Gemeinsam wird der Panzer neu erfunden
Verteidigungsminister Pistorius hat seinem französischen Amtskollegen Lecornu einen Besuch abgestattet. Eine gemeinsame Erklärung für die Zukunft der Landstreitkräfte soll nun den Grundstein legen für zahlreiche Industrieaufträge in beiden Ländern.
Pistorius (SPD) ist etwas spät dran, als er in Paris ankommt. Grund ist eine Verzögerung beim Abflug aus Berlin. Die Kolonnenfahrt vom Flughafen ins Zentrum der französischen Hauptstadt ist dann halsbrecherisch.
Denn der Anlass des Besuchs ist historisch. Heißt es jedenfalls von den Militärs beider Staaten.
Es geht dem deutschen Verteidigungsminister beim Besuch seines Amtskollegen Sébastien Lecornu um nichts Geringeres als die Neuerfindung von Kampfeinheiten auf dem Boden. Dazu wird ein völlig neuer Kampfpanzer gehören, bewaffnet mit modernsten Geschossen, teils autonom navigierend, vernetzt mit anderen Fahrzeugen und Drohnen, ausgestattet mit Künstlicher Intelligenz. Wann das kommen soll? Wenn alles gut geht nach 2040, doch so lange braucht ein solches Mammutprojekt wohl auch.
Um nach monatelangem Hin und Her die notwendigen Prozesse anzustoßen, ist Pistorius am Freitag in Paris und unterzeichnet mit Lecornu eine Absichtserklärung zum gemeinsamen Bau des als „Main Ground Combat System“(MGCS) bezeichneten Waffensystems, bei dem Deutschland eine Führungsrolle haben wird. Es ist das Gegenstück zu dem Luftkampfsystem der Zukunft (FCAS), das von Frankreich geführt wird. Es soll auf die Kampfpanzer Leopard und Leclerc folgen.
Industrielle Verteilungskämpfe hatten zu Verzögerungen und zu Spannungen zwischen Berlin und Paris geführt. Im Mai 2021 hatten Deutschland, Frankreich und Spanien nach einem industriepolitischen Ringen schon eine „grundsätzliche Einigung“über das milliardenschwere Luftkampfsystem FCAS erzielt. Nun wird spannend sein, wie im Detail die Verteilung der industriellen Aufgaben geregelt wird. Beim Luftkampfsystem FCAS erfolgte diese in Säulen („Pillars“), denen einzelne Aufgaben zugeordnet wurden.
Auch bei dem Panzer der Zukunft, der nur einen Teil des neuen Waffensystems darstellen wird, sind ähnliche Einteilungen zwischen den beiden Ländern geplant. Die Details sollen bis Jahresende stehen, um dann in die Entwicklungsphase
einzutreten. Mit dabei sind unter anderen die deutschen Rüstungsunternehmen KNDS – ein Zusammenschluss von Krauss-Maffei Wegmann und Nexter – und Rheinmetall.
In acht Säulen geht es etwa um das Fahrgestell und automatisierte Navigation, was in deutscher Hand liegen soll. Bei der Kanone und dem Turm werden Unternehmen beider Länder aktiv. So sollen in einem ersten Schritt jeweils national unterschiedliche Kanonensysteme entwickelt und
nach einer Vergleichserprobung ein System ausgewählt werden. Bei der sogenannten Sekundärbewaffnung beispielsweise mit Lenkflugkörpern ist dann wiederum Frankreich in der Führung. In der Vergangenheit hatte es bei gemeinsamen Rüstungsprojekten immer wieder Schwierigkeiten gegeben, weil einzelne Nationen auf technische Sonderwünsche bestanden und es damit Verzögerungen und Kostensteigerungen gab.
In Paris schlagen beide Minister
am Freitag neue Töne an: Sie zeigen sich offen, die Rüstungsschmieden des jeweils anderen Landes zu besuchen. Etwas, das es bislang kaum gab. Sie wollen damit auch einen konstruktiveren Weg einschlagen im deutsch-französischen Verhältnis insgesamt. Etwas, das die Opposition der Ampel-Koalition seit geraumer Zeit vorwirft.
CDU-Verteidigungsexperte Johann Wadephul kommentiert am Freitag die Unterzeichnung der Rüstungsvereinbarung
so: „Seit Amtsantritt der Ampelregierung hat sich das deutsch-französische Verhältnis dramatisch verschlechtert. Deswegen ist es gut, dass im Bereich Verteidigung die beiden wichtigen Projekte FCAS und MGCS endlich mit neuer Energie weiterverfolgt werden.“Denn um die technologische Komplexität und die enormen Kosten überhaupt schultern zu können, seien Großprojekte dieser Kategorie nur gemeinsam sinnvoll. „Es ist zu hoffen, dass die vielen Querelen bei MGCS der vergangenen Jahre jetzt endlich überwunden werden und die Ingenieure sich ans Werk setzen“, sagt Wadephul.
Was in Paris beim Treffen der beiden Minister hingegen keine Rolle spielt, ist die Unterstützung der Ukraine. Das sei Teil von bilateralen Gesprächen, heißt es am Freitag. Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatten jüngst alle europäischen Partner dazu aufgerufen, mehr Unterstützung für die Ukraine zu geben – Frankreich meinten sie damit auch.
Doch an dem sonnigen Freitag in Paris soll es mal nicht um die Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich gehen. Es ist ein feierlicher Anlass, den die Minister nicht eintrüben wollen. Nicht einmal drei Stunden hält Pistorius sich auf französischem Boden auf und bedauert das sehr. Eigentlich, so Pistorius, würde er nun gerne noch ein Wochenende in Paris dranhängen, doch das sei ihm nicht vergönnt. Er verspricht, bald wiederzukommen – vielleicht ja sogar für einen Besuch bei einer französischen Waffenschmiede.
Industrielle Verteilungskämpfe hatten zu Verzögerungen und zu Spannungen zwischen Berlin und Paris geführt.