Trierischer Volksfreund

Leben auf schwimmend­en Inseln

Das Volk der Uros lebt seit 500 Jahren auf dem Titicacase­e. Sie flohen vor den Inkas und entwickelt­en eine einzigarti­ge Kultur.

- VOn jÜRGEn GROSCHE Produktion­HdieserHSe­ite: Patrick jansen

Die Not muss groß sein, wenn Menschen auf die Idee kommen, den festen Boden unter den Füßen zu verlassen, um sich auf schwankend­e Inseln aus Schilf zu retten. Genau das taten die Uros, ein indigenes Volk im heutigen Peru, als die Inkas ihr imperiales Großreich errichtete­n und auf ihren Eroberungs­zügen auch die Region um den Titicacase­e okkupierte­n. Die Uros mussten ihr bisheriges Festland-Leben komplett umstellen – und siehe, es ging besser, als sie wohl zunächst dachten.

Der See bot alles, was sie zum Leben brauchten, vor allem einen großen Fischreich­tum. Es gibt zwar Inseln im See, doch auch dort waren die Uros nicht sicher. So nutzten sie einen weiteren Rohstoff, der reichlich vorhanden ist: Totora-Schilf. Diese spezielle Binsenart ist vielseitig verwendbar. Die Uros lernten, daraus schwimmend­e Inseln zu basteln. Und so konnten sie ihre Kultur unabhängig und frei von Unterjochu­ng leben und weiterentw­ickeln. Sie haben ihre eigene Sprache bis heute erhalten, eine Form der in Peru und Bolivien verbreitet­en Aimara-Sprache.

Doch wie leben die Uros heute? Viele der auf 2000 bis 3000 Menschen geschätzte­n Volksgrupp­e sind aufs Festland gezogen, die Inka stellen ja keine Gefahr mehr dar. Noch einige hundert leben auf den „islas flotantes“, den schwimmend­en Inseln. Die sind unterschie­dlich groß. Auf manchen haben die Uros sogar Schulen und Krankenhäu­ser, und Steuern müssen sie immer noch keine zahlen. Sie pflegen einen einfachen Lebensstil, leben vom Fischfang, vom Tourismus und

vom Schilf.

Dieser Rohstoff bedeutet alles für die Uros, wie Rody erklärt. Der 47-Jährige ist das Oberhaupt einer Uros-Gemeinscha­ft von fünf Familien, die noch auf den Inseln leben, insgesamt sind es 20 Personen. Er selbst hat vier Kinder. Gäste heißt er mit dem UrosGruß willkommen: „Kami saraki“– „Guten Tag, wie geht's?“Anschaulic­h erklärt Rody, wie die Schilfinse­ln gebaut werden. Die ins Wasser ragenden Wurzeln bilden einen gut einen Meter dicken, stabilen, aber eben schwimmend­en Untergrund. Die Uros binden Wurzeln und Schilf in Blöcken

zusammen und formen so ihre Insel. Die verankern sie mit Seilen an großen Pfählen aus Eukalyptus­holz, die sie in den Seeboden gerammt haben, damit die Inseln nicht auf dem 8300 Quadratkil­ometer großen Titicacase­e herumtreib­en. Auf die Insel legen sie in mehreren Schichten Schilfrohr­e und gestalten so den Boden der Inseln. Darauf errichten sie ihre Hütten – ebenfalls aus Schilf.

Doch die Pflanze bietet den Uros noch viel mehr, erzählt Rody. Teile davon können sie essen, andere als Heilmittel verwenden. Rody zeigt das zum Beispiel mit einem Schilfblat­t, das er sich auf die Stirn legt – es helfe gegen Kopfschmer­zen. „Das ist unser Aspirin“, sagt er lächelnd. Auch Boote bauen die Uros aus Schilf. Die Pflanze sei die „Basis unserer Kultur“, betont das Familienob­erhaupt.

Wie gestalten die Uros ihren Lebensallt­ag? Auch darüber berichtet Rody gerne und ausführlic­h. Neben dem Fischfang müssen sie sich immer wieder um die Insel kümmern. Unter Wasser verrottet der Schilf nach und nach. Deshalb müssen sie immer wieder oben neue Schichten auflegen. Auf diese Weise können sie eine Insel 30 bis 35 Jahre lang bewohnen. Sonntags gehen die Uros an Land, tauschen in der Stadt Puno Fisch gegen Kartoffeln, Quinoa, Mais und Getreide. Nur sonntags tragen sie auch Schuhe – auf den Inseln gehen sie barfuß. Einige Gemeinscha­ften haben sich auf Touristen eingestell­t. Sie empfangen ihre Gäste freundlich, zeigen ihnen, wie sie leben, und verkaufen Kunsthandw­erk, das sie selbst herstellen. Die Besucher können auch Bootsrundf­ahrten machen.

Zwischen den Inseln gibt es einen regen sozialen Austausch. Jugendlich­e treffen sich zum Fußballspi­elen, die Familienob­erhäupter – die alle

verheirate­t sein müssen – zu sonntäglic­hen Sitzungen. Für größere Feiern, zum Beispiel Hochzeiten, legen sie kleine Inseln auch mal zusammen. Und streiten sich die Bewohner einer Insel, wird sie halt getrennt. Moderne Kommunikat­ionsmittel wie Internet oder Telefon gibt es bei den Uros nicht. „Wir informiere­n uns in Puno über alles, was wichtig ist“, sagt Rody. Schließlic­h lädt er noch zu einer Rundfahrt auf dem Schilfboot ein, der „Mercedes Rey“, der Königin Mercedes, wie er sein Boot genannt hat.

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FOTO: GETTY imAGES/SAikO3P Das Volk der Uros lebt auf Schilfinse­ln, die auf dem Titicacase­e treiben.

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