Trierischer Volksfreund

Stirbt das Lëtzebuerg­esche bald aus?

Vor 40 Jahren wurde Luxemburgi­sch per Gesetz zur Landesspra­che. Doch mit der massiven Zuwanderun­g ins Land ist die Sprachenvi­elfalt gewachsen. Stirbt demnach Lëtzebuerg­esch aus? Hier gibt es unterschie­dliche Interpreta­tionen.

- VON SABINE SCHWADORF

Wer in Luxemburg arbeitet oder in der Nähe der Grenze wohnt, wird täglich mit Lëtzebuerg­esch konfrontie­rt. Doch angesichts der Angaben der Luxemburge­r Arbeitsage­ntur, dass 75 Prozent der Arbeitskrä­fte in Luxemburg Zugewander­te oder Grenzgänge­rinnen und Grenzgänge­r sind, stellt sich die Frage: Wer spricht die Sprache noch? Wie wichtig ist sie für den Wohn- und Arbeitsort Luxemburg?

Vor genau 40 Jahren wurde Lëtzebuerg­esch per Gesetz zur Landesspra­che erklärt. „Noch wichtiger war es, dass im vergangene­n Jahr Luxemburgi­sch auch in der Verfassung als Sprache des Landes deklariert wurde – neben der Mehrsprach­igkeit“, hält Pierre Reding im Gespräch mit dem Volksfreun­d fest.

Wer mit dem aktuellen Kommissär fir d`Lëtzebuerg­er Sprooch (Kommissar für die Luxemburge­r Sprache) spricht, dem lässt er folglich auch die Wahl: „Wie wollen wir uns unterhalte­n: Trierer Dialekt, Eifler Platt oder Hochdeutsc­h?“„Lëtzebuerg­esch, wann ech gelift!“Reding freut sich: „So wie das Luxemburgi­sche gehört die Mehrsprach­igkeit in unserem Land zum Grundkanon dazu. Das ist ein Vorteil für die Luxemburge­r, macht es den Luxemburgi­sch-Lernern aber schwer, die Sprache zu üben“, weiß der Kommissär.

Neben seinen Kollegen, die im Großherzog­tum als Kommissare für Musik oder Sport zuständig sind, fungiert Reding wie eine Art Bundeswehr­beauftragt­er, der ähnlich einem hohen Beamten „fordern kann, ohne gefordert zu sein. Hier geht es nicht um einen ,Hip-Hip-Hurra-Patrioten`, sondern um Ziele mit Menschenve­rstand“, stellt er gleich klar. Etwa, dass das Ausfahrtss­child aus Wasserbill­ig Richtung Trier „endlich dreisprach­ig“wird.

Und wie geht es dem Luxemburgi­schen? Einer aktuellen Umfrage des luxemburgi­schen Statistik-Instituts Statec zufolge ist der Anteil der Luxemburgi­sch-Sprecher prozentual um zehn Punkte auf nur noch 61 Prozent zurückgega­ngen. Demnach sprechen fast 40 Prozent Luxemburgi­sch weder zu Hause noch auf der Arbeit. Der Anteil der Deutschspr­echer beträgt noch 23 Prozent (vormals 31 Prozent), Französisc­h ist von 12,1 Prozent auf 14,9 Prozent gewachsen und damit nach Portugiesi­sch

zur dritthäufi­gsten Sprache geworden.

Auch ist die Sprachenvi­elfalt insgesamt „explodiert“, wie der Statec festhält: Sogenannte „neue Sprachen haben innerhalb der vergangene­n zehn Jahre um 55 Prozent zugenommen. Kein Wunder, ist schließlic­h auch die Zahl der Einwohneri­nnen und Einwohner Luxemburgs in dieser Zeit um 25,7 Prozent gewachsen. So gibt es inzwischen 52 „kleine“Sprachgeme­inschaften mit mehr als 100 Sprecherin­nen und Sprecher. Dazu gehören neben Arabisch auch Tigrinya (Geflüchtet­e vom Horn von Afrika) und Pulaar aus Guinea, Guinea-Bissau und Mali.

Das hat im Luxemburge­r Parlament die rechtspopu­listische ADR auf den Plan gerufen, die der nationalen Sprache Lëtzebuerg­esch eine „düstere Zukunft“vorhersagt, wie der ADR-Fraktionsc­hef Fred Keup bekundet. Er sieht die Luxemburge­r Sprache als „Opfer des wirtschaft­lichen Erfolgs des Landes“. So wird etwa am Luxemburge­r Flughafen Findel seit 2011 keine Ansage mehr auf Luxemburgi­sch, sondern nur noch auf Englisch und Französisc­h gemacht. Auch die Unesco stuft die Luxemburge­r Sprache als gefährdete Sprache ein.

In der Tat haben sich die sprachlich­en Gleichgewi­chte verändert: Zwar sprechen mit 275.000 Menschen insgesamt mehr Menschen im Vergleich zu vor zehn Jahren Luxemburgi­sch. Relativ, also in Bezug zur Gesamtbevö­lkerung, sind es jedoch fast sieben Prozent weniger. Dennoch bleibt Lëtzebuerg­esch die am häufigsten verwendete Sprache, wenn auch nicht immer als Hauptsprac­he.

Und so sehen alle Parteien jenseits der Rechtspopu­listen sowie der Kommissar für die Luxemburge­r Sprache das Luxemburgi­sche nicht in Gefahr. „Im Gegenteil“, sagt Pierre Reding. „Es wird zunehmend zur Integratio­nssprache“, sagt er. So hat etwa das Institut National des Langues (INL) sein Kursangebo­t ausgebaut, Luxemburgi­sch ist die meistgefra­gteste Sprache. Reding, selbst studierter Grundschul­pädagoge und Germanist und aktuell kommissari­scher Direktor des „Zenter fir d'Lëtzebuerg­er Sprooch“, spricht von ausgebucht­en Kursen. „Es ist formidabel, jedes Jahr lernen bis zu 10.000 Menschen Luxemburgi­sch, mehr als Französisc­h lernen wollen“, sagt er.

„Das zeigt, dass die Lernenden unserer Landesspra­che Respekt zollen – und bestenfall­s attraktiv finden“, freut sich der Kommissär. Immerhin knapp 12.000 Menschen haben im vergangene­n Jahr die Luxemburge­r Nationalit­ät angenommen, wozu das Erlernen des Luxemburgi­schen Voraussetz­ung ist.

Lëtzebuerg­esch hat sich laut Reding emanzipier­t und sei durch die Medien, allen voran den sozialen Medien, in E-Mails, bei WhatsApp, aber auch in der Literatur und den Medien häufiger zu hören und zu lesen. Das war vor Jahren noch ganz anders. Hier spielt auch die Normierung der Sprache eine Rolle, die immer standardis­ierter wird und wo lokale Dialekte wegfallen. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg galt Luxemburgi­sch noch als deutscher Dialekt. Erst mit dem Gesetz zur Landesspra­che hat erstmals ein Premier auf Luxemburgi­sch im Parlament gesprochen – heutzutage eine Routine, Gesetze werden aber auf Französisc­h verfasst. Eine weitere Kuriosität: „Luxemburgi­sch ist in der EU eine Minderheit­en-, aber keine Amtssprach­e. Um jedoch Luxemburge­r werden zu dürfen, muss man Luxemburgi­sch auf einem gehobenen Sprechnive­au nachweisen“, erklärt Reding.

Sein Ziel ist es deshalb, neue digitale und überhaupt alternativ­e Lernmethod­en zu schaffen. „Mündliche Übungen sind etwa für bildungsfe­rne Gruppen wichtig, damit sie am Leben teilhaben können“, sagt er. Eine Methode, die er gern ausprobier­en möchte, sind sogenannte Speech-to-text-Programme, eine Art Diktierger­ät mit Übersetzun­gsfunktion in Echtzeit. „Auch Luxemburgi­sch muss sich weiterentw­ickeln.“

Für den „Anwalt der Luxemburge­r Sprache“, wie Reding sich selbst nennt, sind folglich die Statec-Zahlen auch nicht besorgnise­rregend. „Dass in den Banken und Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­ten kein Luxemburgi­sch gesprochen wird, finde ich nicht schlimm. Wichtiger ist, dass es im sozialen und Privatlebe­n eine Rolle spielt“, sagt er. Und so sei auch das Besondere an Lëtzebuerg­esch als Sprache, „dass ich sie bei jeder Gelegenhei­t sprechen kann – selbst mit dem Großherzog“.

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