Trierischer Volksfreund

Ohne sie geht nichts am Mount Everest

Icefall-Dochtors sind die stillen Helden, die es Menschen aus der ganzen Welt ermögliche­n, auf dem Dach der Welt zu stehen. Doch der Job birgt auch Gefahren.

- VON ANNE-SOPHIE GALLI UND ROSHAN SEDHAI

(dpa) Der KhumbuEisb­ruch ist eine der gefährlich­sten Passagen auf dem Mount Everest, dem höchsten Berg der Welt. Es ist eine große Menge riesiger Eisblöcke, die sich langsam, aber stetig in Richtung Tal bewegen, und die Bergsteige­rinnen und Bergsteige­r bei ihrem Marsch nach oben überwinden müssen. Die meisten von ihnen schaffen dies nur, weil zuvor einheimisc­he Spezialist­en eine möglichst sichere Route gefunden und diese mit vielen Leitern und Seilen passierbar gemacht haben – ein Netzwerk, das sie während der derzeitige­n Everest-Hauptsaiso­n über Monate immer wieder anpassen müssen.

Bergführer Ngima Gyalzen Sherpa war vor zwei Jahren Teil dieses Teams. Und ihn habe damals besonders seine Berufsbeze­ichnung fasziniert, wie er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur sagt: „Icefall-Doctor“.

„Erfahrene Icefall-Doctors können die Stärke und Einsturzge­fahr von Eis bestimmen, indem sie es nur anschauen“, sagt der heute 26-jährige Nepalese. „Das können sie genauso gut, wie eine Mutter sagen kann, was mit ihrem Kind nicht stimmt, wenn sie es sieht.“Um das Eis zu analysiere­n, bräuchten die Experten aber Tageslicht und das könne gefährlich werden, sagt Sherpa. Denn sobald die Sonne auf das unstete Gebilde brenne, werde es fragiler. Zwischen den Klötzen können sich tiefe Spalten auftun, und immer wieder brechen Stücke ab und stürzen nach unten. Deshalb machten sich die meisten Abenteurer-Gruppen mit Stirnlampe­n mitten in der Nacht oder in den frühen Morgenstun­den auf, um den Khumbu-Eisbruch zwischen dem Basis- und dem ersten von vier Höhenlager­n zu passieren.

Einige Icefall-Doctors haben bei ihrer Arbeit ihr Leben verloren. Wie viele es genau sind, ist nicht bekannt. Aber laut dem Expedition­sarchiv „Himalayan Database“starben insgesamt rund 50 Menschen beim Khumbu-Eisbruch – etwa weil sie von Lawinen begraben wurden oder in tiefe Kluften fielen. Das entspricht etwa jedem vierten Todesfall auf der nepalesisc­hen Seite des

Mount Everests. Der Berg kann auch von China bestiegen werden, was aber seltener passiert.

Ngima Gyalzen Sherpa sagt, auch er sei bei seinem Einsatz als Icefall-Doctor in eine tiefe Spalte gefallen: „Beim Fall glaubte ich, ich würde sterben und dachte an meine Mama.“Seine Mutter, Ang Dami Sherpa, habe ihn zunächst überhaupt erst zu einer Karriere in der Bergsteige­rei inspiriert. Sie hat sich als Läuferin bei Bergmarath­ons, die wegen der großen Höhe besonders anstrengen­d für den Körper sind, einen Namen gemacht. Begeistert habe ihn damals auch, dass aus seinem Dorf Bergführer­stars wie Kami Rita Sherpa entstammte­n, der einen Weltrekord für die meisten Besteigung­en des Mount Everests hält – insgesamt 28 Mal stand er auf der 8849 Meter hohen Spitze. „Jedes Jahr werden sie nach ihrer Rückkehr von den Bergen gefeiert“, sagt Ngima Gyalzen Sherpa. Das habe er auch für sich gewollt.

Nach dem Sturz in die Spalte habe er sich schließlic­h mit Werkzeugen und der Hilfe seiner Kollegen aus der Tiefe befreien können. Seither habe er nicht mehr als Icefall-Doctor gearbeitet – aber nicht der Gefahr wegen, wie er sagt. Mit seiner Arbeit als Bergführer von ausländisc­hen Gästen verdiene er schlicht mehr Geld. Genaue Zahlen wollte er nicht nennen. Icefall-Doctors erhielten jedoch nicht genügend Wertschätz­ung, konstatier­t ein anderer nepalesisc­her Bergführer und -retter, Narendra Shahi Thakuri. „Der Eisbruch ist die technisch schwierigs­te Passage beim Everest und nicht alle wollen ein solch großes Risiko auf sich nehmen.“

Aber Ngima Gyalzen Sherpa sagt, das Bergsteige­n sei immer gefährlich – egal, was man mache. Wer auf den Gipfel des Mount Everests will, geht an gefrorenen Leichen vorbei. Mehr als 300 Menschen starben auf dem Giganten – und viele Körper sind nach wie vor vor Ort – auch weil deren Bergungen aufwendig und teuer sind. „Ich gebe meinen Gedanken an den Tod nicht viel Raum“, sagt Sherpa. Ihm gefalle die Bergsteige­rei gut und andere Jobs gebe es im Himalaja ohnehin kaum. „Aber ich vermisse jeweils meine Familie – besonders meine Mutter, die sich Sorgen um mich macht.“

„Erfahrene Icefall-Doctors können die Stärke und Einsturzge­fahr von Eis bestimmen, indem sie es nur anschauen.“Ngima Gyalzen Sherpa Bergführer im Mount Everest

 ?? NGIMA GYALJEN SHERPA/DPA FOTO: ?? Ngima Gyaljen Sherpa auf dem Gipfel des Mount Everest im Jahr 2019.
NGIMA GYALJEN SHERPA/DPA FOTO: Ngima Gyaljen Sherpa auf dem Gipfel des Mount Everest im Jahr 2019.

Newspapers in German

Newspapers from Germany