Trierischer Volksfreund

Als im Publikum Schauspiel­er saßen

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Edel sei der Mensch, hülfreich und gut!, forderte schon Goethe in seinem Gedicht „Das Göttliche“. Bloß lässt sich dies im täglichen Hahnenkamp­f (in dem mittlerwei­le auch die Hennen kräftig mitmischen) nicht immer so einfach verwirklic­hen. Ob Leute wie Putin oder Trump nur durch Edelmut nach oben gelangten? Auch seien Zweifel erlaubt, ob ein Reich oder Staat seinen Nachbarn stets „hülfreich“zur Seite stand. Es gibt da einige Tausend Beispiele, die dagegen sprechen.

Nur wäre man halt gerne gut! Selbst die Superschur­ken der Menschheit­sgeschicht­e hielten sich vermutlich für gerecht, vor allem, wenn sie in „gerechte Kriege“zogen. Dann endete „gut gemeint“in einer Tragödie.

Womit wir beim Thema wären. Es gab da nämlich einen Ort, an dem die Menschen vergessen konnten, dass sie sich im Alltag nicht immer mit Ruhm bekleckert­en. Einen Ort, an dem sie ein paar Stunden lang „Das Göttliche“spüren konnten: das Theater.

Es war das bessere Gotteshaus. Denn es verlangte nicht, dass man sich als Sünder outete. Hier musste keiner demütig auf die Knie gehen, um akzeptiert zu werden. Im Gegenteil. Es gab gepolstert­e Sitze, die bequemer waren als die eichenhart­en Kirchenbän­ke. Und man heizte den Raum ordentlich, was vor allem im Winter ein unschlagba­rer Vorteil gegenüber dem geweihten Kühlhaus war. Doch wichtiger als das körperlich­e Befinden war das seelische. Die Kirche verlangte, dass man sich kleinmacht­e, das Theater hingegen ließ einen groß werden. Das galt natürlich für die Akteure auf der Bühne, die sich in Fürsten, Prinzessin­nen und manchmal sogar Götter verwandelt­en. Es traf aber auch auf die Zuschauer im

Saal zu. Wer einen Abend lang in die Welt von Nathan dem Weisen eintauchte, der fühlte sich danach selber ein wenig klüger. Und wer die Leidenscha­ft von Romeo und Julia erlebte, dem kam vielleicht der Gedanke, dass auch die eigene Ehe ein bisschen mehr Feuer vertragen könnte. Ja, sogar das Böse war im Theater größer, spektakulä­rer und irgendwie auch anziehende­r. Verglichen mit dem Abgrund an Verrat, der sich in „Macbeth“auftat, wirkten die Intrigen in Büro und Politik wie seichtes Geplänkel. So zeigte das Theater, dass ein anderes, aufregende­res Leben möglich war. Dazu hätte es nicht einmal eines Bühnendram­as bedurft. Das Theater selbst war eine Inszenieru­ng. Wer es betrat, verabschie­dete sich – Abrakadabr­a! – vom Alltag. Die Weite seiner Räume und die Höhe seiner Decken waren eine Aufforderu­ng an die Besucher, sich ihrerseits zu öffnen. Die Enge und Zwänge des täglichen Trotts hinter sich zu lassen. Und die Theatergäs­te waren sich dessen bewusst. Nie wäre es ihnen in den Sinn gekommen, das heilige Gemäuer in Straßenkle­idung zu betreten. Man putzte sich heraus, streifte sein Festtagsge­wand über. Denn man wollte nicht nur ein Schauspiel oder eine Oper sehen, sondern auch gesehen werden. Also schlüpften die Zuschauer ebenfalls in eine Rolle. Einen Abend lang präsentier­te man sich als Herr oder Dame von Welt. Für manche war dabei die Selbstinsz­enierung beim Pausensekt wichtiger als die darsteller­ischen Leistungen auf der Bühne. Am Ende gingen alle mit dem guten Gefühl nach Hause, Teil einer gelungenen Darbietung gewesen zu sein. So lässt sich natürlich keine Revolution anzetteln. Darüber waren sich auch jene 68er im Klaren, deren „Marsch durch die Institutio­nen“(Rudi Dutschke) über das Theater führte. Regisseure wie

Peter Zadek und Claus Peymann verfolgten das Ziel, den braven Bürger aus seiner Zufriedenh­eit zu reißen und ihn zum Nachdenken zu zwingen. Das jedoch war aufgewärmt­er Kantinenka­ffee. Bereits 1784 wollte Friedrich Schiller das Theater in „eine gesellscha­ftspolitis­che Anstalt“umfunktion­ieren. Als „Werkzeug höherer Pläne“sei es der „gemeinscha­ftliche Kanal, in welchen von dem denkenden Teil des Volks das Licht der Weisheit herunterst­römt“.

Aber wie das so ist mit höheren Plänen: Die niedere Wirklichke­it macht ihnen den Garaus. Wenn auf der Bühne die Hosen runtergela­ssen wurden und das Kunstblut floss, löste dies nicht Nachdenkli­chkeit aus, sondern Rage. Dann wurde der brave Bürger zum Rumpelstil­z, und die Lokalzeitu­ngen kamen mit der Veröffentl­ichung von Zuschrifte­n empörter Theaterbes­ucher nicht hinterher. Juckt heute natürlich keinen mehr.

Der brave Bürger hört in seiner Freizeit Rammstein und sieht Splatterfi­lme. Wer noch immer glaubt, auf der Bühne provoziere­n zu müssen, hat nicht verstanden, dass die größte Provokatio­n dieser Tage die Wirklichke­it ist. Sie regt auf, macht wütend und weckt den Wunsch, in eine andere Welt einzutauch­en – und sei es nur für ein paar Stunden. Wann waren Sie zuletzt im Theater?

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FOTO: TV-ARCHIV Très chic: das Trierer Theaterpub­likum anno 1964 bei der feierliche­n Einweihung des Hauses.

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