„So retteten wir den Trierer Dom“
Die große Renovierung des Trierer Doms vor 50 Jahren sorgte bundesweit für Diskussionen. Mit Leidenschaft und Polemik kämpften Kunsthistoriker, Denkmalschützer und einfache Gläubige gegen oder für eine zeitgemäße Gestaltung des teils aus der Antike stammenden Monumentalbaus, dessen Statik aus dem Lot geraten war. Anlässlich des Jubiläums zur Wiedereröffnung am 1. Mai erinnert sich der damalige Diözesanarchitekt Alois Peitz an das, was damals vor und hinter den Kulissen geschah.
TRIER„ Hier sind die Unterlagen. Rettet bitte unseren Dom!“So erinnert Alois Peitz, ehemaliger Diözesanarchitekt im Bistum Trier, das Ansinnen des Trierer Bischofs Bernhard Stein, mit dem dieser und das Domkapitel zehn Architekten aufforderten, ein Gutachten zur Renovierung des Monumentalbaus einzureichen. Das war 1968. Bereits 1964 war der Dom, der nach dem Krieg statisch akut gefährdet war, geschlossen worden. Peitz kam 1966 als junger Architekt aus Saarbrücken nach Trier und wurde in alle Weichenstellungen des Mammutprojekts eingebunden. Denn er hatte als Geschäftsführer der kleinen und großen Dombaukommission jeden Schritt zu protokollieren. Zwar hielt sich der Bischof bei Baufragen zurück – ihm war die Versetzung des Altars in die Mitte der Kirche nach dem zweiten Vatikanischen Konzil das wichtigste Anliegen. Doch gab es zahlreiche mehr oder weniger berufene Experten, die sich lauthals einmischten – und zu heftigen Auseinandersetzungen führten. „Mord am Dom“titelte damals etwa der Trierische Volksfreund. Wie modern darf ein mehr als 1600 Jahre altes Bauwerk werden? Was ist historisch geboten? Denkmalschutz im heutigen Sinne gab es noch nicht. Vor dem Jubiläum zur Wiedereröffnung des Trierer Doms am 1. Mai sprach Peitz mit TVRedakteurin Anne Heucher über das 33 Millionen DM teure Projekt, manchen Wirbel auf der Baustelle und einige kuriose Begebenheiten am Rand.
Herr Peitz, wie kamen Sie zu Ihrer Rolle im Dom?
ALOIS PEITZ Ich war Diözesan-Architekt. Das hat mit dem Dom überhaupt nichts zu tun. Dom und Bistum sind zwei juristisch getrennte Einrichtungen. Und durch einen Zufall sind 1966 Dompropst und Generalvikar eine Person: Josef Paulus. Da sagte der Domprobst Paulus über seinen Generalvikar zu dessen Diözesanarchitekten: „Sie könnten doch eigentlich meinen Dom mitmachen.“Und dann fing ich an, den Architektenwettbewerb vorzubereiten. Nach zwei Jahren war da ein neuer Generalvikar, der sagte: „Was machen Sie denn da immer im Dom? Sofort aufhören!“Und dann hat man rheinland-pfälzisches Beamtenrecht studiert und festgestellt, dass es so etwas wie Nebentätigkeit gibt. Dann wurde vom Domkapitel ein Antrag ans Generalvikariat gestellt, und der Generalvikar hat mir die Nebentätigkeit der Leitung der Domrenovierung erlaubt. Und das Domkapitel hat mich beauftragt als Nebentätigkeit - ohne Bauabteilung. Ich durfte nur die Sekretärin beschäftigen.
Hat sich der Bischof damals viel eingemischt in die Baupläne?
PEITZ Nein, er hat sich wenig um Baudinge gekümmert. Aber ein Herzensanliegen war ihm, dass der Altar ins Zentrum rückt. Er ist ja der Liturge gewesen im Rahmen der Bischofskonferenz. Hier wurde das Konzil geschrieben, 1964, was die Liturgie angeht. Das ist in Trier verfasst, mit Bernhard Stein. Da hat er sich eingemischt.
Und als die Künstler am Altar eigenmächtig Bilder eingeritzt haben und ein Domkapitular das unterbinden wollte, da kam es auch zum Gespräch von Domkapitel, Bischof und Künstler. Einer der Künstler hat vorm Bischof eine kleine Rede gehalten darüber, dass die frühen Christen alle mythologischen Dinge, die sie kannten, der Griechen und der Römer, irgendwo übersetzt haben in ihr neues christliches Kulturverständnis. Und dass das nirgendwo so gut passen würde wie in dem antiken Trierer Dom. Da hat der Bischof den Künstlern gesagt: Geht runter, macht weiter! Und dann haben die erst richtig losgelegt.
Ein Machtwort also. Warum musste der Dom überhaupt renoviert werden?
PEITZ Weil er so alt ist. Und ein Bauwerk, das auch vier, fünf Mal vergrößert wurde. Es gab ganz gewaltige Veränderungen. Seit dem 18. Jahrhundert und der barocken Veränderung wurde ständig am Dom gebosselt, 1850 bis 1870, dann die Preußen 1890 bis 1910, ohne Kenntnis der Statik. Trotzdem fällt dann 1959 aus einem der Gurtbögen ein Stein heraus - Alarmstufe 1. Dann hat man ganz schnell Notanker durchgezogen. Und es begann das Rätselraten. Was machen wir denn jetzt? Dann wurde zwei Jahre der Dom vermessen. Es gab noch keinen Laserstrahl, wir mussten von Hand vermessen. Da wurden 4000 Bauwerkspunkte vermessen. Und es wurde ein Statiker beauftragt. Danach wurden die Unterlagen zehn Büros europaweit übergeben, von denen man wusste, dass sie mit Großräumen dieser Art umgehen können.
Die beiden berufenen Architekten aus Köln hätten gerne einen neuen Bau zwischen Dom und Liebfrauen gesetzt und waren enttäuscht, als die Pläne fallen gelassen wurden.
PEITZ Das lag am Bauherrn. Im Gutachterverfahren war die Aufgabe gestellt, eine gemeinsame Sakramentskapelle für zwei Kirchen zu schaffen. Und deshalb haben alle zehn Architekten Entwürfe eingereicht für die neue Kapelle. Architekt Böhm hat diese Aufgabe städtebaulich gesehen und eine Durchlässigkeit von West nach Ost zwischen Dom und Liebfrauen vorgeschlagen: Durchs Paradies in die neue Sakramentskapelle, die Taschen vom Einkauf mal kurz abgestellt, um ein Gebet zu verrichten, dann weiter durch die Weihbischofskapelle in den erholsamen Kreuzgang und in den Ostteil der Stadt. Die angrenzenden Fenster von Dom und Liebfauen sollten dazu bis zum Boden verlängert und in Tore zu diesem neuen „Herzstück” der Gesamtanlage verwandelt werden. Die Wände des Doms, von Liebfrauen und von der Weihbischofskapelle waren die neuen Raumwände. Böhm sagte, da hänge ich ein Glasgespinst auf Stahlstützen rein. Aber dann hat die Pfarrei Liebfrauen beschlossen, nicht mitzumachen. Sie wollten sich nicht vom Dom vereinnahmen lassen, sondern ihre eigene Sakramentskapelle. Da hat der Bischof in der Sonntagspredigt gesagt, das Thema Sakramentskapelle wird abgesagt. Wir waren alle enttäuscht, und deshalb gibt es die Protestsäule.
Was hat es mit der Protestsäule auf sich?
PEITZ Es gab eine ganz große Enttäuschung bei Architekten, Ingenieuren und Unternehmern. Das hat so einen psychologischen Hintergrund. Man war ständig mit dem „alten Kram“und mit Denkmalpflege beschäftigt. Und bei der Sakramentskapelle hätten wir mal zeigen können, was unsere Zeit beiträgt in dieser langen Baugeschichte des Doms. Und das war jetzt weg. Wir dachten, der Domprobst hätte uns stärker unterstützen müssen – der hatte sein Büro da oben an dem kleinen Hof. Und dann haben die Architekten, Ingenieure und Baufirmen auf eigene Rechnung aus Säulenresten, die rumlagen, eine Originalsäule aus dem 4. Jahrhundert nachgebaut. Aus Protest dagegen, dass da etwas Großes nicht möglich wurde. Obendrauf setzten wir einen Engel, der genau dem Domprobst ins Zimmer guckt.
Die beiden Architekten Gottfried Böhm und Nikolaus Rosiny aus Köln bedauerten später, wie gegen ihre Pläne medial mobil gemacht wurde. PEITZ Der Aufschrei kam vor allem wegen des Putzes. Das wurde sehr persönlich, als der Mitarbeiter von Herrn Ronig (der Diözesankonservator, Anm. der Redaktion), der fanatischer Kunsthistoriker war, ein Streitpapier geschrieben hat, das er in der ganzen Kunsthistoriker-Welt hundertfach verschickt hat. Er wollte nicht, dass die Wände steinsichtig werden. Am Ende hat er auch seine Vorgesetzten angegriffen. Deshalb wurde er entlassen, hat geklagt, Sozialgericht, war hässlich. Ich wurde vor Gericht geladen und musste darüber Auskunft geben.
Um was drehte sich der Putz-Streit? PEITZ Die Architekten wollten nie einen neuen Putz. Aber das war ein Auftrag des Bauherrn. Es wird immer behauptet, es sei da historischer Putz abgeschlagen worden. Das stimmt nicht. Ronig war der Lauteste, der gesagt hat, dieser Putz muss runter. Die Preußen hatten bei ihrer großen Renovierung von 1890 bis 1910 allen historischen Putz aus zeitgeistverständlichen Gründen entfernt und haben den Dom 1900 neu verputzt. Mit der Metzer Latte, glatt. Aalglatt! Und darauf Steine gemalt. Also zum Vergessen! Der Dom war vorher, ich kannte ihn als Student, wirklich nur schrecklich.
Als der Putz runter war, hat Böhm zum ersten Mal für den Raum Feuer gefangen. Er hat Purzelbäume geschlagen. Ich sehe ihn noch da vorne stehen an einem Pfeiler, mit einem großen Fass, wo er selbst mit der Schippe noch gemahlenen Sandstein und Trasskalk gemischt und über die Wände geschmiert hat. Und dann hat er den Vorschlag gemacht, diesen Schlemmputz mit demselben Material in alle Gewölbe und in die Fensternischen hinter den Altären zu bringen, sehr dicht, aber sonst das nur offen zu schlemmen, dünn zu verputzen, um die Struktur zu sehen. Das war der Anstoß für dieses dicke Schreiben von Kunsthistoriker Rüdiger Schneider-Berrenberg an alle Zeitungsorgane in Deutschland. Dort stand dann „Mord am Dom“oder „Der Dom wird seiner Kleider beraubt“. Einer schreibt: „Die Zeit wird zeigen, ob es rechtens war, dem Dom bei dieser Gelegenheit seine Haut abzuziehen.“Die Zeit hat gezeigt, dass es gut war.
Wie konnten Sie dem Aufschrei und öffentlichen Druck standhalten?
PEITZAn der entscheidenden Sitzung, was den inneren Raumeindruck angeht, war Graf Metternich beteiligt, ein Denkmalpfleger der Rheinlande, im Ruhestand. Er kam damals von Rom, war ein honoriger, europäisch anerkannter Denkmalpfleger, der für diesen neuen Schritt argumentierte. Das wusste der Bauherr. Das war also strategisch gut gemacht. Es ist so lange her, dass man ehrlich damit umgehen sollte. Ich bin morgens nach Frankfurt, hab ihn abgeholt, damit er mittags da war. Er war entscheidend für die jetzige Lösung. Natürlich nicht er allein, es wurde abgestimmt. Es ist ja eine Zeit, in der es keine Denkmalpflegegesetze gab. Die kommen erst 1975, 1976.
Wie erinnern Sie den turbulenten Endspurt nach fast 15-jähriger Renovierung?
PEITZ Es war schon eine große Überraschung, als der Bischof an Pfingsten 1973 in der Predigt seine Diözesanen zur Wiedereröffnung des Doms am 1. Mai 1974 eingeladen hat. Es gab fast Entrüstung unter den Bauleuten. Aber was heute undenkbar wäre, war damals eine Herausforderung. Es gab eine große Versammlung aller Beteiligten, Orgelbauer, Künstler, alle Handwerker. Und der Chefbauleiter lässt diskutieren. Dann hieß es: Wenn wir rund um die Uhr arbeiten können, einschließlich Samstag, dann geht's. Innerhalb von vier Wochen ist die Mannschaft von 40 auf 160 gestiegen.
Die Firmen haben ihre Männer aus dem Urlaub zurückgerufen. Es waren dann in der dichtesten Phase über 300 Personen gleichzeitig tätig. Die lauten Arbeiten mussten nachts passieren, weil tagsüber die neue Orgel aufgebaut wurde. Da ist so etwas entstanden wie eine mittelalterliche Bauhütte. Da fingen die Künstler an mit den Ritzungen, einfach in der Begeisterung. Da stand eine Gulaschkanone, mittags und abends gab's Suppe. Es war immer was los.
Bei der neuen Orgel gab's dann noch eine Panne zum Schluss?
PEITZ Ja, die Orgel wurde geliefert und eingebaut und alle sichtbaren Holzteile, auch die große Zwiebel darunter, waren fertig behandelt als sichtbare Eiche-Holzton-Flächen. Edelholz, wie ein Kleiderschrank. Wir standen vorn im Dom und dachten: Das ist unmöglich. Es war ja vereinbart, dass die beiden Künstler Hillebrand und Heiermann die Holzteile bemalen sollten. Das ging so nicht mehr. Aber es war auch klar: Das kann man nicht lassen. So ein Riesenholzklotz in dem sonst einheitlich gefärbelten Dom. Und dann ist eine Malerfirma beauftragt worden und hat mit 24 Kisten Stahlwolle und vielen Litern Gift in 110 Stunden die gesamte Grundierung nochmal abgeschabt. Dann wurde weiß grundiert und danach kam die Malerei von Hillebrand und Heiermann.
Eine teure Panne?
PEITZ Im Februar 1975 kam ein Schreiben der Orgelfirma Klais an den Domprobst mit einem Scheck über die Hälfte der damals entstandenen Unkosten. Es hieß, „Ihretwegen und um des lieben Friedens willen“. Unterm Strich muss man sagen: 33 Millionen Mark – die heute 130 Millionen Euro entsprechen – ohne Rechtsstreit und Klagen – abgesehen von dem Sozialgerichtsfall. Heute gibt es ja kaum einen Bau, der ohne Klage über die Bühne geht.
Noch eine Anekdote zum Schluss
PEITZ Bei der Renovierung wurde der Marmorsarkophag des Kurfürsten Balduin mehr in die West-Apsis verschoben. Bei der Gelegenheit wollte man auch prüfen, ob darin alles in Ordnung sei. Man wusste, dass da ein Metallsarg drin ist und darüber eine Urkunde liegt. Das Öffnen und Schließen ist immer ein kleiner liturgischer Akt, mit Prälaten und einem obersten kirchlichen Richter, dem Offizial, der eine neue Urkunde dazugibt. Auch Handwerker waren dabei, ein Flaschenzug und verfahrbare Schienen. So ging das Ganze vonstatten. Doch am Ende, ehe das letzte Gebet gesprochen war und der Deckel geschlossen werden sollte, rief der Offizial plötzlich „Stopp“! Er blies die Kerzen aus, legte seine Stola ab und nahm aus seiner Tasche Schnapsgläser, stellte die auf den Rand des Sarkophags rundum. Er nimmt seinen Obstler, füllt die Gläschen und ruft alle Handwerker. Und wir stehen alle um das Grab des Balduin und sagen „Prost, Balduin“! Und dann wird der Deckel geschlossen.