Wie Winzerin Carmen von Nell Hoffnung schöpft
Winzerin Carmen von Nell-Breuning aus Kasel besitzt Weinberge an der Ruwer. Dort, wo die aktuellen Frostschäden enorm groß sind. Ihre Ernte wird daher recht klein ausfallen. Eine Sache tröstet sie in dieser Situation.
Als Carmen von Nell-Breuning am Morgen des 22. April aus ihrem Fenster blickt, erstarrt sie: Auf der Weintonne, draußen im Hof, liegt eine dicke Eisschicht. Die Winzerin weiß sofort, was das bedeutet. Also zögert sie nicht, setzt sich in ihr Auto und fährt los. In ihren Weinbergen an der Ruwer sind die Reben in diesem Jahr schon früh ausgetrieben. Wie sieht es dort jetzt aus? Ihr erster Stopp: die renommierte Lage Kaseler Nies'chen, wo sie Spätburgunder und Riesling auf zwei Hektar Fläche gepflanzt hat.
Was sich ihr offenbart, trifft die Inhaberin des Dominikaner Weingutes C. von Nell-Breuning schwer: Über Nacht hat der Frost die ehemals grünen Triebe in braune Blätter verwandelt. „Das Kaseler Nies'chen ist komplett erfroren,“sagt sie. Ein Schock. Doch Trauer lässt sie nicht zu. Sie steuert gen Dominikanerberg. „Als ich hier die grünen Triebe habe leuchten sehen, fiel mir eine Last von den Schultern. Da habe ich große Dankbarkeit empfunden“, erzählt die 47- Jährige. Lediglich 20 Prozent der Triebe seien dort dem Kälteeinbruch zum Opfer gefallen.
Carmen von Nell: „So etwas habe ich noch nie erlebt“
Alle ihre Weinberge kontrolliert Carmen von Nell an diesem Montag nicht mehr. „Ich dachte, es reicht erst mal.“Erst nach der zweiten Frostnacht zieht sie ihr Resümee: „Im Waldracher Sonnenberg sind 80 Prozent erfroren, in der Lage Kaseler Kehrnagel 90 Prozent. Meine
Rettung ist tatsächlich der Dominikanerberg, wo ich fünf Hektar Rebfläche besitze. Der Dominikanerberg ist schon historisch betrachtet eine frostsichere Lage und hat sich auch bei diesem großen Frostereignis bewährt.“
Ein großes Glück und ein Segen sei das für ihren Betrieb in dieser Situation, sagt sie und atmet auf. Denn vor allem an der Ruwer und der Saar, diesen beiden kühlen Seitentälern der Mosel, stellt sich die Lage teilweise katastrophal dar (der Volksfreund berichtete). Einige Weinberge sind bis zu 100 Prozent geschädigt. „Da bekommt man eine Ahnung von den Dimensionen dieses Frostereignisses. So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt Carmen von Nell. „Wohl kaum jemand hat dieses Ausmaß an Frostschäden erwartet. Die frostigen Nächte waren angekündigt, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass es so schlimm werden würde.“
Selbstmitleid ist ihre Sache nicht. Bedrückt ist sie, ja. Aber auch ein Stück weit abgeklärt, geerdet, wenn sie sagt: „Man kann es nicht ändern. Wir arbeiten mit der Natur und sind ihr immer auch ein Stück weit ausgesetzt. Aber es ist schon erschütternd, wenn man vorher die grünen Triebe gesehen hat und dann ist plötzlich alles welk und braun verfärbt.“
Die wirtschaftlichen Folgen Frosteinbruchs
des Carmen von Nell hat keine Frostversicherung, die ihren Verlust abfedern könnte. Und selbst wenn, könnte dieses Geld allein die Folgen der Misere nicht wettmachen. Ihre Ernte wird in diesem Jahr klein ausfallen. Dass dieser Rückschlag sie so früh in der Vegetationsperiode trifft, macht es dabei nicht besser. „Die Arbeiten gehen trotzdem komplett weiter“, berichtet sie. „Die Bodenpflege und Gesunderhaltung der Reben müssen weiterlaufen. Die Reben sind ja glücklicherweise nicht geschädigt.“
Vier Angestellte kümmern sich um diese Arbeiten auf den acht Hektar Rebflächen, die Carmen von Nell ihr Eigentum nennt. Menschen, die am Ende des Monats bezahlt werden wollen. Ein Stück weit, meint
sie, müsse man so ein Ereignis aushalten können. Eine Haltung, die Selbstdisziplin abverlangt. Vor allem, weil niemand weiß, was das Jahr noch so alles an Wetterkapriolen mit sich bringt.
Schon jetzt aber steht fest: Der Ernteausfall wird sich direkt auf das Kaseler Dominikaner Weingut auswirken. Was sind die Konsequenzen? Darüber hat sich die Winzerin ihre Gedanken gemacht: „Unser Sortiment wird kleiner werden. Aus dem Jahrgang 2024 werden wir einige Weintypen nicht anbieten können. Wir werden auch die Preise erhöhen müssen.“
Welche Konsequenzen die Winzerin für ihren Betrieb jetzt zieht
Carmen von Nell sieht hierzu keine andere Alternative: „Diese Frostschäden in so einer Dimension sind betriebswirtschaftlich
eine Herausforderung. Bereits ein Jahr haut rein. Die Weine fehlen bei gleichen Kosten.“Das tun sie bei allen von den Frostschäden betroffenen Winzern. Bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Ihre Strategien werden unter Umständen anders aussehen als die der Carmen von Nell. Doch sie trifft diese unternehmerische Entscheidung bewusst, obwohl sie keinesfalls weiß, wie ihre Kunden auf die Preiserhöhungen reagieren werden.
Drei Wochen nach dem Frostschock recken sich die Triebe im weitgehend verschont gebliebenen Dominikanerberg weiter der Sonne entgegen. Nachdenklich betrachtet Carmen von Nell ihren Weinberg. Ihre Gedanken schweifen zu den Kollegen, deren Weinberge der Frost zu 100 Prozent in Mitleidenschaft
gezogen hat. „Viele Winzerkollegen an der Mosel, in anderen Weinbauregionen Deutschlands und in anderen Teilen Europas haben – so wie wir – durch den Frost große Verluste erlitten. Zu wissen, dass man nicht alleine betroffen ist, gibt ein Gefühl der Solidarität, das hilft und auch wichtig ist.“
Was die Zukunft wohl dem Weinbau an der Mosel bringen wird? Sie bleibt so unvorhersehbar wie das Wetter. Dass er angesichts des Klimawandels immer schwieriger werden wird, steht für Carmen von Nell-Breuning außer Frage. Aber sie ist überzeugt: „Wir arbeiten und leben in einer weltweit einzigartigen Weinbauregion. 2024 ist schon jetzt ein schwieriges Jahr, aber wir bleiben voller Zuversicht. Unsere Motivation ist es stets, das Beste herauszuholen. Ich bleibe motiviert.“