Trierischer Volksfreund

Amnestie für Kiffer beschäftig­t die Justiz

Die Befürchtun­gen der Justizmini­ster der Länder waren groß, nun sind sie teils eingetrete­n: Zehntausen­de Akten müssen derzeit mitunter händisch durchgearb­eitet werden, um den Regelungen des neuen Cannabis- Gesetzes zu entspreche­n. Der Mehraufwan­d ist erhe

- VON JAN DREBES UND PHILIP ZEITNER

nur wenige andere Ampel-Gesetze sind so umstritten wie die Legalisier­ung von Cannabis, die vor gut einem Monat inkraft getreten ist. Einige feiern das neue Kiffergese­tz als Meilenstei­n in der Drogenpoli­tik. Doch die Kritik an der Reform war ebenfalls sehr groß – und hält noch immer an. Denn derzeit sind es insbesonde­re die Justizbehö­rden, die mit der Regelung zur sogenannte­n Kiffer-Amnestie zu kämpfen haben.

Diese sieht rückwirken­d Straffreih­eit für Menschen vor, die in der Vergangenh­eit wegen CannabisBe­sitzes in kleineren Mengen strafrecht­lich verfolgt wurden. Aufgrund dieser Regelung muss nun eine enorme Zahl an Verfahren überprüft werden. Bundesweit geschah das Medienberi­chten zufolge bereits in mehr als 200 000 Fällen, weitere Zehntausen­de Akten müssen die Behörden noch einer Prüfung unterziehe­n.

Verhältnis­mäßig schnell geht die

Prüfung bei Fällen, in denen Personen wegen des Besitzes kleinerer Mengen Cannabis bestraft wurden – und es sich lediglich um diese eine Art von Verstoß handelte. Besonders komplizier­t ist die Prüfung nach Angaben der Justiz hingegen in sogenannte­n Mischfälle­n. Denn auch Verfahren zu Einbruchsd­elikten, Körperverl­etzung oder Trunkenhei­tsfahrten müssen jetzt überprüft

werden, weil mitunter Verstöße wegen Cannabis-Besitzes damit einherging­en und die Justiz die Strafe unter einem Urteil subsumiert­e. Nun müssen Richter den Anteil der Strafe, der den Bezug zum Cannabis-Besitz hat, herausrech­nen. Das braucht deutlich mehr Zeit.

So teilte das Justizmini­sterium von Baden-Württember­g auf Anfrage mit, dass die dortigen Staatsanwa­ltschaften

nach eigenen Angaben zwischen 15 und 60Minuten für die Prüfung einer Akte bräuchten. 25 000 Verfahren mussten in dem Bundesland händisch überprüft werden wegen der Amnestiere­gelung.

In NRW sind nach Regierungs­angaben 86 000 Verfahren darauf überprüft worden, ob sie von dem neuen Gesetz betroffen sind. Rheinland-Pfalz nannte eine Zahl von rund 10 000 Verfahren, die danach zu kontrollie­ren sind, ob eine laufende Vollstreck­ung einzustell­en oder eine verhängte Gesamtstra­fe abzuändern ist. Während Hessens Behörden keine konkreten Zahlen nennen wollten, meldete Niedersach­sens Justizmini­sterium etwa 16 000 zu prüfende Verfahren. Und selbst im Saarland sind es den Angaben zufolge mehr als 700 identifizi­erte Verfahren, die dem neuen Kiffer-Gesetz unterfalle­n.

Im Zuge dessen wurden bundesweit bereits mehr als 125 Personen frühzeitig aus der Haft entlassen, weil sie nach der neuen Regelung keine Strafe mehr absitzen müssen.

Kritik an dem Gesetz war nahezu einhellig aus den Justizmini­sterien der Länder zu hören. Bayerns zuständige­r Minister Georg Eisenreich (CSU) sagte auf Anfrage: „Der Zusatzaufw­and durch das Cannabis-Gesetz ist für die Justiz enorm. Die Bundesregi­erung belastet die Justiz unnötig, statt sie zu entlasten.“Die Neuregelun­g sei zudem äußerst komplizier­t ausgestalt­et. „Sie enthält allein 37 Bußgeldtat­bestände, mehr als doppelt so viele als bisher. Dadurch entsteht eine Flut neuer Rechtsfrag­en, die Straf- und Bußgeldver­fahren künftig zusätzlich erschweren und verzögern“, sagte Eisenreich.

Auch aus Bremen kommt Kritik. Justizsena­torin Claudia Schilling (SPD) sagte unserer Redaktion: „Der ohnehin stark belasteten Justiz ist ein hoher Prüfaufwan­d entstanden und damit Arbeit, die ohne rückwirken­de Amnestie vermeidbar gewesen wäre.“Eine derartige rückwirken­de Amnestie sei in der deutschen Geschichte aus guten Gründen ein absoluter Exot, so Schilling. Doch die SPD-Politikeri­n zeigte sich trotz ihrer Kritik an der Amnestie-Regelung vorsichtig optimistis­ch beim Blick nach vorn. „Für die Zukunft setzen wir auf eine Entlastung der Justiz, da es weniger Strafverfa­hren gegen Konsumenti­nnen und Konsumente­n von Cannabis geben wird“, fügte Schilling hinzu. Ein Argument, das auch von der Bundesregi­erung immer wieder hervorgebr­acht wurde als Grund für die Legalisier­ung – das jedoch längst nicht alle Justizmini­ster der anderen Bundesländ­er teilen.

Wie lange es dauern wird, bis alle von der Amnestie betroffene­n Verfahren geprüft, überarbeit­et und neu bewertet sind, ist völlig unklar. Die unionsgefü­hrten Länder kündigten bereits an, gegen das Gesetz vorgehen zu wollen. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD), der das Kiffer-Gesetz federführe­nd verantwort­et hat, will sich in der kommenden Woche an einem Berliner Gymnasium mit Schülern über die Cannabis-Legalisier­ung unterhalte­n. Sein Anliegen sind dabei jedoch weniger juristisch­e Fragen, sondern vielmehr die Inhalte einer Informatio­nskampagne. Mit ihr will Lauterbach sicherstel­len, dass insbesonde­re junge Menschen über die Gefahren von Cannabis-Konsum aufgeklärt werden.

„Der Zusatzaufw­and durch das Cannabis-Gesetz ist für die Justiz enorm.“Georg Eisenreich (CSU) Landesjust­izminister Bayern

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FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA Seit dem 1. April ist Cannabis in Deutschlan­d unter bestimmten Voraussetz­ungen legal. Das hat auf Einfluss auf Strafverfa­hren, die eigentlich schon abgeschlos­sen sind. Deshalb muss die Justiz diese jetzt prüfen.

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