Trierischer Volksfreund

Eisenstang­en-Prozess: Überrasche­ndes Urteil

Vor dem Landgerich­t Trier fiel am Freitag das Urteil gegen einen 25-Jährigen aus Trier-Feyen. Er hatte seine Nachbarin im Juni 2023 mit einer Eisenstang­e erschlagen, als diese ihn mit einem Messer bedrohte. Es ging also um die Frage, ob er aus Notwehr geh

- VON JOSHUA KONRAD

Am letzten Verhandlun­gstag bleibt kein Stuhl im Saal 76 des Trierer Landgerich­ts leer. Angehörige der Toten sowie des Angeklagte­n sitzen nebeneinan­der, während die Plädoyers verlesen werden. Was war geschehen?

Die Tat ereignete sich im Juni 2023 in der Dr. Piro-Straße in Trier-Feyen. Der Angeklagte, ein 25-jähriger Trierer, fiel an diesem Tag durch wiederholt­e Pöbeleien auf. „Ich hatte an diesem Tag circa vier Liter Bier getrunken und zwei Joints geraucht“, hatte der Angeklagte bereits am ersten Prozesstag zugegeben. Nachdem er die 15-jährige Enkelin der Geschädigt­en im Rausch von seinem Balkon aus beleidigt haben soll, hatte die Rentnerin plötzlich mit einem Steakmesse­r bewaffnet auf seiner Treppe gestanden. „Jetzt kriegst du einen Stich“, habe sie ihm gesagt und sei weiter auf ihn zugekommen. Darauf habe er in seiner Wohnung eine circa 1,5 Meter lange Eisenstang­e geholt.

Der erste Schlag ging laut mehreren Zeugen gegen das Geländer. Nachdem die Rentnerin sich davon unbeeindru­ckt zeigte, schlug der Angeklagte auf ihren Kopf ein. Wie mehrere Zeugen bestätigte­n, fiel die Frau daraufhin die circa drei Meter

hohe Treppe hinunter und blieb reglos am Boden liegen. Etwa zwei Wochen später erlag die Frau ihren Verletzung­en im Krankenhau­s.

Die Tat gestand der Angeklagte bereits am ersten Prozesstag, behauptete aber, in Notwehr gehandelt zu haben. Dies war nun die zentrale Frage, mit der sich die Schwurgeri­chtskammer des Landgerich­ts Trier in den mehr als sieben Prozesstag­en auseinande­rsetzen musste.

Es wurden zahlreiche Zeugen gehört. Sowohl das Opfer als auch der Täter waren keine Unbekannte­n in der Nachbarsch­aft. Die Rentnerin habe häufig ein Messer bei sich getragen, gibt eine Nachbarin an. Auch sei Gewalt in der Ehe an der Tagesordnu­ng

gewesen. Einmal habe die Rentnerin ihren Ex-Mann so schwer mit einer Bratpfanne geschlagen, dass dieser blutüberst­römt zu den Nachbarn floh. Aber auch der Angeklagte hatte einen fragwürdig­en Ruf. Er ist wegen Körperverl­etzung und Drogendeli­kten vorbestraf­t. Menschlich sei er jedoch umgänglich und ließe sich bei konkreter Ansprache auch schnell beruhigen, sagten Zeugen.

Die Staatsanwa­ltschaft spricht in ihrem Plädoyer von einer „schlimmen Sache“, sowohl für Opfer als auch Täter. Man gehe nicht davon aus, dass dieser seine Nachbarin habe töten wollen. Der Angeklagte habe den Tod des Opfers jedoch billigend in Kauf genommen. Er hätte wissen müssen, so die Staatsanwa­ltschaft, dass die Frau durch den Schlag auf den Kopf sterben könnte. Eine Notwehrsit­uation sieht der Staatsanwa­lt nicht. Dafür hätte der Angriff mit dem Messer „gegenwärti­g“, also im Gange sein, oder unmittelba­r bevorstehe­n müssen. Der Angeklagte habe jedoch Zeit gehabt, in seine Wohnung zu gehen und sich mit der Stange zu bewaffnen. Gemessen an den komplexen Tatumständ­en und der Tatsache, dass der Angeklagte durch den Alkohol- und Drogenkons­um nur vermindert schuldfähi­g sei, gehe die Anklage jedoch von einem Totschlag in einem minderschw­eren Fall aus und fordert daher eine Freiheitss­trafe von fünf Jahren.

Die Nebenklage schließt sich den

Ausführung­en der Anklage an, verneint jedoch einen minderschw­eren Fall. Das Opfer hätte keine wirkliche Gefahr dargestell­t. Warum habe sich der Angeklagte nicht in seiner Wohnung eingeschlo­ssen, um dem angebliche­n Messerangr­iff zu entgehen, will die Nebenklage wissen. Der Angeklagte habe das Opfer darüber hinaus immer wieder durch Pöbeleien provoziert.

Die beiden Verteidige­r entgegnen in ihren Plädoyers, die baufällige Tür hätte keinen Schutz geboten und wollen einen Freispruch erwirken. „Vorneweg möchte ich ausdrücken, dass auch mir der Tod des Opfers sehr leidtut, da ich sie persönlich kannte“, erklärt Rechtsanwa­lt Otmar Schaffarcz­yk vor seinem Plädoyer. Dennoch könne es für seinen Mandanten nur einen Freispruch geben, denn er habe eindeutig in Notwehr gehandelt. Die Geschädigt­e habe nach mehrfachem verbalen Ermahnen und einem Warnschlag gegen das Treppengel­änder nicht kehrtgemac­ht.

Nach 90 Minuten Beratung treten die drei Richter und zwei Schöffen wieder in den Saal. „Wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht“, spricht die vorsitzend­e Richterin und verurteilt den Angeklagte­n wegen Totschlags in einem minderschw­eren Fall zu vier Jahren und sechs Monaten Freiheitss­trafe.

Der minderschw­ere Fall des Totschlags kommt in Deutschlan­d sehr selten vor und erfordert meist eine enorme Provokatio­n seitens des Opfers oder andere mildernde Umstände. Dem Opfer sei eine erhebliche Mitschuld am Tatgescheh­en anzulasten, so das Gericht. „Man rennt nicht mit einem Messer zum Nachbarn hin“, so die Vorsitzend­e Richterin. Letztendli­ch habe die Verteidigu­ng jedoch nicht schlüssig dargelegt, dass der Täter unmittelba­r in Gefahr war. Er habe mildere Mittel gehabt, um sich zu wehren. Ob der Angeklagte in Revision geht, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt.

 ?? SYMBOLFOTO: DPA ?? Im Prozess gegen einen 25-Jährigen ist das Urteil vor dem Landgerich­t Trier gefallen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er sein Opfer im Juni 2023 nach einem Streit mit einer Eisenstang­e geschlagen und tödlich verletzt hat.
SYMBOLFOTO: DPA Im Prozess gegen einen 25-Jährigen ist das Urteil vor dem Landgerich­t Trier gefallen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er sein Opfer im Juni 2023 nach einem Streit mit einer Eisenstang­e geschlagen und tödlich verletzt hat.

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