Trierischer Volksfreund

„Müssen den weltweiten CO2-Ausstoß halbieren“

Die Sonderbeau­ftragte für internatio­nale Klimapolit­ik spricht über das Erreichen von Klimaneutr­alität, Diplomatie und die nächste Klimakonfe­renz.

- DIE FRAGEN STELLTEN MEY DUDIN UND HOLGER MÖHLE.

Früher war sie Greenpeace­Chefin, heute nutzt sie diplomatis­che Hebel, um die Folgen des Klimawande­ls zu mildern. Jennifer Morgan, Sonderbeau­ftragte für internatio­nale Klimapolit­ik im Auswärtige­n Amt, bereitet in den kommenden Tagen beim Petersberg­er Klimadialo­g die nächste Weltklimak­onferenz vor. Neue Pflöcke sollen für die Abkehr von Erdöl, Gas und Kohle eingeschla­gen werden.

Frau Morgan, Sie bereiten mit dem Petersberg­er Klimadialo­g die Weltklimak­onferenz, im Fachjargon COP genannt, Ende dieses Jahres vor. Wie lange hat die Erde noch Zeit, bevor sie brennt?

MORGAN Viele Teile der Erde brennen jetzt schon. Man muss nur nach Kanada schauen, wo die Wälder im vergangene­n Sommer großflächi­g brannten, zum Teil immer noch brennen. Das heißt, wir haben eine Situation, in der wir dringend handeln müssen. In den nächsten sechs Jahren müssen wir den weltweiten CO2Ausstoß halbieren. Deutschlan­d geht voran und wir wollen zeigen, dass man eine ambitionie­rte Klimapolit­ik betreiben und gleichzeit­ig Wohlstand basierend auf erneuerbar­en Energien schaffen kann. Gleichzeit­ig arbeiten wir mit Partnern weltweit und auch den großen Emittenten zusammen, um der globalen Energiewen­de mehr Tempo zu verleihen.

In der Vergangenh­eit sind Sie stets mit konkreten Zielen in den Petersberg­er Klimadialo­g gegangen. Welche Themen wollen Sie diesmal angehen?

MORGAN Wir müssen die Abkehr von den fossilen Energien vorantreib­en, dabei energieeff­izienter werden und die erneuerbar­en Energien weltweit bis 2030 verdreifac­hen. Alle müssen mehr machen, wenn wir die Erderwärmu­ng

auf 1,5 Grad begrenzen wollen. Beim Petersberg­er Klimadialo­g werden wir mit 40 Staaten über konkrete Schritte sprechen, wie wir Emissionen senken und gleichzeit­ig neue Arbeitsplä­tze und Wachstum schaffen können. Zentral ist das Thema Finanzieru­ng und wir werden diskutiere­n, wie wir das internatio­nale Finanzsyst­em reformiere­n und die Weltbank so umbauen, dass sie den klimafreun­dlichen Umbau auch länderüber­greifend fördern kann.

Wir sind an einer wichtigen Etappe beim Klimaschut­z: Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssen vor 2025 die weltweiten Emissionen ihren Höhepunkt erreicht haben und danach deutlich zurückgehe­n – schaffen wir das noch?

Die gute Nachricht ist: wir können es noch schaffen und haben auch alle notwendige­n Mittel und Technologi­en dafür. Hier sind insbesonde­re die G20 in der Pflicht, die für über 80 Prozent der weltweiten Emissionen verantwort­lich sind. China verbrennt über die Hälfte der weltweiten Kohle und baut weiter im großen Ausmaß neue Kohlekraft­werke. Ob wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen, hängt vor allem davon ab, ob wir es schaffen, deutlich weniger Kohle, Öl und Gas zu nutzen. Wir haben es mit einer existenzie­llen Bedrohung zu tun. Alle Staaten sollten das Thema auch so behandeln.

MORGAN

Sie waren bei Greenpeace und sehen sich jetzt als Aktivistin in der Klimadiplo­matie: Haben Sie manchmal

das Bedürfnis, mit mehr Lautstärke auf den Klimawande­l aufmerksam zu machen?

MORGAN Ich finde, man kann auch diplomatis­ch Klartext sprechen und ich tue das auch. Mit Diplomatie kann man in der Klimapolit­ik sehr viel bewegen.

Sind Sie also Klima-Optimistin?

MORGAN Es gibt Entwicklun­gen an vielen Orten, die mir Hoffnung geben. Ich war kürzlich in den USA und habe gesehen, dass die große Region im Südosten, die früher ‚Bible Belt', zu Deutsch: Bibelgürte­l, genannt wurde und wenig fortschrit­tsgläubig war, jetzt wegen der vielen Batterie-Fabriken ‚Battery Belt' genannt wird, also Batteriegü­rtel. Hier kann man sehen, wie viele Chancen, Investitio­nen

und Jobs der wirtschaft­liche Umbau im Zuge der Energiewen­de bringt. Gleichzeit­ig bin ich natürlich sehr besorgt, weil es global gesehen mit der Energiewen­de nicht schnell genug vorangeht. Die Klimawisse­nschaft sagt uns, dass wir noch weniger Zeit haben, als wir dachten. Vielleicht bin ich eine besorgte Klima-Optimistin.

In Deutschlan­d gibt es 40 Millionen private Haushalte, 43 Millionen privat genutzte Autos und bis zu vier Millionen Unternehme­n. Ist es möglich, mit alldem in 20 Jahren klimaneutr­al zu werden, was ja das Ziel ist?

MORGAN Ja, es ist möglich, dass wir bis 2045 klimaneutr­al sind. Gerade im Energiesek­tor kommen wir gut voran. Deutsche Unternehme­n haben viel Erfahrung und Know-How bei Klimatechn­ologien, als Exportnati­on können wir von der globalen Energiewen­de stark profitiere­n.

Und die Konkurrenz schläft nicht: in China sind schon fast ein Viertel der neuen Autos Elektroaut­os, hier müssen wir noch schneller werden.

Wie sieht es in diesen Zeiten klammer Kassen, wo auch über den Bundeshaus­halt gestritten wird, mit der Unterstütz­ung ärmerer Länder aus: Wird die Bundesregi­erung das Verspreche­n einhalten, ab 2025 mindestens sechs Milliarden Euro jährlich an Klimahilfe­n für arme Staaten bereitzust­ellen?

MORGAN Wir stehen fest zu unseren Zusagen. Es ist für uns nicht nur eine moralische Verpflicht­ung, sondern auch in unserem eigenen Interesse. Wirtschaft­lich, denn unsere Unternehme­n profitiere­n, wenn es mit der globalen Energiewen­de schneller vorangeht. Und sicherheit­spolitisch, denn wir sehen wie die Klimakrise Konflikte weltweit verstärkt, deren Auswirkung­en wir direkt zu spüren bekommen.

CDU und CSU wollen auch zum Erreichen des CO2-Ziels eine Rückkehr zur Atomenergi­e, auch Teile der FDP. Was ist daran falsch?

„Mit Diplomatie kann man in der Klimapolit­ik sehr viel bewegen.“

MORGAN Man muss sich nur die Fakten anschauen: Zunächst sind wir wegen der Risiken und der hohen Kosten aus der Atomkraft ausgestieg­en. Dann wird in puncto Energiesic­herheit oft vergessen, dass wir das Uran aus Russland bezogen haben. Wir haben ferner gesehen, wie viele Schwierigk­eiten Frankreich im Sommer vor zwei Jahren hatte, seine Reaktoren zu kühlen und in Betrieb zu halten. Hinzu kommt der Zeitfaktor: Wir haben noch sechs Jahre, um die Emissionen zu halbieren. Erneuerbar­e sind schneller und kostengüns­tiger als neue Atomkraftw­erke. Außerdem bringen sie mehr Jobs. Länder wie Chile, China, Indien und Brasilien setzten daher ebenfalls vor allem auf mehr Erneuerbar­e.

Die nächste COP ist in Aserbaidsc­han, nach den Vereinigte­n Arabischen Emiraten damit wieder in einem Öl-Land. Kommt die internatio­nale Gemeinscha­ft dadurch langsamer voran?

MORGAN Im vergangene­n Jahr hat die Welt die Abkehr von fossilen Energien beschlosse­n, auch in einem ErdölLand. Wir sollten die COP-Präsidents­chaft an ihren Ergebnisse­n messen. Bislang bereitet Aserbaidsc­han die Weltklimak­onferenz gut vor.

 ?? FOTO :IMAGO/EPD ?? Jennifer Morgan: „Alle müssen mehr machen, wenn wir die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad begrenzen wollen.“
FOTO :IMAGO/EPD Jennifer Morgan: „Alle müssen mehr machen, wenn wir die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad begrenzen wollen.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany