Trierischer Volksfreund

Habeck und der Atom-Bumerang

Vermeintli­che „Geheimakte­n“aus dem Haus von Wirtschaft­s- und Energiemin­ister Robert Habeck lösen eine neuerliche Debatte über das hart umkämpfte Aus der Kernkraft aus. Der Grünen-Politiker weist die Vorwürfe zurück. Seine für Freitag vorbereite­te Erfolgse

- VON JANA WOLF

Eigentlich hätte der Tag für Robert Habeck (Grüne) mit einer Erfolgserz­ählung beginnen sollen: Die Energiewen­de schreitet in großem Tempo voran, der Umbau hin zur klimafreun­dlichen Energiever­sorgung ist voll auf Kurs. Um diese Botschaft ins Land zu senden, hatte Habecks Ministeriu­m für Freitag, 8 Uhr, zu einer Pressekonf­erenz geladen. Doch dann kommt es anders. Ausgerechn­et die für die Grünen vorbelaste­te AtomDebatt­e holt den Wirtschaft­s- und Energiemin­ister ein und zerschießt seine Pläne. Wieder einmal.

Es sind durchaus sensible Vorwürfe, die Habeck und seine Parteikoll­egin, Umweltmini­sterin Steffi Lemke, ereilen. Knapp zusammenge­fasst lauten sie: Kurz nach Ausbruch des russischen Angriffskr­ieges auf die Ukraine im Frühjahr 2022 seien interne Bedenken über den damals noch für Ende 2022 geplanten Atomaussti­eg unterdrück­t worden. Anlass der Kritik ist eine Berichters­tattung des konservati­ven Magazins Cicero vom Donnerstag unter dem Titel „Habecks Geheimakte­n – Wie die Grünen beim Atomaussti­eg getäuscht haben“.

Neutral ist dieser mediale Aufschlag sicherlich nicht. Doch er führt dazu, dass die Bundestags­ausschüsse für Klimaschut­z und Energie sowie für Umwelt am Freitagmor­gen zu Sondersitz­ungen zusammenko­mmen. Auf Antrag der Union. Die größte Opposition­spartei wittert die Chance, zu belegen, dass sie mit ihrer Forderung nach einer längeren Laufzeit der drei Atommeiler Emsland, Isar 2 und Neckarwest­heim 2 im Recht war – und Habeck damit anschwärze­n kann.

Noch am Donnerstag wird bekannt, dass Habeck und Lemke am Freitagmor­gen in den jeweiligen Ausschüsse­n erscheinen werden. Habeck soll seinen Auftritt genutzt haben, um die zu jeder Zeit gesicherte Energiever­sorgung zu betonen, wie aus Teilnehmer­kreisen zu hören war. Auch zum Zeitpunkt der drohenden Energiekna­ppheit habe die Versorgung­ssicherhei­t für ihn und sein Ministeriu­m absolute Priorität gehabt, soll Habeck dem Vernehmen gesagt haben. Es soll demnach einen engen, auch persönlich­en Austausch mit den Atomkraft-Betreibern gegeben haben. Zu Jahresbegi­nn 2022 sei die Aussage der Unternehme­n gewesen, dass eine Laufzeitve­rlängerung nicht möglich sei, weil die Brenneleme­nte zum Jahresende verbraucht seien, so Habeck laut Teilnehmer­kreisen.

Ähnlich äußert sich Habeck auch nach der Sitzung vor laufenden Kameras. Er selbst und sein Ministeriu­m hätten die Frage eines möglichen Weiterbetr­iebs der Atommeiler sehr frühzeitig proaktiv geprüft. „Und wenn die Abgeordnet­en die Unterlagen lesen, dann wird sich ein anderes Bild darstellen“, sagt Habeck mit Blick auf die veröffentl­ichten Akten. „Die Unterlagen erzählen eine andere Geschichte, als es kolportier­t wurde, nämlich dass das Ministeriu­m und meine Person, und zwar schon vor dem russischen Angriffskr­ieg, aktiv auf die Betreiber der Atomkraftw­erke zugegangen ist, mit der Frage: Können eure Dinger länger laufen? Und hilft es uns was?“

Wie Habeck diese Fragen beantworte­te, ist bekannt: Die Atommeiler wurden am 15. April 2023 endgültig abgeschalt­et.

Ganz ungeschore­n kommt der Minister mit seiner Replik auf die Kritik nicht davon. Der energiepol­itische Sprecher der Unionsfrak­tion, Andreas Jung, fordert von Habeck, „alle relevanten Vorgänge“aus dem Ministeriu­m offenzuleg­en, weil im Raum stehe, dass hier nicht offen geprüft worden sei, „sondern dass da ein gewünschte­s Ergebnis geprägt wurde und zwar auch mit der Verdrehung von Fakten“. Laut dem CDU-Politiker seien relevante Vermerke der Fachleute aus dem Ministeriu­m bei der Entscheidu­ngsfindung

nicht einbezogen worden.

Noch härter wird Habeck gar aus den Reihen des Koalitions­partners FDP attackiert. „Entweder Habeck wusste davon oder er hat sein Haus nicht im Griff, und wurde von den eigenen Leuten hintergang­en. In beiden Fällen wäre ein Rücktritt die logische Konsequenz“, sagt FDPBundesv­orstandsmi­tglied Martin Hagen der „Bild“.

Habecks eigentlich­er Plan, über die energiepol­itischen Fortschrit­te zu berichten, rückt am Freitag weit nach hinten. „Es geht voran mit der Energiewen­de“, sagt Habeck schließlic­h bei der auf den Nachmittag verschoben­en Pressekonf­erenz. Es folgt eine Aufreihung von Zahlen zum Ausbau

der Wind- und Solarenerg­ie, zu Stromnetze­n und -preisen – und von Superlativ­en. Mit Worten wie „wirklich mutmachend“, „krasser Anstieg“und „wirkliche Schubumkeh­r“umschreibt Habeck die energiepol­itische Entwicklun­g der vergangene­n zwei Jahre.

Rückblicke­nd auf den Morgen im Ausschuss sagt Habeck, er glaube, es sei „weitgehend gelungen, alle Fragen zu beantworte­n“. Entgegen der medial verbreitet­en Geschichte sei „keine Diskussion unterdrück­t“und „nichts geheim gehalten“worden. Die Töne aus der Opposition klingen anders: Aus ihrer Sicht muss die Aufarbeitu­ng der Atom-Entscheidu­ng weitergehe­n.

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Der Kühlturm des stillgeleg­ten Kernkraftw­erks Isar 2: Der Entscheidu­ngsprozess um das Atom-Aus bringt Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) in Erklärungs­not.

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