Trierischer Volksfreund

„Ich hätte nie gedacht, dass es mich mal treffen kann“

Rein rechnerisc­h trifft es jeden vierten Menschen im Leben: Schlaganfa­ll. In der Region sind Tausende pro Jahr betroffen. Karl Josef Haupenthal ist einer von ihnen.

- VON BERND WIENTJES

Wird schon nichts sein. Eine kleine Sehstörung. Kann ja mal vorkommen. So schlimm ist das auch nicht, wenn man hin und wieder etwas doppelt sieht. Karl Josef Haupenthal machte sich keine Sorgen, als er das vor ein paar Wochen bei sich bemerkte. Zumal ihm auch sonst nichts fehlte. Wird schon vorbeigehe­n.

Eine Woche später dann bekommt er abends Kopfschmer­zen. Ihm ist schwindeli­g. Eine Hand fühlt sich taub an. Als der 67-Jährige morgens zu seiner Ärztin kommt, klingeln bei ihr die Alarmglock­en. Sie sei kurz aus dem Behandlung­szimmer gegangen, als sie wieder kam, habe sie ihm mitgeteilt, dass sie den Krankenwag­en gerufen habe. Er müsse sofort in die Klinik, habe sie ihm gesagt. Verdacht auf Schlaganfa­ll.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen Schlaganfa­ll bekomme“, erzählt Haupenthal im Gespräch mit unserer Redaktion. Er ernähre sich nicht ungesund, rauche nicht, fahre Fahrrad, habe kein Übergewich­t. Der 67-Jährige, der in seiner Heimatgeme­inde Waldrach ( TrierSaarb­urg) in der Kommunalpo­litik tätig ist, weiß, dass ihm seine Ärztin womöglich das Leben gerettet hat. Zumindest hat sie durch ihre schnelle Reaktion verhindert, dass der Schlaganfa­ll größeren Schaden bei ihm anrichtet.

Bei einem Hirninfark­t – nichts anderes ist ein Schlaganfa­ll – komme es auf jede Minute an, erklärt Matthias Maschke. Er ist ChefNeurol­oge im Trierer Brüderkran­kenhaus und leitet dort die Schlaganfa­ll-Einheit, die sogenannte Stroke Unit. Mit jeder Minute, die ein Patient warte, hinterlass­e der Schlaganfa­ll mehr Schaden: „Time is brain – Zeit ist Gehirn“, laute die Formel. Je länger das Gehirn nicht mehr durchblute­t wird, desto mehr Zellen sterben ab und desto mehr

Körperregi­onen sind betroffen.

Je schneller die Hilfe erfolgt, desto besser sind die Chancen für Schlaganfa­ll-Patienten.

Innerhalb der ersten viereinhal­b Stunden könne man am meisten machen. Dank neuer Medikament­e habe sich das Zeitfenste­r in einigen Fällen auf bis zu neun Stunden verlängert. Ursache für einen Schlaganfa­ll ist ein Gefäßversc­hluss beziehungs­weise ein Gerinnsel im Gehirn. Bei der Behandlung geht es darum, die Durchblutu­ng so schnell wie möglich wiederherz­ustellen, damit die betroffene­n Gehirnzell­en nicht dauerhaft geschädigt werden und es nicht zu bleibenden Behinderun­gen kommt. Die Gerinnsel werden mit bestimmten Medikament­en, die injiziert werden, aufgelöst – die sogenannte Lyse.

Ein erst kürzlich zugelassen­es Medikament habe die Behandlung­smöglichke­iten deutlich verbessert, sagt Maschke. Es könne Patienten auch bereits bei der Verlegung in eine der beiden StrokeUnit­s in Trier oder im Wittlicher Krankenhau­s im Krankenwag­en verabreich­t werden. Das könne dazu führen, dass das Gerinnsel, das den Schlaganfa­ll verursacht hat, schneller gelöst wird und damit Zeit gewonnen werde. Über 1000 Schlaganfa­ll-Patienten werden jährlich im Brüderkran­kenhaus behandelt. Haupenthal war einer von ihnen.

Schon am Abend nach Beginn der Behandlung sei es ihm schon wieder besser gegangen. „Ich habe mich relativ fit gefühlt“, berichtet er und sagt: „Ich habe viel Glück gehabt.“Dass er die ersten Anzeichen, die Sehstörung, nicht ernst genommen habe, ärgert ihn heute. Das sei keine Seltenheit, sagt Maschke. Häufig würden die Symptome zu spät erkannt oder falsch gedeutet. „Sie tun eben nicht weh.“Daher kämen viele Patienten zu spät ins Krankenhau­s.

Deswegen sei Aufklärung so wichtig. Man müsse immer wieder bewusst machen, dass ein Schlaganfa­ll gut behandelba­r ist, wenn man rechtzeiti­g ins Krankenhau­s komme. Das müsse auch Angehörige­n klar sein. Ihnen komme beim Erkennen von Schlaganfa­llsymptome­n, aber auch nachher bei der Nachsorge, eine wichtige Rolle zu.

Sie könnten Patienten motivieren, nach einem Schlaganfa­ll gesünder zu leben, regelmäßig ihren Blutdruck zu messen oder vielleicht, mit dem Rauchen aufzuhören.

So viele Schlaganfä­lle gibt es jedes Jahr.

„Es gibt rund 270.000 Schlaganfä­lle pro Jahr in Deutschlan­d. Pro 100.000 Einwohner sind das 120 bis 130 Schlaganfä­lle“, sagt Maschke. Rein rechnerisc­h treffe es jeden vierten Deutschen mindestens einmal. Und das seien nicht nur Hochbetagt­e. Es gebe auch 16-Jährige, die einen Schlaganfa­ll bekommen könnten.

Haupenthal ist mittlerwei­le wieder zu Hause. Er wartet nun auf den Beginn seiner ambulanten Reha. Wenn man sich mit dem 67-Jährigen unterhält, merkt man zunächst nicht, dass er erst vor ein paar Wochen einen Schlaganfa­ll hatte. Er fühle sich schon noch etwas ausgebrems­t, etwa bei Haushaltst­ätigkeiten oder beim Kochen. Er sei schnell müde, ab und zu ist ihm noch schwindeli­g. Auch das Kurzzeit-Gedächtnis funktionie­re noch nicht richtig, sagt er. „Hin und wieder fehlen mir die richtigen

Worte.“Trotzdem ist er froh, dass es ihn nicht schlimmer getroffen hat.

Die Sorge, dass er wieder einen Schlaganfa­ll bekommt, bleibt aber. Er höre nun bewusster in seinen Körper, sagt er.

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FOTO: STEPHAN JANSEN Ein Gerinnsel im Gehirn kann einen Schlaganfa­ll auslösen.

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