Trierischer Volksfreund

Trierer Amokprozes­s: Was der neue Gutachter sagt — und was das fürs Urteil bedeuten könnte

Darauf haben viele gewartet: Das neue Gutachten über den Trierer Amokfahrer liegt vor. Das Urteil könnte bereits Anfang Mai verkündet werden.

- VON ROLF SEYDEWITZ

Entscheide­nder Verhandlun­gstag im Trierer Amokprozes­s: Der psychiatri­sche Sachverstä­ndige Professor Dr. Jürgen L. Müller hat am Mittwoch sein rund 200 Seiten umfassende­s Gutachten über den Amokfahrer vorgestell­t. Nach Einschätzu­ng des renommiert­en Experten leidet der aus dem Trierer Stadtteil Zewen stammende Amokfahrer an einer paranoiden Schizophre­nie mit Wahnvorste­llungen. Die Steuerungs­fähigkeit des 54-Jährigen sei erheblich vermindert, sagte der Göttinger Universitä­tsprofesso­r. Zu einer ähnlichen Diagnose war auch schon der Gutachter im ersten Prozess gekommen. Auch der neue Gutachter kommt zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte zur Tatzeit „vermindert schuldfähi­g war, aber nicht gänzlich schuldunfä­hig“. Ein Freispruch sei damit nicht zu erwarten, sagte Otmar Schaffarcz­yk, der im Amokprozes­s den Bruder einer der ermordeten Frauen vertritt. Es werde am Ende wohl bei der Verurteilu­ng zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe und zur Unterbring­ung in der Psychiatri­e bleiben. „Der Angeklagte gehört grundsätzl­ich in eine psychiatri­sche Klinik“, meinte auch der Gutachter auf Nachfrage von Verteidige­rin Martha Schwiering.

Was die Opfervertr­eter zu dem Gutachten sagen

Der Amokfahrer Bernd W. glaubt, als Kleinkind Opfer eines Pharma-Experiment­s geworden zu sein, bei dem ihm eine radioaktiv­e Flüssigkei­t in den Arm gespritzt worden sein soll. Dafür soll er umgerechne­t eine halbe Million Euro Entschädig­ung bekommen haben. Das Geld wird ihm nun angeblich von einem Notar vorenthalt­en. Für diese Behauptung­en gibt es keinerlei Belege; wie Bernd W. darauf kam, ist nicht bekannt. Er berichtete in Vernehmung­en bei der Polizei auch von leiblichen Kindern („mindestens zwei“), obwohl er in Wirklichke­it keine Kinder hat, und wieder von dem Trierer Notar, der eine seiner Töchter aufgezogen und später geheiratet habe. Vor Jahren ließ er sich zahlreiche Zähne ziehen, weil er Peilsender darin vermutete.

Nach Einschätzu­ng des Gutachters ist das sogenannte Wahn-Erleben für Bernd W. im Laufe der Zeit immer bedeutende­r geworden. Kurz vor der Amokfahrt habe er eine tiefe Enttäuschu­ng und Kränkung erlitten, weil er bei einem Besuch beim Notar wieder kein Geld bekommen habe. Daraufhin habe er „allgemeine Rachegefüh­le an der Bevölkerun­g“umgesetzt und die geplante Amokfahrt ausgeführt.

Bei der Todesfahrt durch die Trierer Innenstadt am 1. Dezember 2020 starben sechs Menschen,

Dutzende Passanten wurden teils lebensgefä­hrlich verletzt oder schwer traumatisi­ert.

Der Amokfahrer war im August 2022 vom Trierer Landgerich­t wegen mehrfachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe verurteilt worden. Zugleich ordnete das Gericht die Unterbring­ung des 54-Jährigen in einer geschlosse­nen Klinik an und stellte die besondere Schwere der Schuld fest.

Darum musste der Prozess neu aufgerollt werden.

Der Prozess gegen den 54-jährigen Amokfahrer von Trier musste neu aufgerollt werden, weil der Bundesgeri­chtshof das erste Urteil teilweise aufgehoben hatte. Bei der Ende Februar gestartete­n Neuauflage des Prozesses vor einer anderen Kammer des Trierer Landgerich­ts geht es jetzt insbesonde­re um die Frage, ob der Angeklagte zum Zeitpunkt des Gewaltverb­rechens möglicherw­eise schuldunfä­hig war. Damit kommt dem jetzt präsentier­ten Gutachten des Göttinger Universitä­tsprofesso­rs Dr. Jürgen L. Müller eine besondere Bedeutung zu.

Der Chefarzt an der Asklepios Klinik für Forensisch­e Psychiatri­e und Psychother­apie gilt als ausgewiese­ner Experte. So war Müller unter anderem als Obergutach­ter im Prozess um die Amokfahrt von Graz bestellt. Bei dem Gewaltverb­rechen war ein 26-Jähriger vor acht Jahren mit seinem SUV durch die Grazer Innenstadt gerast; drei Menschen starben, Dutzende wurden schwer verletzt.

Ob sich der Angeklagte erstmals im Prozess zu der Tat äußern wird, ist weiter fraglich. Eine mögliche schriftlic­he Stellungna­hme des 54-Jährigen wurde durch seine beiden Verteidige­r für den vorletzten Verhandlun­gstag am Donnerstag nächster Woche angekündig­t. Mit einem Urteil wird für den 6. Mai gerechnet.

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FOTO: ROLF SEYDEWITZ Der Trierer Amokfahrer zwischen seinen beiden Verteidige­rn Martha Schwiering und Frank K. Peter.

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