Der Mann mit den drei Muttis
Das ist die Geschichte von Merhawi, eines jungen Mannes, der vor sieben Jahren aus Eritrea nach Trier gekommen ist und an der Mosel sein Glück gefunden hat. Von Kartoffelsalat, drei Muttis und einem Traumjob.
Mutti. Nicht Mama, nicht Mutter – Mutti, einfach nur Mutti. Also nein, nicht einfach, dreifach. Wenn Merhawi von „Mutti“spricht, und das tut er sehr oft, dann muss er immer noch einen hinterherschieben, einen Namen. Denn der 23-Jährige, er hat drei Muttis. Nur eine leibliche, klar, in seinem Geburtsort in Eritrea. Die, die er schon seit so langer Zeit nicht mehr gesehen hat. Die, die er nur alle paar Wochen mal für ein paar Minuten am Telefon hört. Die, die er so sehr vermisst.
Und dann hat Merhawi da noch zwei Muttis – in Trier. „Mutti Christa“und „Mutti Nadine“, wie er sie nennt. Die, die ihm so viel bedeuten. Die, die ihm damals durch seine ersten Monate geholfen haben. Die, die ihm ein Rennrad schenkten, mit ihm bis nach Koblenz, nach Luxemburg radelten, ihm so viel zeigten. Die, die er heute noch einmal in der Woche besucht, mal zum Kaffee, mal zum Essen. Wobei, Moment, die wöchentlichen Besuche, die gehen momentan ausschließlich bei „Mutti Christa“, wie er erzählt. „Mutti Nadine“sehe er aktuell nur alle paar Wochen, sie habe weniger Zeit. Der neue Job, sie stehe kurz davor, in ihren Beruf als Lehrerin einzusteigen. „Aber wir schreiben jede Woche.“
Kennenlernen im Welcome-Café in Trier-Nord
Er sei, so sagt der 23-Jährige beim Gespräch mit dem Volksfreund in einem Trierer Café, er sei den beiden so unendlich dankbar. „Ohne sie wäre ich heute nicht so weit, nicht da, wo ich jetzt bin – sie haben mir geholfen, in Trier Fuß zu fassen.“
Denn damals, als er 2017 als 16-Jähriger aus Eritrea nach monatelanger Flucht an der Mosel landet, da habe er, so berichtet er, niemanden gehabt. „Klar, ich hatte Betreuer, die haben sich auch echt gut gekümmert, wenn es um Ämter und Ähnliches gegangen ist“, sagt er. Doch in seiner Freizeit, da sei er auf sich allein gestellt gewesen, habe niemanden gekannt, niemanden gehabt, um mal was zu unternehmen. Das ändert sich, als er 2018 das Welcome-Café für Geflüchtete in TrierNord besucht. „Ich bin dort hingegangen, um Leute kennenzulernen, mein Deutsch zu verbessern“, sagt Merhawi. „Und dann waren da Christa und Nadine – wir haben uns automatisch verstanden.“
Die beiden Frauen, sie werden in den kommenden Monaten und Jahren immer wichtiger für den jungen Geflüchteten. Sie zeigen ihm die Region, kochen zusammen, lernen Deutsch zusammen, helfen ihm bei Bewerbungen – Christa und Nadine, sie werden zu seinen Muttis Nummer zwei und Nummer drei.
Nach sieben Jahren an der Mosel verfügt Merhawi inzwischen über einen dauerhaften Aufenthaltstitel. In Kürze, so sein Plan, wolle er die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Die Zeit in seiner neuen Heimat, sie sei vergangen wie im Flug, die sieben Jahre, sie fühlten sich an wie drei, sagt der junge Mann.
Er lacht herzlich als er das sagt. Und nicht nur dann. Merhawi lacht viel, lacht gerne, lacht laut. Zum Beispiel, wenn er davon erzählt, wie er sich dabei ertappt habe, dass ihn das Trier-Heimweh plage. Zwei Tage sei er bei Freunden in Frankfurt gewesen. Am dritten Tage habe er gesagt, er müsse sofort zurück nach Trier. Was denn los sei bei ihm, hätten die Freunde ihn da gefragt, ob in Trier eine Frau auf ihn warte? Nein, da warte keine Frau, habe er entgegnet, er vermisse die Stadt. Ganz einfach. Dann lacht er wieder. Ziemlich laut.
Sein Lachen, es verschwindet nur dann aus seinem Gesicht, wenn er von dem Land spricht, in dem er geboren wurde, Eritrea. Genaue Details zu seiner Flucht, zu seiner Familie, die wolle er nicht in der Zeitung lesen. Gleiches gelte für seinen Nachnamen. Nur so viel: Für ihn, damals 16 Jahre alt, habe die Zukunft düster ausgesehen in dem ostafrikanischen Land, in dem für Kinder in seinem
Alter meist der Dienst an der Waffe vorgesehen sei. Für ihn habe es daher keinen anderen Weg als die Flucht gegeben. Seine Mutti, seine leibliche, er habe sie seitdem nicht mehr gesehen, erzählt er. Sieben Jahre lang. „Sie haben dort kein Internet, telefonieren mit Bild geht nicht.“Sie telefonieren ohne Bild, alle paar Wochen, für wenige Minuten. Denn die Anrufe in das Land am Roten Meer, sie sind teuer. „20 Minuten kosten schnell zehn Euro“, berichtet Merhawi.
Vor zwei Jahren hat er eine Ausbildung bei Volvo in Konz begonnen
Gegen das Vermissen helfe der Alltag, verrät der orthodoxe Christ. Und der hat es in sich für den jungen Mann: Aufstehen um fünf, Arbeitsbeginn um sechs Uhr bei Volvo in
Konz. Dort hat er vor zwei Jahren seine Ausbildung zur Fachkraft Metalltechnik begonnen. Bereite ihm großen Spaß, sei genau sein Ding, wie er betont. „Ich liebe den Job, das Team ist super, mein Chef auch – fühlt sich dort wie eine große Familie an.“Er könne sich gut vorstellen, im Anschluss auch noch die Ausbildung zum Industriemechaniker draufzusetzen. Wären dann nochmal dreieinhalb Jahre. „Eine interessante Option“, wie er findet.
Täglich um 14 Uhr ist Feierabend. Danach gehe meist nicht mehr viel, der Job, er fordere ihn. Nur Kochen, das gehe noch. Kartoffelsalat zum Beispiel. Sei einfach was Feines, findet er. Absolutes Lieblingsgericht. Paar Kartoffeln kochen, schnibbeln, bisschen Mayonnaise, paar Gewürze drüber, zack, fertig. „Richtig lecker“sei das, wenn man's richtig mache. Denn mit Essig und Öl, ne, das sei seins nicht.
Zweimal die Woche geht's nach der Arbeit noch zum Sprachkurs. Ist ihm wichtig, sein Deutsch, er wolle es weiter perfektionieren, wie er betont. Und zum Runterkommen, da hilft ihm noch was anderes. Ein Musikinstrument, ein besonderes. Eins, das hier nur wenige kennen, in seinem Geburtsland dagegen alle. Krar heißt es, ist ein Zupfinstrument mit fünf oder sechs Saiten und gehört zu den Laiern.
Bis vor ein paar Jahren, da habe er auch noch Fußball gespielt bei einem Trierer Club, momentan pausiere er allerdings. Sei alles ein bisschen viel. Fan sei er trotzdem, der BVB sein Verein. „Es freut mich aber auch, dass Leverkusen Meister geworden ist – Hauptsache mal nicht die Bayern.“Dann lacht er wieder.
In Trier, und das möchte er zum Abschluss unbedingt noch loswerden, da fühle er sich extrem wohl. Die Stadt sei halt einfach „klein, aber fein“. Er wolle bleiben, auch in zehn Jahren noch hier leben. Dann, so sein Plan, wolle er immer noch bei Volvo arbeiten, eine kleine Familie und ein Haus haben. Seine drei Muttis, so viel steht fest, sie würde es freuen.