Vor 80 Jahren kam das Fegefeuer über Konz
Am 11. Mai 1944 sind bei einem Bombenangriff auf Konz fast 60 Menschen getötet worden. Die meisten Zeitzeugen sind inzwischen gestorben. Mindestens eine von ihnen ist jedoch noch quicklebendig. Und sie hinterlässt ein bewegendes Zeitdokument.
Der 11. Mai 1944 ist einer der schlimmsten Tage, den Konz erlebt hat. 55 amerikanische B-17-Bomber werfen gegen 18.30 Uhr rund 147 Tonnen Spreng- und Brandbomben über der Saar-Mosel-Stadt ab. Ziel sind die Bahnanlagen in Karthaus. Allerdings werden auch weite Teile der heutigen Innenstadt zwischen Saarbrücker- und Konstantinstraße verwüstet, wo damals auch das Werkgelände der Firma Zettelmeyer ist. 58 Menschen sterben direkt oder an den Folgen des Angriffs. Etwa 1500 Menschen werden obdachlos – auch die damals 13-jährige Lilli Marx, geborene Rommelfanger.
Der 11. Mai ist für den Raum Trier der Auftakt einer ganzen Serie von Luftangriffen (siehe Info), und er brennt sich fest in Lilli Marx` Gedächtnis
ein. Denn es ist der Tag, an dem sie ihren Vater und ihre ältere Schwester verliert. Sie lebt damals wie heute in der Schillerstraße in Konz. Und zusammen mit Wissenschaftlern der Universität Trier hat sie ein eindrückliches Zeitdokument geschaffen. In einem Videointerview für das Projekt Erinnerungsatlas, das Erinnerungsorte in der Großregion erfasst, lässt sie die Zuschauer den fatalen Angriff und ihre Gefühle dabei intensiv miterleben.
Als die Bomber kommen, hat ihr Vater, damals Lehrer in Konz, mit ihrer Schwester für das Abitur gelernt. „Es war zwar Fliegeralarm, aber wir waren gar nicht ängstlich“, erzählt Marx in dem Video. Die Familie sei davon ausgegangen, dass die Flugzeuge
auf dem Weg nach Trier seien. Doch das ist ein Irrtum. Zuerst fällt das Lilli Marx' Bruder Berthold auf, der Heimaturlaub wegen einer Kriegsverletzung hat. „Er sah dann plötzlich, dass da Bomben kamen. Und das war damals ein Teppich. Da gingen alle gleichzeitig runter“, schildert die Zeitzeugin. Berthold habe schnell reagiert, sei vom Balkon durch ein Fenster ins Haus gesprungen, in die Küche gestürmt und habe Lilli und deren Mutter im Keller in Sicherheit gebracht. „Schnell, schnell, runter, runter, runter!“
Überall seien da Flammen gewesen. Ihr sei nur ein Gedanke durch den Kopf geschossen: „So, jetzt bist du im Fegefeuer. Ich habe nur an meine Sünden gedacht.“Ihre Mutter habe nicht auf ihren Bruder gehört, sie sei nicht im Keller geblieben, sondern habe nach Lilli Marx` Schwester und Vater gerufen. „Da ist sie in den Hof gerannt und hat dann meinen Vater gesehen – ohne Kopf da liegen. Und meine Schwester hatte das Bein ab“; erzählt die Konzerin in dem Video. Beide waren zu diesem Zeitpunkt vermutlich schon tot. „Und das war wirklich grausam, grausam der Krieg, grausam!“Ihre
Mutter habe sofort den Schuldigen identifiziert und geschrien: „Der Hitler! Der Hitler!“Dafür hätte sie, meint die Konzerin, ins KZ kommen können. Wenn ein Nazi aus der Nachbarschaft, dessen Namen sie nicht nennen will, das damals gehört hätte, wäre ihre Mutter vermutlich deportiert worden.
Die damals 13-Jährige wird selbst durch Granatsplitter am Rücken und am Bein verletzt. Sie sei von Sanitätern versorgt worden. „Da hat man
mir zur Desinfektion Schnaps, reinen Schnaps in die Wunde ... Ich habe keinen Ton von mir gegeben. Ich war unter Schock“, sagt Marx. Trotz ihrer Verletzungen habe sie dann einen noch kleineren Jungen getröstet. Als Mann habe der Junge ihr später erzählt, dass sie ihm geholfen habe. Sie habe gesagt: „Weine nicht, mein Junge. Wir beten.“Sie habe Gott angefleht, dass die schlimme Zeit vorbeigehe. Ihre Mutter sei nach dem Tod ihres Vaters
und ihrer Schwester depressiv gewesen und habe nicht mehr weiterleben wollen. Erst auf ihre Bitten hin sei ihre Mutter mit ihr in einen Schutzbunker gegangen, wenn erneut der Luftalarm ging. „Da habe ich immer wieder Todesangst gekriegt“; endet das Video der Trierer Historiker.
Schwere Angriffe in Konz gab es bis zum Januar 1945 noch weitere. Ziel waren immer die Bahnanlagen oder -brücken. Lilli Marx, ihre Mutter und Brüder überleben den Krieg. Und Lilli, die eigentlich Maria Luise heißt, kehrt schon wenige Monate nach den schlimmen Ereignissen vom 11. Mai 1944 nach Konz zurück. Und seitdem lebt sie dort im nach dem Krieg wieder aufgebauten Elternhaus in der Schillerstraße.
Inzwischen ist sie 93 Jahre alt und blickt bei einem kurzen Besuch des Volksfreunds 80 Jahre nach dem ersten Bombenangriff auf ihre Heimatstadt auf ein sehr erfülltes Leben zurück. Denn sie hat nicht nur drei Kinder, sondern auch drei Enkelkinder. Ihre Tochter, Christiane Marx, „die beste Tochter der Welt“, kümmert sich inzwischen um sie. Zusammen leben sie immer noch in Lillis Elternhaus in der Schillerstraße in Konz.
Nach der Attacke sei sie zuerst im Weingut Othegraven und später bei ihrem Bruder in Heidelberg untergekommen, erzählt Lilli Marx. Die Geschichte ihrer Mutter hat Christiane Marx 2020 in einem Brief an den heutigen Eigentümer Günther Jauch beschrieben und um ein Autogramm gebeten. Jauch hat nicht nur die gewünschte Unterschrift geliefert, sondern sich auch dafür bedankt, dass Lilli Marx die Erinnerung an die schrecklichen Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg wachhält.
Doch Lilli Marx berichtet nicht nur Schlimmes. Sie erinnert sich auch sehr gut an die Nachkriegszeit. Da habe eine Ziege der Familie das Leben gerettet. Die Milch des Tieres habe sie gesättigt. Eines der Zicklein der Ziege habe die Familie unter anderem einem Glaser gegeben. Dieser habe im Gegenzug maßgeblich beim Wiederaufbau des Hauses geholfen. Insgesamt seit die Nachbarschaftshilfe zu dieser Zeit enorm gewesen, erinnert sich Marx.
Dass sie die Ereignisse vom 11. Mai 1944 so gut verarbeiten konnte, verdankt Lilli Marx ihrer Familie und wohl auch ihrem Glauben. „Ich habe die beste Tochter der Welt“, sagt sie. Zudem sei sie sehr religiös. „Ich lebe aus dem Glauben, dass alles gut wird.“
„Ich lebe aus dem Glauben, dass alles gut wird.“Lilli Marx hat den Bombenangriff vom 11. Mai 1944 auf Konz überlebt