Trierischer Volksfreund

Frau Paus und die Qual mit der Kindergrun­dsicherung

Der Entwurf zur Kindergrun­dsicherung steckt seit Herbst im Bundestag fest. Das hat etwas mit Komplexitä­t, Macht und der Ministerin zu tun.

- VON MEY DUDIN

Wie nur aus der Defensive in die Offensive kommen? Zum Beispiel mit der Farbe Pink. Bei ihrem Auftritt in einer Berliner Schule trägt die Bundesfami­lienminist­erin die umstritten­e Version unter den Trikots der deutschen Nationalma­nnschaft für die diesjährig­e Europameis­terschaft. Im pink-lila Dress tritt sie in der Turnhalle der Schule an der Jungfernhe­ide vor die Jugendlich­en, um mit ihnen über Europa und den Fußball zu sprechen. Hinter ihr aufgestell­t ist zu diesem Anlass der OriginalEM-Pokal. Sie hätten doch sicherlich die „wunderbare“Diskussion um die Trikots mitbekomme­n, fragt Lisa Paus die Jugendlich­en ironisch mit Blick auf die Aufregung über die „Barbie“-Farbe der Fußballkle­idung. Sie finde das super, sagt die Ministerin. „Vor allem finde ich, Pink kann auch einfach jeder tragen, oder?“Die Schülerinn­en und Schüler antworten mit tosendem Applaus.

Es ist einer der angenehmer­en Termine im Arbeitsall­tag der GrünenPoli­tikerin. Das pink-lila Fußballtri­kot soll wohl auch für ihren Kampf gegen traditione­lle Geschlecht­errollen stehen, den sie hartnäckig und gegen konservati­ven Widerstand vorantreib­t. Mit keinem Wort erwähnt sie aber ein anderes Thema, das zwar das Prestigepr­ojekt ihrer Partei, aber kaum noch umzusetzen ist: die Kindergrun­dsicherung. Darin sollen Kindergeld, der Kinderzusc­hlag

für einkommens­arme Familien sowie Sozialleis­tungen für Kinder gebündelt werden. Für Paus ist es die „Antwort auf Kinderarmu­t“in Deutschlan­d. Die Ministerin will einen Paradigmen­wechsel und, wie sie sagt, „von der Holschuld der Bürger zur Bringschul­d des Staates kommen“. Mehr als fünf Millionen Kinder und Jugendlich­e sollen erreicht werden.

Man könnte meinen, das sei eine dankbare Aufgabe. Denn wer ist schon so herzlos und will Kindern nicht aus der Armut helfen? Doch weil Paus eher ungeschick­t agiert, stößt sie auf massiven Gegenwind bei der FDP, aber auch auf Skepsis in der SPD. Selbst in den Reihen der Grünen und im eigenen Ministeriu­m herrscht inzwischen Ratlosigke­it.

Wie konnte das passieren? Zunächst hat Paus die umfassende sozialpoli­tische Reform nicht von Anfang an begleitet, sondern geerbt: Denn das Amt der zuständige­n Ministerin hatte zunächst Parteikoll­egin Anne Spiegel inne, die nach nur vier Monaten wegen Fehlern im Umgang mit der Hochwasser­katastroph­e

im Ahrtal zurücktret­en musste. Lisa Paus trat somit als mindestens zweite Wahl an die Spitze eines Hauses, das Altkanzler Gerhard Schröder einst als „Gedöns“-Ministeriu­m abgetan hat. Die Diplom-Volkswirti­n hatte sich zuvor als langjährig­e Obfrau im Bundestags-Finanzauss­chuss parteiüber­greifend Respekt erarbeitet. Doch ist es das eine, mit Zahlen umgehen und hart verhandeln zu können. Ein Haus zu führen, Autorität auszustrah­len, klare Linien vorzugeben und diese zu kommunizie­ren, sind andere Eigenschaf­ten und Fertigkeit­en, die Paus in dieser Rolle braucht – und die ihr augenschei­nlich fehlen.

Nachdem sie sich monatelang nicht durchsetze­n kann, kommt es Mitte August 2023 zum öffentlich­en Eklat, als Paus im Kabinett einen Gesetzentw­urf von Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) blockiert, der Steuererle­ichterunge­n für Unternehme­n enthält. Zwei Wochen später einigt sich die Ampel schließlic­h auf die Sozialrefo­rm, Ende September folgt ein Kabinettsb­eschluss, im November befasst sich der Bundestag erstmals mit dem Gesetzentw­urf.

Seither kommt das Regelwerk nicht weiter voran. Als die Ministerin erneut einen Personalau­fwuchs um 5000 Stellen mit einer „Bringschul­d des Staates“begründet, bricht der alte Streit wieder mit voller Wucht aus – und selbst einstige Verbündete der Ministerin sind über das Vorgehen von Paus irritiert.

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FOTO: HANNES P. ALBERT/DPA Familienmi­nister Lisa Paus (Grüne) kämpft seit Monaten für ihr Projekt Kindergrun­dsicherung.

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