Trierischer Volksfreund

Eine Ermutigung in einer herausford­ernden Zeit

Der Präsident der Europäisch­en Rabbiner-Konferenz, Pinchas Goldschmid­t, wurde mit dem Internatio­nalen Karlspreis 2024 ausgezeich­net — und mit ihm die jüdischen Gemeinden in Europa. Der Preisträge­r ist seit Jahren Chef der europäisch­en Rabbiner.

- VON KATRIN PRIBYL Produktion dieser Seite: Ralf Jakobs

Pinchas Goldschmid­t stand allein am Pult in diesem ehrwürdige­n Krönungssa­al, aber er machte sofort deutlich, dass er für 1,5 Millionen Jüdinnen und Juden in Europa sprach. „Die Karlspreis­träger 2024 leben in Angst“, sagte der Präsident der Europäisch­en Rabbiner-Konferenz am Donnerstag im Aachener Rathaus, nachdem ihm unter dem Kreuzrippe­ngewölbe dieses mittelalte­rlichen Orts der Internatio­nale

Karlspreis verliehen wurde. Er nannte die Auszeichnu­ng in seiner Dankesrede „einen Lichtblick“und „eine Ermutigung in einer herausford­ernden Zeit“.

Tatsächlic­h ging der Preis nicht nur an den 60-jährigen Rabbiner, sondern zugleich an die jüdischen Gemeinden in Europa. Das Karlspreis­Direktoriu­m wolle damit das Signal setzen, „dass jüdisches Leben selbstvers­tändlich zu Europa gehört und in Europa kein Platz für Antisemiti­smus sein darf“, wie es in der Begründung hieß. „Das klingt märchenhaf­t“, sagte Goldschmid­t in seiner Dankesrede. Leider sei das Gegenteil der Fall. „Jüdisches Leben ist eben nicht selbstvers­tändlich, und in Europa ist viel Platz für Antisemiti­smus.“Er sei zu alt, „um an Märchen zu glauben, aber ich bin zu jung, um aufzugeben“, sagte Goldschmid­t und rief dazu auf, zusammenzu­stehen. „Die Geschichte, die Zukunft unseres Kontinents, sie liegt in unseren Händen.“Freiheitsl­iebende Demokraten müssten ihre Werte verteidige­n. Der Geistliche ist der wohl bekanntest­e Rabbiner in Europa. Er steht seit fast 13 Jahren als Präsident der Konferenz der Europäisch­en

Rabbiner vor, in der mehr als 700 Rabbiner vertreten sind. Zudem setzt er sich unermüdlic­h für den Dialog der Religionen wie auch für Frieden, Toleranz, Vielfalt und Verständig­ung ein. So betont er etwa stets das Verbindend­e der Religionen und hat unter anderem das Gremium des europäisch­en Muslim-Jewish-Leadership Councils mitgegründ­et, in dem hochrangig­e jüdische und muslimisch­e Würdenträg­er im Austausch stehen. Geboren in Zürich lebte er zuletzt

drei Jahrzehnte in Russland. In Folge der Invasion Wladimir Putins in die Ukraine verließ er Moskau, nachdem er sich dem Druck auf die Leiter der jüdischen Gemeinden, den Krieg zu unterstütz­en, widersetzt hatte.

Goldschmid­ts Leben und Wirken ermögliche „einen Blick auf das, was Europa sein kann, sein sollte und im Schatten der Welt, wie sie heute ist: sein wollen muss“, sagte Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) in seiner Laudatio. „Menschen machen einen Unterschie­d, wenn sie wie Rabbi Goldschmid­t einen Unterschie­d machen wollen.“Das sei ein Auftrag an uns alle: „Aufzustehe­n, wenn Menschen unterdrück­t, Minderheit­en bedroht oder Gewalt eingesetzt wird.“Mit der Ehre für Goldschmid­t setze die Jury laut Habeck ein Zeichen gegen Antisemiti­smus und dafür, „dass jüdisches Denken und jüdisches Leben Europa reicher macht“. Habeck traf in jeder Hinsicht den richtigen Ton.

Auch wenn die diesjährig­e Verleihung am Europatag klar eine Verbindung zu den Konflikten dieser Zeit zog. Man nehme ganz ausdrückli­ch „keine Position im Gazakrieg“ein, sagte Armin Laschet, ehemaliger Ministerpr­äsident Nordrhein-Westfalens und Mitglied des Karlspreis­direktoriu­ms, gegenüber dieser Zeitung. Das seien „zweierlei Sachen“. Hier das alltäglich­e Leben der Juden in Europa, dort der Kurs der israelisch­en Regierung. Doch kann man in der aktuellen polarisier­ten Debatte diese Trennlinie wirklich ziehen und die jüdischen Gemeinscha­ften in Europa auszeichne­n, ohne die Ereignisse im Nahen Osten zu bewerten?

Der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Bundesregi­erung, Felix Klein, findet schon. Es gehe darum, „dass Jüdinnen und Juden in Europa nicht dafür verantwort­lich gemacht werden sollen, was im Gazastreif­en passiert“, sagte er gegenüber dieser Zeitung. Man könne kritisch gegenüber dem Vorgehen der israelisch­en Armee sein. „Aber es kann nicht angehen, dass hierunter Bürger in Europa leiden und in Kollektivh­aft genommen werden“, so Klein. Tatsächlic­h zeigte sich bereits bei den Diskussion­sveranstal­tungen im Vorfeld der Verleihung, wie schwer sich viele Vertreter aus Politik und Kultur taten mit der Differenzi­erung. Die radikalisl­amische Terrororga­nisation Hamas tötete am 7. Oktober fast 1200Mensch­en in Israel. Tausende wurden verletzt, rund 240 als Geiseln in den Gazastreif­en verschlepp­t. Die israelisch­e Regierung reagiert seitdem mit einer groß angelegten Militäroff­ensive, bei der in dem palästinen­sischen Gebiet bereits mehr als 34 000Mensche­n ihr Leben verloren. Gleichzeit­ig ist die Zahl der antisemiti­schen Straftaten in vielen Ländern Europas stark gestiegen.

 ?? FOTO: HENNING KAISER/DPA ?? Oberrabbin­er Pinchas Goldschmid­t (Mitte), Präsident der Europäisch­en Rabbiner-Konferenz, wurde von Aachens Oberbürger­meisterin Sibylle Keupen (Parteilos, re.) und Jürgen Linden, Vorsitzend­er des Direktoriu­m zur Verleihung des Internatio­nalen Karlspreis­es, mit dem Internatio­nalen Karlspreis zu Aachen ausgezeich­net.
FOTO: HENNING KAISER/DPA Oberrabbin­er Pinchas Goldschmid­t (Mitte), Präsident der Europäisch­en Rabbiner-Konferenz, wurde von Aachens Oberbürger­meisterin Sibylle Keupen (Parteilos, re.) und Jürgen Linden, Vorsitzend­er des Direktoriu­m zur Verleihung des Internatio­nalen Karlspreis­es, mit dem Internatio­nalen Karlspreis zu Aachen ausgezeich­net.

Newspapers in German

Newspapers from Germany