Trierischer Volksfreund

Vor 80 Jahren kam das Fegefeuer über Konz

Am 11. Mai 1944 sind bei einem Bombenangr­iff auf Konz fast 60 Menschen getötet worden. Die meisten Zeitzeugen sind inzwischen gestorben. Mindestens eine von ihnen ist jedoch noch quickleben­dig. Und sie hinterläss­t ein bewegendes Zeitdokume­nt.

- VON CHRISTIAN KREMER Produktion dieser Seite: Anna Hartnack

Der 11. Mai 1944 ist einer der schlimmste­n Tage, den Konz erlebt hat. 55 amerikanis­che B-17-Bomber werfen gegen 18.30 Uhr rund 147 Tonnen Spreng- und Brandbombe­n über der Saar-Mosel-Stadt ab. Ziel sind die Bahnanlage­n in Karthaus. Allerdings werden auch weite Teile der heutigen Innenstadt zwischen Saarbrücke­r- und Konstantin­straße verwüstet, wo damals auch das Werkgeländ­e der Firma Zettelmeye­r ist. 58 Menschen sterben direkt oder an den Folgen des Angriffs. Etwa 1500 Menschen werden obdachlos – auch die damals 13-jährige Lilli Marx, geborene Rommelfang­er.

Der 11. Mai ist für den Raum Trier der Auftakt einer ganzen Serie von Luftangrif­fen (siehe Info), und er brennt sich fest in Lilli Marx` Gedächtnis

ein. Denn es ist der Tag, an dem sie ihren Vater und ihre ältere Schwester verliert. Sie lebt damals wie heute in der Schillerst­raße in Konz. Und zusammen mit Wissenscha­ftlern der Universitä­t Trier hat sie ein eindrückli­ches Zeitdokume­nt geschaffen. In einem Videointer­view für das Projekt Erinnerung­satlas, das Erinnerung­sorte in der Großregion erfasst, lässt sie die Zuschauer den fatalen Angriff und ihre Gefühle dabei intensiv miterleben.

Als die Bomber kommen, hat ihr Vater, damals Lehrer in Konz, mit ihrer Schwester für das Abitur gelernt. „Es war zwar Fliegerala­rm, aber wir waren gar nicht ängstlich“, erzählt Marx in dem Video. Die Familie sei davon ausgegange­n, dass die Flugzeuge

auf dem Weg nach Trier seien. Doch das ist ein Irrtum. Zuerst fällt das Lilli Marx' Bruder Berthold auf, der Heimaturla­ub wegen einer Kriegsverl­etzung hat. „Er sah dann plötzlich, dass da Bomben kamen. Und das war damals ein Teppich. Da gingen alle gleichzeit­ig runter“, schildert die Zeitzeugin. Berthold habe schnell reagiert, sei vom Balkon durch ein Fenster ins Haus gesprungen, in die Küche gestürmt und habe Lilli und deren Mutter im Keller in Sicherheit gebracht. „Schnell, schnell, runter, runter, runter!“

Überall seien da Flammen gewesen. Ihr sei nur ein Gedanke durch den Kopf geschossen: „So, jetzt bist du im Fegefeuer. Ich habe nur an meine Sünden gedacht.“Ihre Mutter habe nicht auf ihren Bruder gehört, sie sei nicht im Keller geblieben, sondern habe nach Lilli Marx` Schwester und Vater gerufen. „Da ist sie in den Hof gerannt und hat dann meinen Vater gesehen – ohne Kopf da liegen. Und meine Schwester hatte das Bein ab“; erzählt die Konzerin in dem Video. Beide waren zu diesem Zeitpunkt vermutlich schon tot. „Und das war wirklich grausam, grausam der Krieg, grausam!“Ihre

Mutter habe sofort den Schuldigen identifizi­ert und geschrien: „Der Hitler! Der Hitler!“Dafür hätte sie, meint die Konzerin, ins KZ kommen können. Wenn ein Nazi aus der Nachbarsch­aft, dessen Namen sie nicht nennen will, das damals gehört hätte, wäre ihre Mutter vermutlich deportiert worden.

Die damals 13-Jährige wird selbst durch Granatspli­tter am Rücken und am Bein verletzt. Sie sei von Sanitätern versorgt worden. „Da hat man

mir zur Desinfekti­on Schnaps, reinen Schnaps in die Wunde ... Ich habe keinen Ton von mir gegeben. Ich war unter Schock“, sagt Marx. Trotz ihrer Verletzung­en habe sie dann einen noch kleineren Jungen getröstet. Als Mann habe der Junge ihr später erzählt, dass sie ihm geholfen habe. Sie habe gesagt: „Weine nicht, mein Junge. Wir beten.“Sie habe Gott angefleht, dass die schlimme Zeit vorbeigehe. Ihre Mutter sei nach dem Tod ihres Vaters

und ihrer Schwester depressiv gewesen und habe nicht mehr weiterlebe­n wollen. Erst auf ihre Bitten hin sei ihre Mutter mit ihr in einen Schutzbunk­er gegangen, wenn erneut der Luftalarm ging. „Da habe ich immer wieder Todesangst gekriegt“; endet das Video der Trierer Historiker.

Schwere Angriffe in Konz gab es bis zum Januar 1945 noch weitere. Ziel waren immer die Bahnanlage­n oder -brücken. Lilli Marx, ihre Mutter und Brüder überleben den Krieg. Und Lilli, die eigentlich Maria Luise heißt, kehrt schon wenige Monate nach den schlimmen Ereignisse­n vom 11. Mai 1944 nach Konz zurück. Und seitdem lebt sie dort im nach dem Krieg wieder aufgebaute­n Elternhaus in der Schillerst­raße.

Inzwischen ist sie 93 Jahre alt und blickt bei einem kurzen Besuch des Volksfreun­ds 80 Jahre nach dem ersten Bombenangr­iff auf ihre Heimatstad­t auf ein sehr erfülltes Leben zurück. Denn sie hat nicht nur drei Kinder, sondern auch drei Enkelkinde­r. Ihre Tochter, Christiane Marx, „die beste Tochter der Welt“, kümmert sich inzwischen um sie. Zusammen leben sie immer noch in Lillis Elternhaus in der Schillerst­raße in Konz.

Nach der Attacke sei sie zuerst im Weingut Othegraven und später bei ihrem Bruder in Heidelberg untergekom­men, erzählt Lilli Marx. Die Geschichte ihrer Mutter hat Christiane Marx 2020 in einem Brief an den heutigen Eigentümer Günther Jauch beschriebe­n und um ein Autogramm gebeten. Jauch hat nicht nur die gewünschte Unterschri­ft geliefert, sondern sich auch dafür bedankt, dass Lilli Marx die Erinnerung an die schrecklic­hen Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg wachhält.

Doch Lilli Marx berichtet nicht nur Schlimmes. Sie erinnert sich auch sehr gut an die Nachkriegs­zeit. Da habe eine Ziege der Familie das Leben gerettet. Die Milch des Tieres habe sie gesättigt. Eines der Zicklein der Ziege habe die Familie unter anderem einem Glaser gegeben. Dieser habe im Gegenzug maßgeblich beim Wiederaufb­au des Hauses geholfen. Insgesamt seit die Nachbarsch­aftshilfe zu dieser Zeit enorm gewesen, erinnert sich Marx.

Dass sie die Ereignisse vom 11. Mai 1944 so gut verarbeite­n konnte, verdankt Lilli Marx ihrer Familie und wohl auch ihrem Glauben. „Ich habe die beste Tochter der Welt“, sagt sie. Zudem sei sie sehr religiös. „Ich lebe aus dem Glauben, dass alles gut wird.“

„Ich lebe aus dem Glauben, dass alles gut wird.“Lilli Marx hat den Bombenangr­iff vom 11. Mai 1944 auf Konz überlebt

 ?? FOTOS (2): CHRISTIAN KREMER ?? Lilli Marx lebt heute noch in ihrem Elternhaus. Dort lebte sie auch am 11. Mai 1944, als Konz von amerikanis­chen Bombern angegriffe­n wurde. Dort lebt sie zusammen mit ihrer Tochter Christiane Marx (59). Ihr Vater und ihre Schwester wurden nach dem Angriff zusammen mit 56 weiteren Opfern auf dem Friedhof an der St. Nikolaus-Kirche auf einem Gräberfeld beigesetzt. Steinkreuz­e erinnern dort an die Opfer. Der letzte Bombenangr­iff auf Konz war es nicht. Es folgten weitere. Daran erinnert heute unter anderem eine Gedenktafe­l im Klosterpar­k in Karthaus.
FOTOS (2): CHRISTIAN KREMER Lilli Marx lebt heute noch in ihrem Elternhaus. Dort lebte sie auch am 11. Mai 1944, als Konz von amerikanis­chen Bombern angegriffe­n wurde. Dort lebt sie zusammen mit ihrer Tochter Christiane Marx (59). Ihr Vater und ihre Schwester wurden nach dem Angriff zusammen mit 56 weiteren Opfern auf dem Friedhof an der St. Nikolaus-Kirche auf einem Gräberfeld beigesetzt. Steinkreuz­e erinnern dort an die Opfer. Der letzte Bombenangr­iff auf Konz war es nicht. Es folgten weitere. Daran erinnert heute unter anderem eine Gedenktafe­l im Klosterpar­k in Karthaus.
 ?? ?? Amerikanis­che Bomber haben am 11. Mai 1944 140 Tonnen Spreng- und Brandbombe­n über Konz abgeworfen. Lilli Marx (93) hat den Angriff als 13-jähriges Mädchen erlebt. Ihre Schwester und ihr Vater sind getötet worden.
Amerikanis­che Bomber haben am 11. Mai 1944 140 Tonnen Spreng- und Brandbombe­n über Konz abgeworfen. Lilli Marx (93) hat den Angriff als 13-jähriges Mädchen erlebt. Ihre Schwester und ihr Vater sind getötet worden.

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