Amnestie für Kiffer beschäftigt die Justiz
Die Befürchtungen der Justizminister der Länder waren groß, nun sind sie teils eingetreten: Zehntausende Akten müssen derzeit mitunter händisch durchgearbeitet werden, um den Regelungen des neuen Cannabis- Gesetzes zu entsprechen. Der Mehraufwand ist erhe
nur wenige andere Ampel-Gesetze sind so umstritten wie die Legalisierung von Cannabis, die vor gut einem Monat inkraft getreten ist. Einige feiern das neue Kiffergesetz als Meilenstein in der Drogenpolitik. Doch die Kritik an der Reform war ebenfalls sehr groß – und hält noch immer an. Denn derzeit sind es insbesondere die Justizbehörden, die mit der Regelung zur sogenannten Kiffer-Amnestie zu kämpfen haben.
Diese sieht rückwirkend Straffreiheit für Menschen vor, die in der Vergangenheit wegen CannabisBesitzes in kleineren Mengen strafrechtlich verfolgt wurden. Aufgrund dieser Regelung muss nun eine enorme Zahl an Verfahren überprüft werden. Bundesweit geschah das Medienberichten zufolge bereits in mehr als 200 000 Fällen, weitere Zehntausende Akten müssen die Behörden noch einer Prüfung unterziehen.
Verhältnismäßig schnell geht die
Prüfung bei Fällen, in denen Personen wegen des Besitzes kleinerer Mengen Cannabis bestraft wurden – und es sich lediglich um diese eine Art von Verstoß handelte. Besonders kompliziert ist die Prüfung nach Angaben der Justiz hingegen in sogenannten Mischfällen. Denn auch Verfahren zu Einbruchsdelikten, Körperverletzung oder Trunkenheitsfahrten müssen jetzt überprüft
werden, weil mitunter Verstöße wegen Cannabis-Besitzes damit einhergingen und die Justiz die Strafe unter einem Urteil subsumierte. Nun müssen Richter den Anteil der Strafe, der den Bezug zum Cannabis-Besitz hat, herausrechnen. Das braucht deutlich mehr Zeit.
So teilte das Justizministerium von Baden-Württemberg auf Anfrage mit, dass die dortigen Staatsanwaltschaften
nach eigenen Angaben zwischen 15 und 60Minuten für die Prüfung einer Akte bräuchten. 25 000 Verfahren mussten in dem Bundesland händisch überprüft werden wegen der Amnestieregelung.
In NRW sind nach Regierungsangaben 86 000 Verfahren darauf überprüft worden, ob sie von dem neuen Gesetz betroffen sind. Rheinland-Pfalz nannte eine Zahl von rund 10 000 Verfahren, die danach zu kontrollieren sind, ob eine laufende Vollstreckung einzustellen oder eine verhängte Gesamtstrafe abzuändern ist. Während Hessens Behörden keine konkreten Zahlen nennen wollten, meldete Niedersachsens Justizministerium etwa 16 000 zu prüfende Verfahren. Und selbst im Saarland sind es den Angaben zufolge mehr als 700 identifizierte Verfahren, die dem neuen Kiffer-Gesetz unterfallen.
Im Zuge dessen wurden bundesweit bereits mehr als 125 Personen frühzeitig aus der Haft entlassen, weil sie nach der neuen Regelung keine Strafe mehr absitzen müssen.
Kritik an dem Gesetz war nahezu einhellig aus den Justizministerien der Länder zu hören. Bayerns zuständiger Minister Georg Eisenreich (CSU) sagte auf Anfrage: „Der Zusatzaufwand durch das Cannabis-Gesetz ist für die Justiz enorm. Die Bundesregierung belastet die Justiz unnötig, statt sie zu entlasten.“Die Neuregelung sei zudem äußerst kompliziert ausgestaltet. „Sie enthält allein 37 Bußgeldtatbestände, mehr als doppelt so viele als bisher. Dadurch entsteht eine Flut neuer Rechtsfragen, die Straf- und Bußgeldverfahren künftig zusätzlich erschweren und verzögern“, sagte Eisenreich.
Auch aus Bremen kommt Kritik. Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD) sagte unserer Redaktion: „Der ohnehin stark belasteten Justiz ist ein hoher Prüfaufwand entstanden und damit Arbeit, die ohne rückwirkende Amnestie vermeidbar gewesen wäre.“Eine derartige rückwirkende Amnestie sei in der deutschen Geschichte aus guten Gründen ein absoluter Exot, so Schilling. Doch die SPD-Politikerin zeigte sich trotz ihrer Kritik an der Amnestie-Regelung vorsichtig optimistisch beim Blick nach vorn. „Für die Zukunft setzen wir auf eine Entlastung der Justiz, da es weniger Strafverfahren gegen Konsumentinnen und Konsumenten von Cannabis geben wird“, fügte Schilling hinzu. Ein Argument, das auch von der Bundesregierung immer wieder hervorgebracht wurde als Grund für die Legalisierung – das jedoch längst nicht alle Justizminister der anderen Bundesländer teilen.
Wie lange es dauern wird, bis alle von der Amnestie betroffenen Verfahren geprüft, überarbeitet und neu bewertet sind, ist völlig unklar. Die unionsgeführten Länder kündigten bereits an, gegen das Gesetz vorgehen zu wollen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der das Kiffer-Gesetz federführend verantwortet hat, will sich in der kommenden Woche an einem Berliner Gymnasium mit Schülern über die Cannabis-Legalisierung unterhalten. Sein Anliegen sind dabei jedoch weniger juristische Fragen, sondern vielmehr die Inhalte einer Informationskampagne. Mit ihr will Lauterbach sicherstellen, dass insbesondere junge Menschen über die Gefahren von Cannabis-Konsum aufgeklärt werden.
„Der Zusatzaufwand durch das Cannabis-Gesetz ist für die Justiz enorm.“Georg Eisenreich (CSU) Landesjustizminister Bayern