Wie das ZDF-Traumschiff Lust auf die Insel Mauritius macht
Ein Gespräch über Reiseverhalten, Überlastung von Urlaubszielen und die Rolle der Medien mit der Trierer Professorin.
Überlaufene Urlaubsziele nerven. Alle möchten Geheimtipps erleben. Welchen Anteil die Medien an der Wahl unserer Urlaubsziele haben können, untersucht die Trierer Geografin Elisabeth Sommerlad unter anderem am Beispiel der Insel Mauritius.
Wir alle haben vermutlich schon geklagt, weil uns ein Urlaubsort zu überlaufen war. Hält sich jeder für den besten Touristen?
ELISABETH SOMMERLAD Das ist ein Phänomen, das wir schon lange beobachten – die Touristen sind immer die „anderen“Menschen an einem Urlaubsort. Jeder möchte immer einen Geheimtipp entdecken und nicht als Tourist oder Touristin dechiffriert werden, weil damit ein Stereotyp verknüpft ist, das niemand selbst bedienen möchte.
Venedig führt für Tagesbesucher fünf Euro Eintritt ein. Paris erhöht die Parkgebühren für SUV von Besuchern auf 18 Euro. Welche Signale gehen davon aus?
SOMMERLAD Diese Destinationen sind besonders attraktiv und leiden stellenweise unter dem sogenannten Over-Tourismus. Es stellt sich ein Gefühl des „Zuviel“ein, besonders die Menschen, die dort leben, empfinden das so. Erhöhung von Parkgebühren und Eintrittspreisen haben sich an einigen Orten als sinnvoll erwiesen. Sie werden als Nudging-Strategien oder Regulationsmechanismen eingesetzt, um zum Beispiel hohes Tourismusaufkommen temporär zu lenken, damit Destinationen eben nicht überfrachtet werden. Bei Nudging-Strategien versucht man Menschen zu einer Verhaltensänderung zu bringen, ohne direkt Verbote auszusprechen – man will sie quasi erst mal „anstupsen“. Das betrifft hauptsächlich große Städte oder Monumente, an denen etwas besichtigt werden kann.
Welche Rolle spielen Kreuzfahrtschiffe, die viele Menschen gleichzeitig „loslassen“?
SOMMERLAD Es können sich mehr Menschen das Reisen leisten, zumindest aus dem sogenannten „Globalen Norden“. Es gibt sehr viele Menschen auf der Welt, für die Reisen aus unterschiedlichsten Gründen gar keine Option ist. Aber das Reiseverhalten in Europa hat sich seit den 1960er-Jahren sehr verändert, bis hin zum Massenphänomen. Die Menschen reisen anders, fahren auch mal kürzer weg, betreiben beispielsweise eine Art „StädteHopping“und schauen sich Venedig für einen Tag an, vielleicht nur mit dem Ziel, dort ein ganz bestimmtes Foto für Social Media zu schießen – das gilt besonders für sogenannte „Instagramable-Places“. Es geht oft gar nicht mehr darum, einen Ort mit allen Sinnen zu erfahren. Die Kreuzfahrtschiffe sind da natürlich ein attraktives Angebot, bei dem mittlerweile für relativ wenig Geld sehr viele Ziele in kurzer Zeit bereist werden können. Wenn alle Passagiere nur wenige Stunden Aufenthalt haben und alle die gleichen Sehenswürdigkeiten anschauen, überfrachtet das viele Orte. Das kann man ja mittlerweile weltweit beobachten – nicht nur beim Kreuzfahrttourismus.
Es heißt, es werde eher an Lebensmitteln gespart, als auf eine Reise zu verzichten. Ist Reisen ein Grundbedürfnis?
SOMMERLAD Es gibt sicherlich Personen, die der Auffassung sind, dass Reisen ein Grundbedürfnis sei. Ich finde diese Formulierung aber eher schwierig, weil Reisen als Freizeitbeschäftigung aus meiner Perspektive auch heute noch ein Privileg ist, für das man finanzielle Ressourcen
braucht, aber eben auch die Zeit und anderes Kapital. Das ist nicht für alle selbstverständlich. Wie die aktuelle Reiseanalyse gezeigt hat, waren die Ausgaben für Urlaubsreisen 2022 in Deutschland auf Rekordniveau. Es besteht also eine wirklich große Bereitschaft dazu, viel Geld für den Urlaub auszugeben.
Mallorca erteilt Alkoholverbote, es gibt auf anderen Inseln Sandsammelverbote. Verbote spricht sicher niemand gerne aus.
SOMMERLAD Es gibt natürlich auch Orte, die Verbote aussprechen. In einigen Nationalparks in den USA kann man eine ganze Palette unterschiedlicher Strategien beobachten – zum Beispiel, wo man vermeiden will, dass Menschen für ein Selfie in blühende Blumenwiesen springen und alles platttrampeln. Da gibt es tatsächlich Strafgebühren. Aber es gibt auch freiwillige Maßnahmen, zum Beispiel kann man sich auf der Website eine „Pledge“, also eine Art Gelübde, runterladen, mit der man sich dazu bekennt, acht auf die Natur zu geben. Forschungen zeigen, dass eine Strategie immer zum jeweiligen Ort passen muss. Was in den USA gut funktioniert, passt vielleicht nicht zu Dubrovnik oder zu Mallorca.
Offenbar wird dem Himalaya sehr viel zugemutet. Wann ist ein sogenannter „Kipppunkt“für ein Touristenziel erreicht?
SOMMERLAD Kipppunkt ist hier eine gute Metapher – aber, wo er liegt, hängt immer vom Kontext ab. Wenn wir über ökologische Dimensionen und Umweltkontexte sprechen, sind zum Beispiel die Korallenriffe vor den Malediven ganz anderen Herausforderungen ausgesetzt als die Himalaya-Region. Was mich als Humangeografin aber besonders interessiert, sind auch soziale und kulturelle Dimensionen. Wenn der Himalaya auf einmal Ziel von Massentourismus wird, dann sollte man auch hinterfragen, warum solche Reisen überhaupt unternommen werden und was damit ausgelöst wird. Vor Kurzem war in der Presse zu lesen, dass Eltern mit ihrem zweijährigen Kind auf den Mount Everest gestiegen sind. Da gab es dann auch gleich noch FamilienSchnappschüsse auf Instagram zu sehen. Da, finde ich, kommt man dann schon schnell zu ethischen Fragen.
Hat die ZDF-Sendung „Traumschiff“die Kreuzfahrtschiff-Nachfrage gefördert?
SOMMERLAD Mediale Formate wirken ganz stark auf unser Reiseverhalten. Es gibt Forschung direkt zum Traumschiff, die zeigt, dass die Serie ein bisschen wie ein Reiseführer für Destinationen auf der ganzen Welt funktioniert. Das Traumschiff lebt die Reise vor und zeigt gleich die Orte, die man auf jeden Fall besuchen soll. Ich selbst forsche zum Phänomen Medientourismus, also der Frage, wie Filme, Videospiele oder auch Instagram Reisen beeinflussen. Ich finde es spannend zu hinterfragen, welche Herausforderungen Medientourismus für einzelne Destinationen mit sich bringt. Gerade beschäftige ich mich auch mit der Darstellung von Mauritius in unterschiedlichen Traumschiff-Folgen, denn dort wurden schon einige gedreht. Ich bin noch nicht fertig mit der Analyse, aber es zeigt sich bereits, wie sich der Blick auf die Insel über die Jahre hinweg verändert. Zu Beginn ging es vor allem darum, sich am Strand aufzuhalten, ein bisschen Sega-Folklore anzuschauen und vielleicht noch einen Cocktail zu trinken. In der Folge vom letzten Jahr aber geht der Kapitän mit der Schiffsärztin wandern und steigt auch auf den Le Morne Brabant. Das ist eine Aktivität, die tatsächlich von der lokalen Tourismusbranche derzeit sehr forciert wird. Es soll nicht mehr nur der Strand-Tourismus im Fokus stehen, sondern es wird stark auf Erlebnis- oder Ökotourismus gesetzt. Das spiegelt sich auch in Fernsehserien.
Ist Mauritius noch ein Geheimtipp?
SOMMERLAD Ich glaube nicht, dass Mauritius noch als Geheimtipp zu bewerten ist. Vor Corona gab es ungefähr eine Million Touristen pro Jahr bei einer Einwohnerzahl von rund 1,3 Million Menschen – und man möchte noch mehr Reisende gewinnen. Mauritius wird sehr intensiv als tropische Paradiesinsel in den Medien, nicht nur im Traumschiff, imaginiert. Das erzeugt natürlich Sehnsüchte.
Welche Herausforderungen bringt das für die Insel mit sich?
SOMMERLAD Die gleichen, die auch andere Destinationen im globalen Süden umtreibt, die wirtschaftlich vom Tourismus abhängen. Auf der einen Seite braucht man ihn, auf der anderen Seite bringt er viele Herausforderungen mit sich und ist ein Treiber des Klimawandels. Gerade für kleine Inseln ist das wirklich eine ambivalente Situation. Das zeigt sich auch schon sehr stark. Zu Beginn dieses Jahres ist Zyklon
Belal über Mauritius gefegt und hat sehr viel Unheil angerichtet: Überschwemmungen, Stranderosion, zerstörte Infrastruktur. Aber in den touristischen Foren haben dann viele Reisende direkt gefragt, wann man wieder an den Strand gehen kann. Die Bedeutung für die InselUmwelt und die lokalen Communities hat viele anscheinend wenig interessiert. Als Forschende ist es unsere Aufgabe, dieses Spannungsfeld kritisch in den Blick zu nehmen und zu hinterfragen.
Können Sie noch mehr über die Wirkung von Medientourismus erzählen?
SOMMERLAD Medien beeinflussen unseren Blick auf die Welt, sie bringen imaginäre Geografien hervor. Diese Vorstellungen haben wiederum Auswirkungen darauf, wie beispielsweise ein Ort gestaltet und erlebt wird. In der Forschung geht es unter anderem darum zu verstehen, wie zum Beispiel eine Film-Location für den Tourismus genutzt wird und wie Reisende solche Orte erleben. Spannend ist auch, dass es mittlerweile viele touristische Destinationen gibt, die zum Beispiel Steuererleichterungen schaffen, um gezielt große Filmproduktionen anzulocken, da das den Tourismus fördern kann – Film wird Teil des Marketing-Mixes. In meiner Vorlesung habe ich neulich über Mexiko gesprochen, wo der James BondFilm „Spectre“gedreht wurde, oder auch über die Arabischen Emirate.
Waren deshalb auf einmal DubaiReisen so angesagt?
SOMMERLAD Dubai setzt aufgrund seiner ökonomischen Diversifizierungsstrategie sehr stark auf Tourismus und versteht sich als touristisches „Hub“in der Region. Dazu gehören auch mediale Strategien. Die Stadt wurde schon sehr oft in Hollywoodfilmen als Kulisse genutzt. In „Mission Impossible“klettert Tom Cruise zum Beispiel außen am über 500 Meter hohen Burj Khalifa. Das liefert natürlich spektakuläre Bilder von der Architektur und der Skyline von Dubai. Ich war im vergangenen Jahr für meine Forschung dort und habe den Burj Khalifa selbst besucht: Im Aufzug werden bereits diese Filmszenen gezeigt, da vermischt sich die Wirklichkeit mit medialer Fiktion untrennbar zu einer „Hyperrealität“– solche Settings schüren oft den Wunsch, auch mal etwas „wie im Film“zu erleben.
Werden Maßnahmen wie in Venedig
und Paris zunehmen?
SOMMERLAD Es gibt ja bereits viele punktuelle Maßnahmen. Aber die ändern nichts an den großen Herausforderungen des Tourismus. Aktuelle Studien zeigen, dass für Menschen Nachhaltigkeit auf Reisen immer wichtiger wird. Aber die Zahlen zur tatsächlichen Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen auf Reisen sind erstaunlich niedrig. In der Forschung sprechen wir von einem Attitude-BehaviorGap. Die Bereitschaft, etwas am eigenen Verhalten zu ändern, scheint nicht groß zu sein – oder aber es fehlt oft an Angeboten. Tourismus müsste sich in puncto Nachhaltigkeit systemisch ändern. Solange er fast ausschließlich als ökonomische Wachstumsmaschine gesehen wird, bleibt alles beim Alten. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die in ihrer Forschung alternative Modelle in Richtung Postwachstum beziehungsweise Degrowth im Tourismus entwickeln, das ist wichtig. Es geht darum, wie wir Alternativen zu einem immer währenden Wachstumsgedanken schaffen können. Damit einher können Strategien gehen, die stärker auf die Qualität von Reisen oder auch auf alternative Reiseformate setzen. Wenn Tourismus nachhaltiger werden soll, steht nicht die Flugreise oder die Kreuzfahrt an erster Stelle.
Was bedeutet das? Nur noch mit der Bahn zu reisen?
SOMMERLAD Was Fortbewegungsmittel betrifft, müssen wir uns alle selbst an die Nase fassen. Also vielleicht einmal mehr den ÖPNV nutzen, auch wenn die Bahn manchmal Verspätung hat, statt aus Bequemlichkeit ins Auto steigen. Klar, einige Urlaubsziele sind dann nicht gut erreichbar. Oder auch hinterfragen, ob nachhaltiger Ökotourismus an manchen Destinationen überhaupt möglich ist, wenn man erst einmal einen Langstreckenflug dorthin nehmen muss. Oder auch die Summe der Reisen bedenken – nach dem Motto „weniger ist mehr“.
Aber jeder schaut durch seine Brille und hält sich eben für den „besten“Touristen.
SOMMERLAD Auf Mauritius gibt es zum Beispiel auch schon kleine Ökotourismus-Resorts, wo man für sehr viel Geld pro Nacht nachhaltig urlauben kann. Aber auch dem geht dann eine mindestens zwölfstündige Flugreise voraus – da kann die Ökobilanz unterm Strich nicht nachhaltig sein und wir sind wieder bei dem Widerspruch von Wunsch und Wirklichkeit.
Sie fliegen öfter nach Mauritius. Wie verantworten Sie das?
SOMMERLAD Meinen ökologischen Fußabdruck rede ich mir nicht schön. Ich mache mir sehr viele Gedanken darüber. Kann ich überhaupt meine Forschung im Globalen Süden aus Nachhaltigkeitsgründen so durchführen, wie ich es gerne möchte? Aber ich möchte als empirische Sozialwissenschaftlerin auch mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommen. Das funktioniert nicht vom Schreibtisch aus. Ich fliege möglichst selten und bleibe dann so lange wie möglich, anstatt vieler kurzer Reisen. Ich bin mir da meiner eigenen Verantwortung sehr bewusst. Privat achte ich sehr darauf, möglichst nicht in den Urlaub zu fliegen.
Stellt sich abschließend die Frage, ob jeder überall gewesen sein muss?
SOMMERLAD Damit sind wir wieder bei der Frage, was der Grund für unser Reisen ist – und medial reisen wir ja ohnehin schon überall hin. Mir geht es aber nicht darum, dogmatisch zu sagen, dass wir alle nicht mehr reisen dürfen. Mir ist es wichtig, kritisch eigene Praktiken zu hinterfragen, eigenes Verhalten immer wieder selbst abzuwägen. Wenn jeder bei sich selbst anfängt, verantwortungsbewusst zu handeln und zu reisen, lässt sich am Ende vielleicht etwas bewegen.