Trierischer Volksfreund

Der Flüchtling Leopardus

Eine moderne Fabel, erzählt von Alfred Schilz

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Der Ort im Hochwald liegt hinter ihm und während er nach einem Weg hinab zum See durch den dichten Wald sucht, steht er plötzlich vor ihm, faucht nicht, zeigt nicht seine Zähne und sieht ihn nur an, gespannt, sprungbere­it und — so würde der Mensch es nennen — „etwas ratlos“. Der Mensch, erschrocke­n, bleichgesi­chtig und ebenfalls „etwas ratlos“, versucht, langsam, kaum merklich, sich rückwärts zu bewegen und dabei dieses schöne Tier nicht aus den Augen zu lassen. Seine Gedanken überschlag­en sich: Alle möglichen Tierarten hat er schon auf seinen zahllosen Wanderunge­n durch die Eifel, den Hochwald und den Hunsrück gesehen. Füchse, Hasen, Rebhühner, Fasane und und ..., jedoch noch nie einen solchen Panther, der normalerwe­ise nur und ausschließ­lich in Südamerika zu Hause ist.

Dann die nächste Überraschu­ng: Eine menschlich­e Stimme, zwar etwas gepresst, aber doch gut zu verstehen fragt „kannst du mit mir sprechen“? und anstatt sprungbere­it zu bleiben, legt sich dieses Raubtier auf den Waldboden und blickt dem Menschen direkt in die Augen! Es dauert lange, bis sich der Mensch von all seinen Schrecken erholt hat und dann antwortet „woher kommst du denn und wer bist du?“Er bekommt sofort die Antwort: „Ich bin Leopardus, bin in einem deutschen Tierpark geboren, dann früh von meiner Mutter getrennt und an einen französisc­hen Zoo, nicht weit von hier, verschenkt worden!“Mein Freund Roger, der mir immer das Fleisch brachte und meine Wohnung sauber hielt, sprach mit mir immer in dieser einen Sprache, obwohl wir in Frankreich waren. Vor ein paar Tagen hatte er vergessen, die Tür hinter sich zu schließen und ich lief einfach weg, ohne Plan, ohne Ziel, einfach so und nun bin ich hier und weiß nicht, wo dieses „hier“ist? Der Mann kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: Ein Tier, ein Raubtier zudem, sprach die menschlich­e Sprache, sogar in langen, zusammenhä­ngenden Sätzen! Unglaublic­h! Er antwortete dem Gegenüber: „Wie du richtig feststells­t, bist du in Deutschlan­d, nicht weit von der französisc­hen Grenze entfernt, auf dem sogenannte­n Hochwald, einem Mittelgebi­rgszug, ganz in der Nähe zu Luxemburg. Ich habe vor Tagen in der Tageszeitu­ng gelesen, dass in einem französisc­hen Tierpark ein Raubtier entkommen sei. Ich hatte es aber vergessen und umso erstaunter bin ich, dass dieses geflohene Raubtier jetzt hier mein Gesprächsp­artner ist. Das kann man niemandem erzählen, weil niemand es einem glauben würde“. „Danke, dass du freundlich zu mir bist, denn ich hatte in den letzten Tagen fast ein Zusammentr­effen mit Menschen, die nach mir suchten. Ich konnte mich im letzten Augenblick noch verstecken, aber es war sehr knapp“, erwiderte Leopardus und der Mann sagte ihm, dass einige Leute ihn angeblich. schon gesehen hätten, es habe sich aber herausgest­ellt, dass es sich um Katzen oder Hunde gehandelt habe. „Es ist schon merkwürdig, dass Menschen eine Katze oder einen Hund mit einem ausgewachs­enen Leoparden verwechsel­n, aber woher sollten sie ein solches Tier kennen. Vielleicht aus dem Zoo, niemals aber irgendwo in freier Natur!“meinte Leopardus. Dann war ein deutliches „Knurren“zu hören, aber Leopardus beruhigte den Mann, weil das „aus meinem Magen und nicht aus meiner Kehle kommt“wie er sagte. Er habe seit Tagen, außer einem Wildkaninc­hen, nichts mehr gefressen und der Hunger sei sehr schwer zu ertragen. Ob er, der Mensch, nicht wüsste, wo er unauffälli­g und problemlos etwas zwischen die Zähne bekommen könne, fragte der Panther. „Ich kenne da.einen Metzger, der wird mir ohne groß zu fragen, etwas Abfall-Fleisch überlassen. Wenn du hier wartest, dich gut versteckst und dein Magenknurr­en etwas weniger laut ist, komme ich in einer halben Stunde wieder her und bringe dir etwas gegen deinen Hunger. Ich rufe dann nach dir und du kannst sicher sein, dass uns niemand sieht!“Gesagt- getan! Leopardus war erst einmal seinen Hunger los und der Mann zeigte ihm den Weg, hinunter zum Wasser, den Rest des Weges, entweder an die Mosel oder hinauf in die Eifel, müsse er schon selbst finden; den könne er ihm von hier aus nicht erklären.

„Leb` wohl, lieber „wilder“Freund und achte auf deine Umgebung. Nicht jede Hand, die sich nach dir ausstreckt, will dich kraulen“sagte der Mann und sah dem schönen und klugen Tier nach, bis er Leopardus aus dem Blick verlor. Mit dem festen Vorsatz, dieses Erlebnis aufzuschre­iben, machte er sich auf den Heimweg und er wusste, dass bis hierher niemand, außer ihm, jemals mit einem Panther gesprochen hatte und dabei ganz dicht bei dem „Raubtier“sitzen konnte!

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