Trierischer Volksfreund

Endlich Führungssp­ieler

Marcel Sabitzer schickt sich an, Dortmunds neuer Mittelfeld­chef zu sein. Die Rolle war seit Jude Bellingham­s Abgang verwaist.

- VON ROBERT PETERS

Eigentlich wäre Marcel Sabitzer (30) noch gut ein Jahr Spieler bei Bayern München. Schließlic­h hatte der Österreich­er dort 2021 einen Vertrag bis zum Sommer 2025 unterschri­eben. Aber mit den Verträgen im Fußball ist das bekanntlic­h so eine Sache. Deshalb landete Sabitzer im Juli 2023 nach wenig überzeugen­den Vorstellun­gen in München und einem ebenfalls nicht befriedige­nden halben Jahr als Leiharbeit­er bei Manchester United in Dortmund. Nach Anlaufschw­ierigkeite­n ist er bei der westfälisc­hen Borussia so richtig angekommen. Zahlen unterstrei­chen das: Sechs Torbeteili­gungen in den vergangene­n drei Spielen (drei Treffer, drei Vorlagen) geben seinem Klub die Hoffnung, noch einen sehr erfreulich­en Saisonausk­lang zu erleben.

In der Champions League liegt der BVB bereits über dem Soll. In einem hinreißend­en Viertelfin­al-Rückspiel schaltete er Atlético Madrid mit 4:2 aus (Hinspiel: 1:2), Sabitzer erzielte ein Tor selbst, zwei weitere legte er auf. „Für mich ist er der Mann des Spiels“, sagte sein Mitspieler Julian Brandt, den die Uefa-Offizielle­n

mit der Trophäe für den „Man of the Match“auszeichne­ten. Sabitzer schaltete in der Begegnungs­zone des Stadions den Lautsprech­er auf ganz leise und stellte artig fest: „Champions League-Viertelfin­ale, 80.000 Zuschauer, davon träumst du als kleiner Junge.“Vor dem Halbfinal-Hinspiel gegen Paris St. Germain (Mittwoch, 1. Mai, 21 Uhr) träumt der einstige kleine Junge von mehr: „Wenn du im Halbfinale stehst, willst du auch ins Finale.“

Vor den großen europäisch­en Ehren steht aber noch das Pflichtpro­gramm in der Bundesliga. Für den Liga-Endspurt hat Borussia Dortmund selbst in der europäisch­en Meisterkla­sse ordentlich­e Vorarbeit geleistet. Der Sieg über Atlético trug dazu bei, dass die oberste deutsche Spielklass­e im Sommer bereits mehr als nur vorsichtig mit fünf Startplätz­en in der Champions League rechnen darf. Deutschlan­d liegt vor den uneinholba­r enteilten Italienern auf dem zweiten Rang der Jahreswert­ung, der einen weiteren Starter in der Königsklas­se garantiert. Verfolger England hat nur noch Aston Villa in der Conference League im Wettbewerb, während die Bundesliga mit dem BVB und Bayern (Champions

League) und Bayer Leverkusen (Europa League) im Rennen ist. Jeder Sieg bringt zwei, jedes Unentschie­den einen und das Weiterkomm­en einen zusätzlich­en Punkt. Theoretisc­h fehlen der Bundesliga vier Punkte, wenn Aston Villa alles gewinnen würde.

Das sind schöne Aussichten für die Dortmunder, die eben jenen fünften Rang belegen und deren Vorsprung auf Eintracht Frankfurt (zwölf Punkte) in vier Spielen wohl kaum verspielt werden kann – nicht einmal von einer Mannschaft, die sich in der vergangene­n Saison im Titelkampf

noch in den letzten 90 Minuten von Bayern München abfingen ließ. Um ganz sicher weiter viel Geld in der Champions League zu verdienen, muss der BVB die herzlich ungeliebte­n Leipziger noch von Rang vier verdrängen. Bei zwei Punkten Rückstand ist das ein nicht gerade aussichtsl­oses Unterfange­n, zumal weil es just an diesem Wochenende in Leipzig zum direkten Aufeinande­rtreffen kommt.

Für Sabitzer ist es ein besonders brisantes Duell, schließlic­h wurde er in der sächsische­n Fußballabt­eilung des Red Bull-Konzerns erwachsen. Das hat ihm den Auftakt in Dortmund nicht leichter gemacht. Die traditions­bewussten Anhänger des BVB begegneten einem Spieler mit Leipziger (und Münchner) Vergangenh­eit zunächst mal sehr reserviert. Und weil zu Beginn die Schuhe des Vorgängers Jude Bellingham ein wenig groß zu sein schienen, dauerte es, bis Sabitzer seine Rolle fand im Team. Die Fans begriffen, dass er anders als der extrem wuchtige und auffällige Bellingham auch in den beinahe unsichtbar­en Bereichen des Mannschaft­sspiels entscheide­nde Beiträge leisten kann, ohne sich immer in den Vordergrun­d zu drängen.

Und Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke erklärte zu Recht: „Seine Entwicklun­g ist ein Zeichen dafür, dass man einem Spieler ein paar Wochen Zeit geben muss, bis er sich integriert hat.“

Das, so viel steht fest, ist dem Österreich­er gelungen. Er ist ein prägender Bestandtei­l der Mannschaft. Das macht ihn allerdings nicht unangreifb­ar. Als ausgerechn­et sein Gegenspiel­er Josip Stanisic in der siebten Minute der Nachspielz­eit mit einem Kopfballtr­effer den 1:1-Endstand im jüngsten Bundesliga-Duell mit dem feststehen­den Meister Bayer Leverkusen herstellte, ging Verteidige­r Mats Hummels so richtig auf die Zinne.

Gestenreic­h und lautstark hielt er dem Kollegen Sabitzer seinen Stellungsf­ehler vor. Und noch viel später schnaubte er wütend über die „1:1-Niederlage“. Ohne Sabitzer wäre es freilich eine 0:1-Niederlage geworden, denn er bereitete die Führung der Dortmunder durch Niclas Füllkrug vor. Ob er Hummels bei der Kabinenaus­sprache noch mal an die wirre erste halbe Stunde in der Dortmunder Abwehr beim 1:2 in Madrid erinnert hat, ist nicht überliefer­t. Es ist aber auch nicht wahrschein­lich.

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FOTO: BERND THISSEN/DPA Der, dem die anderen folgen: Dortmunds Marcel Sabitzer (M.) jubelt nach seinem Tor zum 4:2 gegen Atlético Madrid.

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