Warum immer mehr Schüler nicht mehr richtig schreiben lernen
„Wir können alles außer Deutsch!“Die Baden-Württemberger wollen die Rechtschreibung in ihren Schulen nicht mehr benoten. Wie sieht das in Rheinland-Pfalz aus?
Heißt es Flopp oder Flop? Was ist richtig: in wie weit oder inwieweit? Matraze oder Matratze? Geht es nach dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), ist es egal, ob jemand richtig schreibt oder nicht: „Ich frage mich: Ist Rechtschreibung tatsächlich so wichtig, wenn das Schreibprogramm alles korrigiert?“, sagte der einstige Lehrer in einem Interview.
Und tatsächlich werden Schreibfehler in Deutsch-Aufsätzen oder dem Deutsch-Abitur nicht mehr gezählt. Schleswig-Holstein hat nun als eines der letzten Bundesländer angekündigt, den sogenannten Fehlerquotienten in Aufsätzen abzuschaffen. Dieser besagt, dass die Rechtschreibfehler durch die Gesamtzahl der Wörter geteilt wird. In Zukunft ist in dem nördlichen Bundesland die Note nicht mehr abhängig von der Zahl der falsch geschriebenen Wörter. In Rheinland-Pfalz ist dieser Fehlerquotient
schon seit Längerem abgeschafft. Das bedeutet: Deutschnoten dürfen nicht berechnet werden, sie sollen durch die pädagogische Verantwortung des Lehrers bestimmt werden. In den Klassen fünf und sechs wird die Rechtschreibleistung in Klassenarbeiten – außer in Diktaten – nicht benotet. In der 7. bis 10. Klasse kann die Note in Aufsätzen „bei besonders schwachen Rechtschreibund Zeichensetzungsleistungen um höchstens eine ganze Notenstufe herabgesetzt werden“, heißt es in der entsprechenden Vorschrift.
Rheinland-Pfalz lege großen Wert darauf, dass Kinder und Jugendliche die Rechtschreibung entsprechend den Regelungen im Amtlichen Regelwerk erlernen, sagt ein Sprecher des Bildungsministeriums. Das Beherrschen der deutschen Sprache sei „elementarer Bestandteil, damit die Schülerinnen und Schüler eigenständig ihr Leben gestalten können. Und sie ist damit auch ein wichtiger Teil von Bildungsgerechtigkeit.“
Cornelia Schwartz bezweifelt, dass in Rheinland-Pfalz großer Wert darauf gelegt wird, dass Kinder richtiges Schreiben lernen. Die Landesvorsitzende des Philologenverbandes, der Interessenvertretung der Gymnasiallehrer, verweist darauf, dass mehr als die Hälfte der Grundschüler bis Ende der vierten Klasse nicht den Regelstandard in Rechtschreibung erreichten – sie sind also nicht in der Lage, fehlerfrei zu schreiben. Lehrkräfte würden in den ersten beiden Grundschuljahren dazu angehalten, Fehler in Aufsätzen oder im freien Schreiben nicht zu korrigieren. Damit setze sich bei den Schülern fest, dass Rechtschreibung „wohl nicht so wichtig ist“. Nur in Diktaten mit geübten Wörtern komme es dann auf die korrekte Schreibung an. Erst ab der dritten Klasse sollen laut Lehrplan Wörter verbessert werden. „So aber verfestigen sich Fehler, die dann hinterher nur mit großer Mühe wieder korrigiert werden können“, sagt Schwartz.
Es sei sehr wichtig, dass in Schulen und Behörden die Rechtschreibung
„weiterhin eine herausragende oder wieder eine herausragende Bedeutung erhält“, meint auch Sabine Krome, Geschäftsführerin des Rats für deutsche Rechtschreibung. „Die Pisa-Studien zeigen, dass die Fähigkeiten im Lesen und Schreiben zurückgegangen sind.“Auch in den Fremdsprachen seien die Leistungen zurückgegangen, während sich gleichzeitig die Noten wegen des auch dort abgeschafften Fehlerindex deutlich verbessert hätten, sagt Schwartz.
Fremdsprachen hält Ministerpräsident Kretschmann übrigens auch für überflüssig: „Wenn das Handy Gespräche in fast jede Sprache der Welt in Echtzeit übersetzen kann – brauchen wir dann noch eine zweite Fremdsprache in der Schule als Pflichtfach?“fragt er sich in dem Interview mit der „Zeit“. Schwartz zeigt sich irritiert über diese Aussage ihres ehemaligen Kollegen: „Wer das Denken an Maschinen abgibt, der amputiert sich gleichsam gesunde Gliedmaßen ohne Not.“