Trierischer Volksfreund

„Aufhören“gibt es hier nicht

Feuerwerk, Kinderlied­er, Lichtkegel am Himmel: Einsatzkrä­fte und Bewohner von Elm setzen bei der Suche nach dem sechs Jahre alten Autisten Arian auch auf unkonventi­onelle Methoden.

- VON LUKAS MÜLER Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein Markus Renz FOTO OBEN: IMAGO/ TAYFUN SALCI

(dpa) In dem niedersäch­sischen Dorf, in dem der sechs Jahre alte Arian vermisst wird, ist die Luft am Freitag klar und frisch vom Regen. Häuser im Dorf sind aus Backstein gebaut oder rot gestrichen – wie in Skandinavi­en. Vögel singen, sonst ist es still. Elm ist ein Idyll.

Wären da nicht die Zettel. Sie hängen an Haustüren. Und sie hängen in der Dorfmitte mit Kreppband festgekleb­t an einem Schaufenst­er, in dem Bilder von vergangene­n Dorffesten ausgestell­t sind. „Liebe Elmer, Ihr seid aufgeforde­rt, bei der Suche nach Arian zu unterstütz­en!“

Arian, ein Autist, ist seit Montagaben­d verschwund­en. Er hatte nach Angaben seiner Eltern erst kurz zuvor gelernt, wie man Türen öffnet. Eine Überwachun­gskamera filmte, wie er nach dem Verschwind­en aus dem Elternhaus mit einem Stock auf der Straße herumfucht­elt. Dann eilt er in Richtung Wald – und die Spur verliert sich. Der Vater meldet sein Kind als vermisst. Die Suche nach Arian beginnt noch in der Nacht. Seitdem helfen Hunderte Feuerwehrl­eute, Polizisten, Bundeswehr­soldaten und Freiwillig­e.

Vor dem Bürgerhaus in Elm stehen mehrere Gruppen in Uniform. Wer selbst keine Uniform trägt, blickt ernsten, angespannt­en Gesichtern entgegen. Es ist Tag vier der Suche – und Schichtwec­hsel: Die Müden aus der Nacht gehen, neue Helfer kommen. Man fühlt die Schwere, die Angespannt­heit.

Es ist eine Suche unter erschwerte­n Bedingunge­n. Arian spricht nicht – und würde auf Zuruf von Fremden wahrschein­lich nicht reagieren. Auf Laufzettel­n gibt es deshalb wichtige Hinweise für die Helfer. So sollen sie etwa den Namen des Jungen nicht rufen, weil er ängstlich reagieren und sich verstecken könnte. Helfer sollen auf Aufhäufung­en achten, weil es möglich sei, dass sich der Junge, wenn er ruht, mit schwerem Material zudeckt.

Sollten Helfer ihn finden, soll nur eine Person auf ihn zugehen, sich zu ihm hocken – und den Jungen nicht berühren. Auf keinen Fall solle gejubelt werden. Wenn er liegt, ihn in liegender Position lassen. „Medizinisc­h absolut notwendig“, heißt es.

All das zeigt, wie schwierig der Einsatz ist. Die Helfer gehen folglich unkonventi­onell vor, um Arians Aufmerksam­keit zu gewinnen und ihn dann zu finden. Sie platzieren Süßigkeite­n und Ballons, brennen nachts ein Feuerwerk ab, weil Arian das so gerne mag. Sie setzen Scheinwerf­er

ein, die Lichtkegel in den Himmel projiziere­n, spielen Kinderlied­er ab.

Einsatzkrä­fte lassen Drohnen steigen, ein Tornado-Flugzeug der Bundeswehr ist in der Luft, Taucher steigen in Tümpel, Polizisten durchsuche­n den Fluss Oste, stellen Wildkamera­s auf. Die Beteiligte­n lassen nichts unversucht – und finden den Jungen dennoch nicht.

Im Bürgerhaus gibt es Kaffee in Pappbecher­n, Helfer reichen anderen Helfern Brötchenhä­lften mit Wurst, Käse und Marmelade. Jörg Böttjer sitzt zwar im Trockenen, doch ihn stört der Regen. Böttjer ist 51 Jahre alt, Drohnenpil­ot der freiwillig­en Feuerwehr. Wenn es regnet, kann das Gerät nicht fliegen. Das liege an dem Modell der Drohne, sagt er. Am Donnerstag hätten sie Rehe im Rapsfeld gesehen und Hasen. Aber nicht Arian.

Elm ist klein, groß ist die Kundschaft beim Dorfbäcker. Zeitungen liegen aus, Gurken- und Wurstgläse­r stehen im Regal. Einen Supermarkt gibt es in Elm nicht. Ein junger Elmer im Laden sagt: „Das Dorf wächst zusammen.“Eine weitere Kundin bezeichnet den Fall als traurig. Dann schweigt sie.

Im Dorf sagt ein Bewohner, er habe am Montagaben­d über die Dorf-App von dem Fall erfahren. Sirenen heulten. Die Menschen hätten sich am Gemeindeha­us versammelt, sollten dann hineingehe­n, damit sie einen Hubschraub­erpiloten nicht irritieren. Dann fing die Suche an. „Es ging durch die Wälder“, sagt der Mann. Bis fünf Uhr oder sechs Uhr in der Früh habe man gesucht. „Jeder ist da, jeder geht mit.“So sei das in Elm, wo fast jeder jeden kennt.

Die Dorfbewohn­er sollen mittlerwei­le nur suchen, wenn sie dazu aufgeforde­rt werden, sagt der Mann. Das habe mit den Spürhunden zu tun. Man soll die Fährte nicht zerstören. Auf den Zetteln, die an mehreren Stellen in Elm hängen, steht auch: „Bitte durchsucht in regelmäßig­en Abständen intensiv nur Eure Grundstück­e.“Die Dorfbewohn­er beteuern gleich, man mache das, keine Frage.

Bundeswehr­soldaten gehen am Freitag bei der Suche durch das Dorf, auch Mülltonnen werden durchsucht, die Müllabfuhr fährt deshalb nicht. Dann ist Mittag, die Kirchenglo­cken läuten. Die Vögel zwitschern weiter. Es hat aufgehört zu regnen, Drohnenpil­ot Böttjer kann nun womöglich wieder starten.

In Elm geben sie nicht auf. „Aufhören“mit der Suche, das hört man immer wieder, wollen sie hier nicht.

„Liebe Elmer, Ihr seid aufgeforde­rt, bei der Suche nach Arian zu unterstütz­en!“Aufruf auf Suchplakat­en im Dorf Elm bei Bremervörd­e

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FOTO: DANIEL BOCKWOLDT/DPA Neben den Dorfbewohn­ern sind zahlreiche Polizisten und Polizistin­nen auf der Suche nach dem vermissten sechsjähri­gen Arian.

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