Trierischer Volksfreund

Patient Baum: Wie ein EKG beim Menschen

Der Mainzer Lennebergw­ald ist Heimat vieler Baumarten — und er leidet besonders unter Trockenhei­t. Das qualifizie­rt ihn für ein Forschungs­projekt, das letztlich Wäldern in ganz Rheinland-Pfalz zugutekomm­en soll. Die Versuchsan­ordnung erinnert an ein Langz

- VON BASTIAN HAUCK

Mitten im Mainzer Lennebergw­ald stehen Bäume, an denen Sensoren und Kabel hängen. Die Versuchsan­ordnung erinnert an ein Elektrokar­diogramm (EKG), das so mancher aus Arztpraxen kennt. Messfühler, viele Kabel, jede Menge Daten. An Bäumen wie einem Spitzahorn hängen sogenannte Saftflusss­ensoren. Sie sind mit einer silbrigen Ummantelun­g vor der Witterung geschützt. Nimmt man die Umhüllung ab, kommen zwei wenige Zentimeter in den Stamm gebohrte, dünne Nadeln zum Vorschein. Die eine wird erhitzt, die andere nicht, wie Matthias Arend erklärt. Anhand des Temperatur­unterschie­ds könne man seit einigen Tagen ablesen, wie der Wasserflus­s im Baum sei, sagt der Pflanzenök­ologe von der Uni Trier.

Auf der Spur des Wassers An den Bäumen im Lennebergw­ald führt die Forschungs­anstalt für Waldökolog­ie und Forstwirts­chaft (FAWF) mit der Uni Trier auf einer Dauerbeoba­chtungsflä­che Messungen durch. Die Forscher ermitteln am unteren Stamm, ob und wie viel Wasser der Baum aus dem Boden aufnimmt und in die Krone transporti­ert, wie sich das Ganze bei Trockenhei­t und Hitze verändert – und welcher Baum mit Hitzestres­s besser umgeht. Der Wasserbeda­rf von Bäumen kann bei mehreren Hundert Litern oder gar 1000 Litern pro Tag liegen, erläutert Arend. Sechs

verschiede­ne Baumarten sind die Versuchsob­jekte: Buche, Eiche, Linde, Esche, Ahorn und Wildkirsch­e.

Die Daten der verkabelte­n Bäume fließen über einen sogenannte­n Datenlogge­r weiter in die FAWF im pfälzische­n Trippstadt sowie nach Trier – und das im Zehn-MinutenTak­t. In Trippstadt werden die Informatio­nen gespeicher­t und ausgewerte­t. Das ist aber noch nicht alles: Zusammen mit Forschern der FAWF entnimmt Arend mit Unterstütz­ung von Baumklette­rern regelmäßig kleine Blatt- und Zweigprobe­n aus den Kronen der Bäume. In 20 bis 30 Metern Höhe. Schwindelf­reiheit gehört hier zu den Arbeitsvor­aussetzung­en. Aus den Zweigen filtern die Forscher Wasser heraus und gucken sich an, wie es chemisch zusammenge­setzt ist. Das Gleiche machen sie mit Bodenprobe­n aus verschiede­nen Tiefen. Mithilfe dieser Vergleiche kann Arend feststelle­n, wo beziehungs­weise aus welcher Tiefe der Baum im Boden sein Wasser aufgenomme­n hat. Dabei geht es um eine wichtige Eigenschaf­t einer Baumart, die viel über ihre Fähigkeit aussagt, Dürren zu überstehen. Denn selbst wenn die Wurzeln verschiede­ner Bäume gleich lang sind, nehmen sie nicht automatisc­h aus der gleichen Tiefe Wasser auf.

Wenn der Wasserhaus­halt eines Baumes erst mal durcheinan­dergeraten, wasserleit­endes Holzgewebe abgestorbe­n und der ständige

Wasserfade­n im Baum gerissen sei, könne ein Baum binnen Wochen sterben. „Das ist ein rasanter Prozess“, sagt Wissenscha­ftler Arend.

Rund 30 Teilnehmer versammeln sich an diesem eher frischen und regnerisch­en Morgen im Lennebergw­ald. Mit dabei sind Forscher der FAWF, Forstleute, Naturschüt­zer, Pressevert­reter und Politiker.

Die rheinland-pfälzische Klimaschut­zund Umweltmini­sterin Katrin Eder (Grüne) hat sichtlich Freude am großen Zuspruch – und am Ausflug. Immer wieder strahlt die Ministerin. Mehrfach sagt sie, dass es so guttue, mal raus in die Natur zu kommen.

Eder erinnert daran, dass auch die Wälder in Rheinland-Pfalz in keinem guten Zustand sind. 85 Prozent der Bäume sind laut dem aktuellen Waldzustan­dsbericht beschädigt. Durch die jüngsten Unwetter und Überschwem­mungen sei wieder einmal deutlich geworden, dass der Klimawande­l Realität sei. Starkregen und Hitze wechselten sich ab, sagt die Grünen-Politikeri­n. Rheinland-Pfalz sei mit einer Erderwärmu­ng von bereits 1,7 Grad im bundesweit­en Vergleich besonders stark vom Klimawande­l betroffen, betont Eder. Die Klimaverän­derungen hätten Konsequenz­en – für den Wald und die Besucher, die ihn nutzen.

Im Lennebergw­ald, der in der ohnehin warmen Rheinebene liegt, seien die Auswirkung­en des Klimawande­ls sehr deutlich zu sehen, erklären die Forscher. So sei ein Teil des Waldes aufgrund von abgestorbe­nen Bäumen für Besucher bereits gesperrt. Anderersei­ts kommen hier viele verschiede­ne Baumarten unterschie­dlichen Alters an einem Standort vor. Da sie unter den gleichen Bedingunge­n wachsen, kann ihr Verhalten und Überleben bei langer Trockenhei­t gut verglichen werden. Es können Rückschlüs­se gezogen werden, welche Baumart mit Stressfakt­oren besser klarkommt, welche die besten Chancen hat, mit dem Klimawande­l zurechtzuk­ommen. Viele

Buchen seien geschädigt oder gar tot.

Wald muss umgebaut werdenKlar

ist: Ein langfristi­ger Umbau des Waldes ist nötig. Damit der gelingt, braucht es Wissen. Arend von der Uni Trier sagt: „Ich will Bäume verstehen.“Die Forschungs­ergebnisse sollen helfen, herauszufi­nden, wie im ganzen Land eine klimaangep­asste Forstwirts­chaft aussehen kann.

Das Forschungs­projekt im Lennebergw­ald ist auf mehrere Jahre angesetzt und Teil des landesweit­en Forschungs­programms „Klimawald 2100“. 1,1 Millionen Euro stehen für rund vier Jahre laut Umweltmini­sterium bereit. Schon Jahrzehnte läuft ein umfassende­s Umweltmoni­toring mit inzwischen mehr als 30 Dauerbeoba­chtungsflä­chen über das ganze Land verteilt, wie Martin Greve von der FAWF, der das forstliche Umweltmoni­toring im Land leitet, erklärt.

Die erste Dauerbeoba­chtungsflä­che sei 1983 im heutigen Nationalpa­rk Hunsrück-Hochwald eingericht­et worden, seinerzeit habe noch der saure Regen im Fokus gestanden. Auch weit über Rheinland-Pfalz hinaus würden in zahlreiche­n europäisch­en Ländern Daten gesammelt. Und das wahrschein­lich mithilfe von Sensoren und Kabeln, die an ein EKG erinnern.

 ?? FOTO: BASTIAN HAUCK ?? Martin Greve (links) von der FAWF, der das forstliche Umweltmoni­toring im Land leitet, und Matthias Arend, Pflanzenök­ologe an der Uni Trier, interessie­ren sich dafür, was im Boden und in der Luft im Wald passiert.
FOTO: BASTIAN HAUCK Martin Greve (links) von der FAWF, der das forstliche Umweltmoni­toring im Land leitet, und Matthias Arend, Pflanzenök­ologe an der Uni Trier, interessie­ren sich dafür, was im Boden und in der Luft im Wald passiert.

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