiner Frau all die Veränderungen überstand. Das sei in solchen Fällen keineswegs selbstverständlich. „Es hat uns zusammengeschweißt, dass wir diesen Weg zusammen gegangen sind.“Und dieser Weg war aufregend. Erst der Antrag nach dem alten Gesetz, dann Hormontherapie, OP und all die körperlichen Veränderungen. „Das ist wie eine Pubertät“, erklärt Maron, und wenn er sich mit Freunden darüber austauschte, wie es ist, plötzlich anders zu riechen oder schneller zu schwitzen, dann sagten die: Das war bei mir mit 13 oder 14 auch so.
So schnell die Veränderung in seinem Leben dann auch voranschritt. Das Gerichtsurteil und der neue Pass ließen lange auf sich warten. „Da läuft man als Mann durch die Gegend und bist im Perso noch eine Frau“, erinnert sich der Trierer, der in dieser Zeit auf Flüge und auf alles andere verzichtete, bei dem er seinen Ausweis hätte zeigen müssen. „Ich hatte keine Lust auf Diskussionen.“Sowas bleibt Trans-Menschen ab November erspart.
Auf seine Trans-Identität werde er nicht mehr oft angesprochen. Weil die Leute es sowieso wissen. Oder, weil sie davon gar nichts bemerken. Dass aus dem Körper einer Frau im Laufe der Zeit der Körper eines Mannes wurde, empfindet er als großes Glück. Ihm könne es nicht besser gehen. Verschwunden sei nun das Gefühl, sich einen Gummianzug vom Leib reißen zu wollen. Er sei angekommen, sei ganz er selbst. Vollkommen zufrieden.
Das queere Zentrum Schmit-z in Trier organisiert unter anderem den rosa Karneval und leistet Beratungs- und Aufklärungsarbeit. Infos unter www. schmit-z.de oder 0651/42514