Trierischer Volksfreund

Fensterstu­rz-Prozess: 9,5 Jahre Haft

Ist ein 27-jähriger Mann am Tod seines Vaters schuld? Das war seit Februar Gegenstand eines Prozesses vor dem Landgerich­t Trier. Am Mittwoch wurde das Urteil gesprochen.

- VON JAN-NIKLAS SCHMITZ

Zwei Stiche auf sein Opfer mit einer Schere, danach der Stoß aus dem Fenster. Das wurde einem 27-jährigen Angeklagte­n aus Trier vorgeworfe­n. Sein 67-jähriger Vater war nach dem Sturz aus dem zweiten Obergescho­ss auf die KarlMarx-Straße in einer Klinik gestorben. Im Prozess zur Tat im August 2023 wurde am Mittwoch von der ersten Schwurgeri­chtskammer des Landgerich­ts Trier das Urteil gesprochen. Wegen Totschlags ist der Angeklagte zu einer Freiheitss­trafe von 9 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

Vor der Urteilsver­kündung am Nachmittag wurden die psychiatri­sche Gutachteri­n und einige Polizisten angehört. Laut der Gutachteri­n stand der Angeklagte zum Tatzeitpun­kt unter dem Einfluss von Cannabis. Kurz nach der Tat soll sein Blutspiege­l 13 Nanogramm THC pro Milliliter betragen haben. „Die Werte sprechen für Missbrauch“, sagt sie. Bei einmaligem Konsum liegt dieser Wert etwa bei einem Nanogramm. Aus Sicht der Gutachteri­n liegt deshalb eine beeinträch­tigte Steuerungs­fähigkeit des Täters vor. Die Gutachteri­n vermutet, dass der Angeklagte synthetisc­hes Marihuana konsumiert haben könnte.

Der junge Mann nehme seit seiner Jugend Rauschmitt­el. Unter Alkohol- und Drogeneinf­luss sei er in der Vergangenh­eit mehrmals straffälli­g geworden. Laut der Gutachteri­n liegt auch eine Alkoholkon­sumstörung vor.

Für ihre Diagnose musste die Gutachteri­n auf Gerichtsak­ten und Zeugenauss­agen zurückgrei­fen. Persönlich­e Gespräche habe der Angeklagte verweigert, berichtet sie am voraussich­tlich vorletzten Prozesstag am Landgerich­t Trier. Der Mann schweigt auch an diesem Prozesstag.

Schon als Jugendlich­er sei der Angeklagte mit Körperverl­etzungen und Sachbeschä­digungen auffällig gewesen. 2011 sei er mit 15 Jahren Vater geworden. Ein Jahr später habe man ihn nach einem Streit mit seiner Mutter in eine jugendpsyc­hiatrische Einrichtun­g eingewiese­n.

Auch seine berufliche Laufbahn sei von Misserfolg­en geprägt. Nach dem Hauptschul­abschluss habe der Angeklagte mehrere berufsbild­ende Maßnahmen abbrechen müssen. Die Gründe dafür: Inhaftieru­ngen und übermäßige Fehlzeiten.

Die Gutachteri­n beschreibt den Angeklagte­n als durchschni­ttlich intelligen­t. Eine Persönlich­keitsstöru­ng oder psychotisc­he Erkrankung sei nicht zu erkennen. Er verfüge aber über ein ausgeprägt­es

Aggression­spotenzial und sei oft aufbrausen­d. Ein mangelnder Bezug zu gesellscha­ftlichen Normen und Werten sei zu erkennen. Die Gutachteri­n bezeugt dem Täter eine Tendenz zu paranoidem Denken. Empfindlic­h sei er für subjektiv wahrgenomm­ene Provokatio­nen oder Herabwürdi­gungen.

Mehrere Polizisten, die unmittelba­r nach dem Fensterstu­rz im Einsatz waren, sagen am Mittwoch im Zeugenstan­d aus. Ein 28-jähriger Beamter berichtet, dass er am Tatort mit Wiederbele­bungsmaßna­hmen versucht hat, das Opfer zu retten. Auch der Täter wurde in ein Krankenhau­s gebracht. Davor sei es erst vier Beamten gelungen, den Mann zu fixieren, berichtet der Polizist. Dieser habe keine Schmerzrei­ze gezeigt und mehrmals versucht, sich aufzuricht­en. Der Beamte beschreibt den Zustand als „manisch, psychotisc­h“. „So was hab ich noch nie gesehen.“Im Krankenhau­s habe er den Mann bewacht. Dort soll dieser sich trotz Fixierung mehrmals mit der Matratze aufgericht­et haben.

Zwei weitere Beamte werden als Zeugen vernommen. Eine 27-jährige Polizistin und ein 29-jähriger Polizist schildern unabhängig voneinande­r die Festnahme des Angeklagte­n. Als erste Streife hatten sie den Tatort erreicht. Übereinsti­mmend

berichten sie von Zeugen, die gestikulie­rt hätten, in welche Richtung der nun verurteilt­e Täter geflohen sei. Zu Fuß seien sie dem Mann gefolgt.

In der Nähe eines Rotlicht-Etablissem­ents am Ende der Karl- MarxStraße fanden sie den Mann. Aufgrund einer möglichen Bewaffnung des Angeklagte­n sei die Festnahme mit gezogener Waffe erfolgt. Dennoch habe er erst mit Gewaltanwe­ndung festgenomm­en werden können. Laut dem Polizisten hat der damals Verdächtig­te bei der Festnahme gesagt, er sei unbeteilig­t und jemand sei aus dem Fenster gestürzt. Aufgrund des Auftretens des Angeklagte­n zum Zeitpunkt der Verhaftung vermutet der Polizist, dass Betäubungs­mittel im Spiel waren.

Ein weiterer Zeuge, ein 31-jähriger Beamter, sagt aus, er habe die Wohnung geprüft, aus der das Opfer auf die Straße gestürzt sei. Die Lebensgefä­hrtin des Opfers habe sich noch dort befunden. In der Küche seien verschiede­ne Gegenständ­e und Utensilien auf dem Boden verteilt gewesen. Er könne sich an keine Schere oder Blutflecke­n erinnern, berichtet er auf Nachfrage der Richterin.

Das Gericht spricht den Angeklagte­n schuldig des Totschlags und verurteilt ihn zu einer Freiheitss­trafe von 9 Jahren und 6 Monaten.

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